Permakultur

Düngerproduzent Mensch

Über die Verwendung von Urin als Nährstofflieferant im Gartenbau.von Frank Hofmann, erschienen in Ausgabe #66/2021
Photo
© Ulrike Meißner

Mit geschlossenen Stoffkreisläufen beschäftigte ich mich erstmals im Jahr 2009 bei einem Permakulturseminar. Es war ein Einführungskurs, und an einem Abend stellte uns Dr. agr. Haiko Pieplow als Gastreferent die Theorie und Praxis von Terra Preta vor. Mit dieser Kulturtechnik schafften es die Ureinwohner des Amazonas-beckens, eine große Menschengemeinschaft zu ernähren, obwohl die Böden aufgrund des Klimas eigentlich sehr nährstoffarm sind. Ihr Trick bestand unter anderem in der hygienischen Nutzung von menschlichen Ausscheidungen für den Lebensmittelanbau. Auf diese Art und Weise gaben sie ihren Böden wieder zurück, was sie ihnen zuvor durch die Ernten entnommen hatten, und schlossen so den Stoffkreislauf. Das begeisterte mich und in der Folge setzte ich mich intensiv mit Terra Preta und der Nutzung von Urin als Dünger auseinander. 

Dabei mag der Umgang mit Urin für den einen oder anderen Menschen zunächst einmal befremdlich wirken. Allerdings kommt man über eine eventuelle Ekelschwelle schnell hinweg, wenn man sich bewusst macht, dass der frische (!) Urin eines gesunden Menschen meist frei von jeder mikrobiellen Belastung und – außerhalb der Spargelzeit – jedweden unangenehmen Gerüchen ist. Diese entstehen erst durch den Kontakt mit Bakterien und lassen sich durch einfache Techniken auch weitgehend vermeiden.

Flüssiges Gold

Unser Körper ist eine wunderbare Stofftrennungsanlage, die energiearme und kohlenstoffreiche Feststoffe sowie energiereiche und kohlenstoffarme Flüssigkeiten ausscheidet. In der Flüssigkeit sind sämtliche Mineralien, Spurenelemente, Hormone und Gifte enthalten, die wir vorher zu uns genommen haben und mit denen der Körper nichts mehr anfangen kann.

Dieses Stoffgemisch ist viel zu wertvoll, um es einfach im Klo runterzuspülen, denn es enthält unter anderem die drei Hauptnährstoffe, welche Pflanzen zum Leben benötigen: Stickstoff, Phosphor und Kalium. Darüber hinaus enthält Urin verschiedene Aminosäuren, Hormone, Vitamine und Spurenelemente, welche essenziell für ein gesundes Pflanzenwachstum sind.

Menschlicher Urin ist beispielsweise eine hervorragende Quelle für das Wachstumshormon Auxin. Konkret ist im menschlichen Urin eines der potentesten Auxine zu finden, die Indol-3-Essigsäure. Diese wirkt schon in kleinsten Mengen stimulierend auf die Wurzel- und Blüten-entwicklung. Bei dieser gehaltvollen Zusammensetzung ist es kein wirkliches Wunder, dass Wissenschaftler auf der ganzen Welt bestätigt haben, dass Urin bestens als landwirtschaftlicher Volldünger geeignet ist.

Unsere Vorfahren wussten auch ohne Laboruntersuchungen um die Vorzüge und haben die Flüssigkeit im großen Stil gesammelt und auf die Äcker gebracht. Wahrscheinlich hat die gezielte Nutzung als Dünger bereits in der Frühzeit des Ackerbaus begonnen.

Spätestens seit dem Römischen Reich war der Urinhandel ein einträgliches Geschäft – auch, aber nicht nur, für den Staat selbst. Das geflügelte Wort »Pecunia non olet« – »Geld stinkt nicht« stammt aus einer Zeit, als Urin sogar besteuert wurde. Das vorläufige Ende der Nutzung wurde erst durch die Verwendung von bergbautechnisch gewonnenen oder industriell hergestellten Düngemitteln eingeleitet. Heutzutage ist menschlicher Urin lediglich Bestandteil einer im Abwassersystem abgeführten schwarzen und stinkenden Brühe, die teuer aufbereitet werden muss.

