Buchtipps

Wirtschaft ohne Wachstum?! (Buchbesprechung)

von Anja Humburg, erschienen in Ausgabe #15/2012
Photo

Dreizehn Bachelorstudierende der Freiburger Universität veröffentlichten soeben im Rahmen des Projektseminars »Wirtschaft ohne Wachstum?!« einen Sammelband, der die vielfältigen Diskussionsstränge der neuen Wachstumskritiker zusammenführt. Der Band trifft tatsächlich einen wunden Punkt in der Debatte, denn noch stehen die Beiträge zur Postwachstumsdiskussion recht lose nebeneinander. Brücken bauen und gegenseitiges Konfrontieren kontroverser Positionen findet ihrer Jugendlichkeit wegen vor allem auf den Podien und im Gespräch statt. Verschriftlicht ist die Debatte mit ihren Einigkeiten, aber auch ihren Unstimmigkeiten und ihrer Lückenhaftigkeit, erst verhältnismäßig wenig.
Ein Tenor zieht sich dabei durch das ganze Buch: Wandel gelingt nur gemeinsam. Perspektivenwechsel ist hier Programm. Als Leserin freue ich mich über die Sowohl-als-auch-Haltung der Herausgeber, wenngleich mancher Autor sich noch am Entweder-oder-Spirit festklammert. Uniformisierungen sind also nicht der Anspruch dieses Bands. Mit der Auswahl an Texten von Promis der Postwachstumsszene wie Niko Paech und Angelika Zahrnt, aber auch ihren Zöglingen wie Oliver Stengel und Ludwig Schuster fächern die Herausgeber ein breites Spektrum auf. Sie tasten zugleich mögliche Grenzen der Debatte ab und integrieren doch wertvolle Argumente, die eher typisch für andere Kreise sind. Es geht hier nicht um ideologische Grabenkämpfe, sondern um das Zeichnen von Verbindungslinien zwischen den Makro- und Mikroelementen einer Postwachstumsgesellschaft. Strittiges ist durchaus erlaubt. Bewegungen, Schulen und Trends, auch derjenigen, die bisher unter anderen Decknamen liefen, finden Platz und erweitern das Spektrum der Angehörten. Das zeugt von der Wendigkeit der Postwachstumsdebatte.
Das Ergebnis des innovativen Projektseminars, ein 416-seitiges Creative-Commons-Buch, zeugt davon, dass diese Debatte Nachwuchs bekommen hat. Sie ist aus den Vorständen renommierter Forschungsins­titute und Bewegungsorganisationen in Foren, auf Blogs und Facebook-Seiten der Jüngeren angekommen. Auch Boris Woynowski, der das Projektseminar im Wintersemester 2011/2012 initiiert und geleitet hat, ist einer von ihnen. Ihm ist es ein Anliegen, ein »Real-Life-Seminar mit flachen Hierarchien und starkem Wir-Gefühl« ins Leben zu rufen, in dem die Studierenden selbst Erfahrungen machen und etwas Konkretes, Sichtbares produzieren können. Das Buch ist ein gelungenes Beispiel für eine neue Art des Lernens – auch an den Universitäten. In Projektseminaren, die Wissenschaft mit Lebensweltlichem verbinden, kann etwas Neues entstehen, das nicht nur den Studierenden das Verstehen ermöglicht, sondern auch eine Inspirationsquelle für Lehrende und andere Beteiligte ist.
Was ursprünglich als einfacher Reader zur Einführung in die Debatte um Wirtschaftswachstum gedacht war, wurde von den Studierenden umkonzipiert, als sie die Notwendigkeit für einen Beitrag zur Wachstumswende erkannten und sich selbst, über die formalen Anforderungen des Seminars hinaus, daran beteiligen wollten. Als junge Herausgeber nehmen die Umwelt-, Forst- und Naturwissenschaftlerinnen des 5. Semesters eine eigene Rolle ein: in Überleitungen spiegeln sie ihre Diskussionen über die Texte wider und stellen die Beiträge in Beziehung zueinander. Was Boris Woynowski als Wunsch an die Leserinnen formuliert, löst das Lesen des Buchs bei mir tatsächlich aus: »den Mut zu finden, um den Schritt vom Denken ins Handeln zu wagen und gemeinsam mit anderen neue Wege entstehen zu lassen, indem man sie geht«.
Starkes Alleinstellungsmerkmal des Buchs sind ein gutes Dutzend Interviews, die die Studierenden mit den Change-Makern selbst führten. Diese erlauben es, die Charaktere hinter den Thesen und Texten kennenzulernen. Sie erzählen, viel ungeschliffener als in sorgfältig formulierten Artikeln, was ihren Einsatz für eine Wachstumswende motiviert und wann ihre persönliche Initialzündung für das Engagement stattfand. Aber auch die eher Unbekannten kommen zu Wort und verraten, welche Hürden sie auf dem Weg zu suffizienten Lebensstilen, Regionalwährungen und Entschleunigung zu überwinden versuchen. Die Studierenden fragen nach den Erfolgen, nach praktischen nächsten Schritten und bohren tiefer, wenn sie selbst im Gespräch Verwunderliches entdecken. Der Blick auf die Protagonisten dieser Debatte ist neu und von großem Wert, wenn es darum geht, Nachahmer für ihre Ideen zu finden.
Der Sammelband ist eine Schatzkiste längst nicht nur für Einsteiger, die nach einem guten Überblick über zentrale Akteure des Postwachstumsfelds in Deutschland suchen. Insidern, möglicherweise sogar den Autoren selbst, sei das von der wendigen Haltung seiner Herausgeber geprägte Buch empfohlen. Es ersetzt so manches mühselige Zusammenstellen zentraler Postwachstumsliteratur.
Mit dem Buch ist in meinen Augen auch das Bedürfnis verbunden, das im Fokus der letzten Ausgabe von Oya stand: das Zusammenwirken der Generationen. Ohne das ernsthafte Zuhören, das neugierige Nachfragen und eine einfühlsame Toleranz wäre das Buch als Ergebnis eines intergenerationellen Austauschs nicht möglich gewesen.

