Buchtipps

Zukunft für alle

von Ute Scheub, erschienen in Ausgabe #62/2020
Photo

Wer Visionen und Utopien schreibt, riskiert immer, zu rosarot und damit langweilig zu werden. Das gilt umso mehr, wenn die Geschichte von bestimmten Wunsch- und Wertvorstellungen aus entworfen wird. Insofern war ich zuerst skeptisch, als ich »Zukunft für alle – eine Vision für 2048« in den Händen hielt. Das Konzeptwerk Neue Ökonomie hat seinem Utopie-Kongress von 2020 diese Publikation folgen lassen. Aber siehe da: Diese liest sich kein bisschen langweilig, sondern überaus anregend! Gerade in diesen Zeiten, in denen viele an Isolation und winterkalter Depression leiden, weist das liebevoll illustrierte Werk mutmachende Wege aus der Depression. 

Die 100-seitige Veröffentlichung wurde von rund 40 Organisationen – von »attac« bis »wechange« – unterstützt. In zwölf Zukunfts-werkstätten der Jahre 2019 und 2020 haben knapp 200 Vordenkerinnen und Vordenker Visionen für verschiedene Gesellschaftsbereiche entwickelt. Die Themen waren unter anderem: globale Gerechtigkeit, Demokratie, Wirtschaft, Gesundheit, Bewegungsfreiheit, Ernährung, Bildung und Finanzen. Auf Basis vorab definierter gemeinsamer Werte entwickeln die Visionärinnen Bilder und Geschichten, wie die Gesellschaft im Jahre 2048 aussehen könnte. Die Ökonomie etwa bestünde dann nur noch aus gemeinwohlorientierten Märkten, öffentlichen Betrieben und »selbstorganisierter Beitragsökonomie«. Das Klima sei weitestgehend gerettet, auch weil »eine Vielzahl energiearmer Vergnügen, die über die Nachbarschaftsstrukturen allen zur Verfügung stehen« für ein gutes Leben sorge. 

Damit das alles nicht so abstrakt klingt, streut das Autorenkollektiv viele kleine Episoden und Geschichten in die schön gestalteten Texte. »Katia« zum Beispiel berichtet am 20.5.2048, wie sie »mit Nachtzug, Segelschiff und Bus« in den Urlaub gereist sei. Und in einem »Wiki-Eintrag« findet sich die Beschreibung, wie ein Globaler Klimarat die früher so ergebnislosen UN-Klimaverhandlungen ablöste. Dem Kollektiv war natürlich klar, dass sich eine bessere Zukunft nicht per Wunschdenken herstellen lässt. Deshalb listet es für jeden Bereich auf, was es im Jahr 2020 bereits an Initiativen gibt. Die Keimformen für das gute Leben für alle sind also längst vorhanden. Es wäre »nur« mehr politischer und ökonomischer Freiraum nötig, um sie zu skalieren. 

Ein Abschlusskapitel skizziert die Etappen des ökosozialen Umbaus. In einem Zeitpfeil von 2020 bis 2048 schildern die Autoren Ereignisse, die diesen Umbau ermöglichten. Für 2024 ist etwa Folgendes notiert: »Massive Proteste zur Urlaubssaison blockieren Flug- und Schiffshäfen in ganz Europa. Unter den Demonstrierenden finden sich auch Wolfgang Schäuble und Edmund Stoiber, die durch einen Generationenvertrag mit ihren Enkelkindern umgedacht haben.«  


Zukunft für alle
Eine Vision für 2048 – gerecht. -ökologisch. machbar.
Konzeptwerk Neue Ökonomie (Hg.)
oekom, 2020, 104 Seiten
ISBN 9783962382575
9,00 Euro

weitere Artikel aus Ausgabe #62

Photo
von Lara Mallien

Mehr, als der Verstand begreifen kann

Lara Mallien  Uscha und Dagmar, wie seid ihr auf das Thema »Matriarchat« gekommen?Uscha Madeisky  Mitte der 1990er Jahre begleitete ich eine Frauenbildungsreise in die Türkei zur Ausgrabungsstätte Catal Hüyük, mit der Kamera. Die Ausgrabungen

Photo
von Veronika Bennholdt-Thomsen

Gratwanderung zwischen den Weltanschauungen und ihren Wirklichkeiten

»Mit der Erlaubnis unserer Götter, unserer älteren Brüder und unserer Pachamama, unserer Vorfahren, unserer Achachilas [Schutzgeister der Aymara-Gemeinden im Hochland], mit Erlaubnis unserer Patujú, [Blumen-Flagge, symbolisch für das Tiefland Ostboliviens]

Photo
von Nina Negi

»Wir Frauen haben gelernt, uns nährend zu verhalten«

Mir war schon immer klar, dass ich auch später in einem »Matriarchat« leben würde. Meine Familie war von Anfang an matriarchal geprägt; sie bestand aus meiner alleinerziehenden Mutter, meinen zwei Großmüttern und meiner Schwester. Obwohl diese Menschen

Ausgabe #62
Matriarchale Fährten

Cover OYA-Ausgabe 62
Neuigkeiten aus der Redaktion