Als Gärtner oder Bauer kann man diese Verschwendungskette leicht durchbrechen, indem man den Urin sammelt, an die Pflanzen abgibt und so einen wichtigen Stoffkreislauf wieder schließt. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang jedoch auf die rechtlichen Aspekte der Verwendung von Urin als Dünger in der professionellen Landwirtschaft und im Gartenbau. Während die Anwendung von tierischen Exkrementen als Dünger rechtlich genau geregelt wurde, ist die Anwendung von menschlichem Urin im Land- und Gartenbau derzeit nicht geregelt und liegt somit in einer rechtlichen Grauzone. 

Auf die Ernährung kommt es an

Da die einzelnen Bestandteile des Urins in erster Linie von der persönlichen Ernährung abhängen, sind pauschale Aussagen zur Konzentration der Inhaltsstoffe schwierig. In einer Untersuchung der University of Agricultural Sciences in Bangalore/Indien wurde die Konzentration der wichtigsten Bestandteile des Urins in Abhängigkeit von der Ernährung (vegetarisch/nicht vegetarisch) in verschiedenen Altersgruppen untersucht.

Der pH-Wert schwankt bei einer normalen Ernährung zwischen 4,6 und 7,5; er verändert sich je nach Diätplan. Eiweißreiche Kost verschiebt den pH-Wert mehr in den sauren, und vegetarische Ernährung mehr in den alkalischen Bereich. Bakterielle Infektionen erhöhen den Wert. In der praktischen Anwendung im Garten spielt der pH-Wert keine so große Rolle, da Urin nur in Verdünnung mit Wasser ausgebracht wird. Außerdem reguliert sich der Wert im Boden sehr schnell wieder.

Beim Einsatz in der Hydrokultur ist dagegen penibel auf die Einhaltung des pH-Werts der Nährlösung zu achten. Zu diesem Zweck sollte der Urin zum Beispiel mit pH-Teststreifen getestet werden. Der Wert kann sehr gut etwa durch das Trinken von Kaffee, Zitrussäften oder Essig bzw. durch erhöhten Fleischkonsum gesenkt werden, wenn er – was selten der Fall ist – zu hoch sein sollte. Bei zu niedrigem pH-Wert sollte als erstes der Fleischkonsum entsprechend reduziert werden; außerdem kann auch die Einnahme von alkalisch wirkendem Natriumhydrogencarbonat, beispielsweise »Bullrichsalz«, eine Anhebung bewirken.

Der Gehalt von bestimmten Mineralien im Urin kann ebenso durch eine entsprechende Ernährung beeinflusst werden. Beispielsweise werden nur 10 bis 15 Prozent der Masse von Multimineralpräparaten vom Körper aufgenommen. Der Rest wird mit dem Urin wieder ausgeschieden. Eine solche Pille kann folglich binnen etwa drei Stunden, nachdem sie eingenommen wurde, den Spiegel von Spurenelementen im Urin erhöhen. Phosphor wird von vielen Pflanzen besonders in Samen und Saaten angereichert. Durch das Essen von gerösteten Sonnenblumenkernen oder Nüssen kann entsprechend der Phosphorgehalt im Urin erhöht werden, ebenso durch den Genuss von Hülsenfrüchten, Käse oder Eigelb. Der Kaliumgehalt kann durch Trockenobst, verschiedene Obstsorten wie Aprikose,  Hagebutten, Holunder, Johannisbeere und Nektarine oder Gemüsesorten wie Beinwell, Blumenkohl, Broccoli, Endivie, Feldsalat, Fenchel, Grünkohl, Kartoffeln, Kohlrabi, Löwenzahn, Pastinake, Petersilienwurzel, Rettich, Sellerie, Spinat oder Hülsenfrüchte erhöht werden. Pilze, Nüsse und Kakao, auch in Form von Schokolade, erhöhen ebenfalls den Kaliumgehalt. 

Bitte beachten: Ich empfehle hiermit ausdrücklich nicht, die genannten Lebensmittel zu sich zu nehmen, nur um den Düngewert des eigenen Urins zu erhöhen – schon gar nicht alle zusammen! Für etwaige Magenverstimmungen oder sonstige Schäden ist der konsumierende Mensch selbst verantwortlich.

Unerwünschte Bestandteile

Über genaue Details zur Zusammensetzung des eigenen Urins braucht man sich in der Regel keine Gedanken zu machen, solange man sich ausgeglichen und gesund ernährt. Es fragt sich nur, wer das mit Sicherheit für sich behaupten kann. 