Wirtschaft ohne Wachstum?!
Notwendigkeit und Ansätze einer Wachstumswende.
B. Woynowski und das Seminar »Wirtschaft ohne Wachstum?!« (Hrsg.)
Institut für Forstökonomie, Universität Freiburg
416 Seiten
ISSN 1431-8261
12,00 Euro

Die Onlineausgabe ist hier kostenfrei als PDF erhältlich.

Die Printversion kann hier per E-Mail bestellt werden.

weitere Artikel aus Ausgabe #15

Photo
von Matthias Fersterer

Dieses Buch sollte mir gestatten, den Konflikt in Nah-Ost zu lösen, mein Diplom zu kriegen und eine Frau zu finden (Buchbesprechung)

»Dieses Buch sollte mir gestatten, den Konflikt in Nah-Ost zu lösen, mein Diplom zu kriegen und eine Frau zu finden«, so der nicht geringe Anspruch, den dieses charmante Büchlein bereits im Titel für sich reklamiert. Dem wird es auch durchaus gerecht, theoretisch

Kunstvon Clara Steinkellner

Klänge aus einer Welt

Die Klanghütte Dresden ist ein zauberhafter Ort des Spielens, der zu einem besonderen Abenteuer einlädt: dem Zuhören.

Spielenvon Geseko von Lüpke

Mensch freue dich

Erst die Arbeit, dann das Vergnügen?Spiel – kaum ein anderer Begriff wird in unserer Sprache in so zwiespältiger Form benutzt. Fast scheint es, als wäre es eine Art Hassliebe, die uns mit dem Spiel verbindet. Fraglos: Jeder Mensch lernt den Umgang mit dem Leben im kindlichen

Ausgabe #15
Spielen? Spielen!

Cover OYA-Ausgabe 15
Neuigkeiten aus der Redaktion