Aus möglichst ökologischen Materialien kluge Werkzeuge entwickeln, die andere nachbauen können: Die Saftstraße aus dem Dorf Gatschow ist nach diesem Allmende-Prinzip entstanden.von Lara Mallien, erschienen in Ausgabe #24/2014
Jedes Herbstwochenende ist ein Fest: Nachbarn und Freunde oder auch Gruppen wie die Mitglieder einer Einkaufskoop oder einer Transition-Town-Initiative kommen nach Gatschow. Sie ernten »Freiobst« an verwaisten Bäumen im Dorf und in den Alleen am Straßenrand und stellen ihre »Saftstraße« auf. Dann wird gemostet, köstlicher frischer Saft verkostet, gemeinsam gekocht und am Feuer gefeiert. »Nehmt so viel Saft mit nach Hause, wie ihr transportieren könnt!«, ermutigen die Gatschower ihre Gäste. Nicht, weil sie damit verdienen – das Ganze ist eine unkommerzielle Aktion. Es geht um lokale gemeinsame Produktion jenseits des Markts. Diese Logik soll sich auch in den verwendeten Geräten widerspiegeln. Stefan Raabe, der im alten Bauernhaus des Landkombinats Gatschow wohnt, ist Werkzeugmacher. Mit dem Beginn der Saftaktionen entstand bei ihm und Mitstreitern aus dem Projekt WikiWoods, das vor Ort schon mehrfach zu Baumpflanz-Aktionen eingeladen hat, die Idee für eine selbstgebaute Saftpresse. »Wir hatten schon ein paar Stahlträger auf dem Hof liegen«, erinnert sich Stefan. »Das Konstruktionsprinzip haben wir uns von Modellen abgeguckt, die auf dem Markt für viel Geld zu kaufen sind. Es war schnell klar, dass wir es nachbauen und verbessern können.« Dabei geholfen hat unter anderen Ingo Frost, Kognitionswissenschaftler, der sich bei WikiWoods und für den Aufbau der Transition-Town-Initiative Eberswalde engagiert. Dank seiner Initiative ist der Bauplan der Saftpresse im Internet offen zugänglich. Die ersten Versuche zeigten, dass die Konstruktion noch stabiler gemacht werden musste und dass es für die Verarbeitung größerer Mengen ratsam war, einen druckluftbetriebenen Wagenheber anzuschließen. Zur Saftstraße gehörten noch ein gebraucht gekaufter Schredder für Futtermittel, der Äpfel und Birnen, aber auch Rote Bete und Karotten in pressbare Maische verwandelt, eine handbetriebene Kartoffelwaschmaschine aus DDR-Zeiten zum Säubern der Äpfel und ein alter Waschkessel zum Pasteurisieren des Safts. »Einen offenen Bauplan für den Pasteurisierer zu erarbeiten, wird unser nächstes Projekt«, erzählt Ingo. »Im Handel gibt es keine Pasteurisierer, die wie unser Wäschekessel mit Holz zu heizen sind. Durch das Wasserbad führt ein Edelstahlschlauch. Die Temperatur wird geregelt, indem der Ausfüllhahn zu- oder aufgedreht wird, so dass der Saft schneller oder langsamer fließt.« Inzwischen arbeiten auch der Karlshof in Templin, die Gemeinschaft Klein Hundorf und die Eberswalder Transition-Town-Initiative »WandelBar« mit Pressen, die in einem Bau-Workshop vor Ort mit Unterstützung von Stefan und Ingo entstanden sind. So fanden dieses Jahr auch in Eberswalde »Safttage« statt.
Wissen nutzt viele Pfade Für Allmende-Werkzeuge, die eine ökologische Lebenspraxis unterstützen, hat sich der englische Ausdruck »Open Source Ecology« eingebürgert. Unter dieser Bezeichnung begann der Farmer und Physiker Marcin Jakubowski aus den USA im Jahr 2003 eine »Konstruktionsanleitung für ein globales Dorf« ins Internet zu stellen. In seiner Werkhalle wurden vom Open-Source-Traktor bis zur Lehmziegelpresse schon eine ganze Reihe von Geräten entwickelt und dokumentiert. Ein engagiertes Team hat auch eine deutsche Seite, www.opensourceecology.de, erstellt. Hier gibt es noch keine Bauplansammlung, es geht zunächst ums Verbreiten der Idee. Nachrichten von Open-Source-Projekten wie der Gatschower Saftstraße weisen auf die jeweiligen Quellen hin. Stefan und Ingo meinen, dass das Internet für die Verbreitung von Allmende-Öko-Technik nicht ausreicht. »Welche Arten von Wissensvermittlung gibt es noch?«, fragt Ingo. »Wir waren mit Leuten von WikiWoods gerade in Rumänien, um zu lernen, wie dort Nahrungsmittel konserviert werden. Was ist der beste Weg, solches Wissen mit anderen zu teilen?« Die offene Dokumentation im Netz ist eine wichtige Geste, aber noch wesentlicher scheinen lebendige Begegnungen zu sein – eine Gemeinschaft, die zusammen Dinge erfindet, optimiert und erprobt. Stefan möchte daher seine Metallwerkstatt noch besser für eine kollektive Nutzung ausbauen. Eine große Scheune wartet darauf, ein kreativer Entwicklungsraum für ökologische Allmende-Technik zu werden. •