Raucher bringen ihre eigene Last im Urin mit, denn die durch den Rauch aufgenommenen Gifte – unter anderem Schwermetalle wie Cadmium – werden ebenfalls über den Urin aus dem Körper ausgespült. Eine Amalgamfüllung kann den Quecksilberspiegel im Urin erhöhen. Auch ein erhöhter Fischkonsum beeinflusst diesen Wert. Und an die ganzen organischen Verbindungen der Neuzeit, wie die Metaboliten der polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe (PAK), mag man gar nicht denken. Als PAK werden in der Regel Substanzgemische bezeichnet, die aus mehr als hundert Einzelkomponenten bestehen. PAK lassen sich unter anderem in verbrauchernahen Produkten aus Gummi oder Elastomeren finden, beispielsweise auch in Spielzeug für Kinder. 

Ich denke, es muss nicht gesondert erwähnt werden, dass nur unbelastetes Pipi direkt im Beet zum Einsatz kommen sollte. Um das sicher festzustellen, bräuchte man zwar eine umfassende Labor-analyse, doch schon die Beobachtung der -eigenen Lebensgewohnheiten hilft weiter. Im eigenen Interesse sollte während des Konsums von nichtpflanzlichen Medikamenten auf die direkte Ausbringung des Urins ins Beet verzichtet werden. Lässt sich die Einnahme solcher Medikamente nicht vermeiden oder ist eine Belastung mit Giftstoffen bekannt, besteht die Möglichkeit der Aufbereitung des Urins: Durch Fermentierung – darunter versteht man unter Ausschluss von Sauerstoff stattfindende Umbauprozesse mit Hilfe von günstigen Mikroorganismen – und anschließender Kompostierung (aerob) unter Zugabe von Holzkohle werden die meisten Giftstoffe abgebaut oder zumindest in der Holzkohle gebunden.

Die Fermentierung von Urin kann auch ohne die Beteiligung des Komposthaufens sinnvoll sein. Sammelt man den Urin, um ihn später auszubringen, so entwickeln sich spätestens nach einem Tag unangenehme Gerüche. Das liegt daran, dass das im Urin enthaltene Enzym Urease den Harnstoff in Ammonium umwandelt, welcher für den Geruch verantwortlich ist. Durch die Zugabe von circa zwei Prozent Zucker und die Arbeit von ebenfalls zugegebenen Milchsäurebakterien sinkt der pH-Wert des Urins auf 3 bis 4 und die Urease kann den Harnstoff nicht mehr umwandeln; es entsteht kein stinkendes Ammonium. Die Milchsäure-bakterien sind einerseits bereits in der Luft enthalten, können aber auch in Form von beispielsweise nicht pasteurisiertem Sauerkrautsaft, Buttermilch, Kimchi oder Sauerteig hinzugefügt werden. Der so behandelte Urin ist dann über mehrere Monate stabil und lagerfähig.

Die Anwendung als Dünger

Für das Auffangen und Lagern von Urin gibt es die unterschiedlichsten Lösungen. Neben dem einfachen Kanister mit oder ohne Einfüllhilfe gibt es inzwischen sehr komfortable Trenntoiletten in allen Preislagen, welche sich in viele Haushalte leicht integrieren lassen und keinerlei hygienische Mängel erkennen lassen. Bei mir hat der gute alte Nachttopf, den ich mir auf einem Flohmarkt gekauft hatte, wieder Verwendung gefunden. 

Besonders in Gärten hat sich auch die folgende Technik als praktisch erwiesen:  Gegebenenfalls hinter einem Sichtschutz wird ein kleiner Haufen mit trockenem Stroh etwa zwanzig bis dreißig Zentimeter hoch aufgeschichtet. Dieser wird dann als Zielgebiet für das kleine Geschäft genutzt. Das trockene Stroh saugt den Urin auf und speichert die Inhaltsstoffe, nur das enthaltene Wasser verdampft in Abhängigkeit von Nutzungsintensität und Witterung. Durch den hohen Kohlenstoffgehalt des Strohs werden überdies zuverlässig Gerüche gebunden. Sollte es nach einiger Zeit zu stinken beginnen, ist das ein sicheres Zeichen, dass das Stroh seine maximale Speicherkapazität erreicht hat. Es wird dann am besten mit einer Mistgabel entweder auf dem Kompost vererdet oder dünn als Flächenmulch aufs Beet ausgebracht.

