Gemeinschaft

Eine Jurte für die wärmer werdende Welt

Tagebuch aus Kopenhagen: Begegnungen zwischen Trauer und Zuversicht.von Julia Kommerells, erschienen in Ausgabe #2/2010

Donnerstag, 17. Dezember 2009. Morgen sind die Klimaverhandlungen in Kopenhagen zu Ende. Ich sitze in einer original mongolischen Jurte auf dem städtischen Rathausplatz. Heute ist es hier erstmal ruhig, aber man weiß nie, was passieren wird. Wir servieren Tee und laden die Besucherinnen und Besucher ein, zu verweilen, verwickeln sie in Gespräche. Auch Vorträge bieten wir an, z. B. »Was wir von den indigenen Völkern lernen können«, »Wie Kopenhagen bis 2025 CO2-neutral werden will« (das hat die Stadt wirklich vor!). Es gab einen Vortrag über ein Projekt im Senegal, in dem mit Hilfe der Bevölkerung 350 000 Bäume für Gemeindewälder gepflanzt wurden. Ein anders Mal kamen ein Zen-Mönch, ein Bewohner der Ökostadt Auroville und ein Sufi-Meister. Wir haben darüber gesprochen, was aus spiritueller Sicht für den Wandel vonnöten ist.

Gestern kam eine Schulklasse mit Vierzehnjährigen und hat sich auf eine Runde Qi-Gong-Meditation eingelassen. Die Jugendlichen standen eine ganze Viertelstunde mit geschlossenen Augen da. Sogar vier Polizisten kamen herein und machten mit. Der Höhepunkt gestern war jedoch der Besuch des mongolischen Präsidenten mit seinem Stab von Leuten, die alle selbst in einer Jurte geboren wurden. Der Präsident berichtete, in der Mongolei seien bereits 70 Prozent aller Flüsse ausgetrocknet …

Der Ohnmacht etwas entgegensetzen
Es sind berührende Gespräche über die Projekte der Menschen, über den Klimawandel, über die Möglichkeiten, die wir zur Veränderung haben. Viele Kopenhagener kamen in die Jurte und sprachen oft über ihr Ohnmachtsgefühl in Bezug auf den Klimawandel. Dabei kann man so viel tun – zusammen mit Freunden und Nachbarn. Für uns war das stärkste Erlebnis in Kopenhagen: zu sehen, wieviele Menschen schon wirklich großartige Sachen auf dieser Welt tun und wieviele innovative Ideen und Lösungsansätze es gibt. Beeindruckend waren vor allem viele Menschen aus indigenen Kulturen, die berichteten, wie der Klimawandel heute schon ihr Leben verändert.

Trauer und Scham
Sonntag, 20. Dezember 2009. Gestern um 13 Uhr waren die Verhandlungen offiziell beendet – bekanntlich ohne nennenswerte Ergebnisse. Die darauffolgende Demo war beeindruckend: 100 000 Menschen!

Zur Konferenz habe ich sehr gemischte Gefühle. Ein Teil von mir ist zutiefst enttäuscht und auch erschrocken. Diese Konferenz war wahrscheinlich eine der größten Wirtschaftsveranstaltungen aller Zeiten. Es gab dort mehr Lobbyisten von Firmen als Politiker und Vertreter der NGOs. Mit Hilfe unserer Steuergelder durfte hier höchst effektiv am neuen »grünen« Markt gebastelt werden. Doch die verantwortlichen Politiker konnten sich nicht auf das Notwendige für eine lebenswerte Zukunft einigen.

Aus einem Gefühl von Enttäuschung und Schmerz habe ich am Freitag spontan an der Aktion »Climate Shame« teilgenommen. Etwa dreißig Menschen haben sich vor dem Konferenzort, dem »Bellacenter«, die Haare abgeschnitten. Es ist ein altes Ritual, sich als Zeichen tiefer Trauer den Kopf kahlzuscheren. Die Szenerie vor dem Center war gespenstisch: Ganz grau stand das Gebäude da, sah aus wie ein Gefängnis, umgeben von Ödland. Permanent kreiste ein Hubschrauber über uns. Ein Sänger aus Bahrain besang herzzereißend den Völkermord in seinem Land. Die Polizei zog ihren Kreis um den Platz enger. Eisiger Wind von hinten und eine stumpfe Schere. Vor mir riesige Fernsehkameras. Jetzt sollte ich etwas dazu sagen, warum ich das hier tue …

Hoffnung und neuer Elan
Die andere Seite in mir möchte gerne hoffen und das Positive sehen. Ein Besucher der Jurte fiel mir besonders auf, ein großer, elegant gekleideter Mann. Er erschien mehrmals, einfach um still dazusitzen. Als er einmal unser einziger Gast war, kam ich mit ihm ins Gespräch. Er ist der Gründer von »Environmental Parliament«, einer Organisation der EU und der UN, die dafür sorgt, dass Umweltthemen auf der Tagesordnung der Parlamente bleiben. Als Diplomat war er direkt in die Verhandlungen einbezogen. »Es wird keinen Abschluss geben, die Gier und der Egoismus der einzelnen Staaten verhindert das«, meinte er. Tage später traf ich ihn dann als einen Menschen wieder, der sichtlich viel gekämpft hatte, aber heiter und zufrieden war. Aus seiner Sicht hat sich doch sehr viel bewegt. So ist nun erstmals von allen Staaten anerkannt worden, dass der Klimawandel Realität ist.

Ich gehe mit der Idee schwanger, die Jurte im Juli bei der nächsten Konferenz in Bonn aufzustellen. Dieses Mal jedoch mitten in der Konferenz, als Teil des »Environmental Parliament«. Sie soll ein Ort sein, den es sonst auf solchen Konferenzen nicht gibt; ein Ort, der Herzenstüren öffnen kann und andere Gespräche zulässt.

Zu Hause wartet nun wieder das Leben im Ökodorf. Hier geht unsere Initiative »Energiewende Region Beetzendorf« in die zweite Runde. Wir alle können mit unseren Freunden und Nachbarn kleinere und größere Projekte umsetzen, die unser Umfeld menschlicher und umweltfreundlicher machen. Dafür braucht es kein Warten auf eine Regierung, es braucht nur den Mut, Fragen zu stellen und gemeinsam zu träumen, wie wir eigentlich leben wollen.


Julia Kommerell (39), Illustratorin, Grafikerin, lebt seit 2000 im Ökodorf Sieben Linden und ist dort für Öffentlichkeitsarbeit zuständig.

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