Bei einer Ausbringung in flüssiger Form sollte der Urin ungefähr im Verhältnis 1:10 mit Wasser verdünnt werden. Stickstoffliebende Pflanzen, wie Tomaten, können auch mit einer geringeren Verdünnung gegossen werden. Für Jungpflanzen sollte eine höhere Verdünnung von einem Teil Urin auf 20 Teile Wasser als Richtwert dienen. Je nach Ernährungsgewohnheit und der entsprechenden eigenen Urinzusammensetzung kann der Verdünnungsgrad in Abhängigkeit von der behandelten Pflanzenart nach oben oder unten angepasst werden.

Wie auch bei anderem Dünger hilft hier viel nicht immer viel. Bei einer Überdüngung kommt es in der Regel durch den im Urin enthaltenen Harnstoff, welcher den Stickstoff bereitstellt, zu einer chemischen Verbrennung der Wurzeln. Dies liegt an dem Konzentrationsgefälle der Nährstoff-Ionen in der Nährlösung beziehungsweise dem Substrat und dem Inneren der Pflanze. Wenn im Erdsubstrat mehr Ionen gelöst sind als im Pflanzeninneren, dann verliert die Pflanze Wasser. Sie zeigt dies zunächst durch einen kümmerlichen Wuchs und später durch bräunliche Blattränder. Als Lösung für diese Überdüngung bietet sich im Garten eine intensive Wässerung an, um die hohe Nährstoffkonzentration zu verringern. Insbesondere bei Topfkulturen ist dabei auf die Vermeidung von Staunässe zu achten. 

Eine weitere Möglichkeit zur Nutzung von Urin als Dünger im Garten führt über den Komposthaufen. In Verbindung mit kohlenstoffreichen und trockenen Materialien, wie Stroh oder Holzhäcksel, liefert der Urin den notwendigen Stickstoff und die Feuchtigkeit, um die Rotte in Gang zu setzen. Der gut geführte Komposthaufen gleicht dabei einem Bioreaktor, der in der Lage ist, möglicherweise enthaltene Schadstoffe abzubauen und eine Hygienisierung zu erreichen. Aber das wäre ein Thema für einen weiteren Artikel.

Welche Variante man auch wählt, die Verwendung von Urin als Dünger im Garten schließt einen wichtigen Stoffkreislauf und trägt dazu bei, dass die beim Ernten entnommenen Nährstoffe dem Boden wieder zugeführt werden. Schon kurz nach meinem eingangs erwähnten Einführungskurs in die Permakultur habe ich begonnen, meine Topfkulturen mit verdünntem Urin zu düngen. Die Ergebnisse haben mich begeistert. Sogar Tomaten lassen sich in relativ kleinen Töpfen kultivieren. Und auch im Garten möchte ich natürlich nicht mehr darauf verzichten. //


Link zur indischen Studie
kurzelinks.de/urinalsduenger


Frank Hofmann (49) gestaltete und bewirtschaftete in den letzten zehn Jahren mehrere essbare Gärten. Er gibt sein Wissen in Kursen und Beratungen weiter und betreibt den Blog landmensch.net.

weitere Artikel aus Ausgabe #66

Photo
von Matthias Fersterer

Von Krisen und Kreisen

Matthias Fersterer  Theresa, danke, dass du dir Zeit für ein Gespräch nimmst! Es tut mir leid, dass ich hier etwas abgehetzt in den virtuellen Konferenzraum komme, aber es gab gerade noch ein Detail der Kinderbegleitung abzusprechen. Jeden Tag mache ich – wie viele

Photo
von Hanne Tuegel

Draußen ist es anders

Ende der 1970er Jahre wollten sich zahlreiche Männer und Frauen nicht mit dem herrschenden blinden Forscherglauben an den Segen der zivilen Atomkraft abfinden. Sie nutzten ihre akademischen Titel, um »Gegenwissenschaft« zu etablieren und sich mit ihrem Fachwissen in

Photo
von Claus Biegert

Geflochtenes Süßgras

Es war der erste Duft, der mir in die Nase stieg, als ich 1973 erstmals die Welt der Irokesen betrat, und es ist der Duft, den ich bis heute mit dem indianischen Amerika verbinde: Sweetgrass (Hierochloe odorata). Das Süßgras wird zu einem Zopf geflochten, getrocknet und zum rituellen

Ausgabe #66
Kompost werden!

Cover OYA-Ausgabe 66
Neuigkeiten aus der Redaktion