Moderne Messerschleifer pflegen Solidarität in der Tradition ihrer Innung.
von Ulrike Meißner, erschienen in Ausgabe #33/2015
Der Messerschleifer meines Vertrauens hat mit seinem Satz »Zu meinen Anfangszeiten gab es wesentlich mehr Meister meines Fachs« den Anstoß zur Wahl des Themas dieser Oya-Ausgabe gegeben. Doch meine Frage nach einem Interview mit ihm stieß auf wenig Begeisterung. Werbung könne er nicht gebrauchen, die Arbeitstage seien auch so schon viel zu lang. Das hörte ich nicht zum ersten Mal von einem Handwerksmeister. Gibt es inzwischen zu wenige fachkundige Leute? Sein »Obermeister« ist aber bereit, mich zu empfangen. Was sich hinter diesem Titel verbirgt, ist mir zunächst schleierhaft, doch bei einem Werkstattbesuch lerne ich Obermeister Stefan Stange persönlich kennen und erhalte Einblicke in ein Netzwerk mit langer Geschichte – und in einen Beruf, der für Ressourcenschonung par excellence steht: Ein langlebiges Messer, immer wieder nachgeschliffen, ersetzt viel Wegwerfware. Durch einen kleinen Laden mit verschiedensten Messern und Scheren geht es in die schmale Werkstatt – auf der einen Seite die Werkbank, auf der anderen erstaunlich große Maschinen. Die Universalschleifmaschine schärft Schneidwerkzeuge aller Art für industrielle Prozesse. Auch spezielle Maschinen zum Schleifen von Kreissägeblättern stehen hier. Der Beruf des Messerschleifers und Messermachers, in der heutigen Bezeichnung »Schneidwerkzeugmechaniker«, beinhaltet heute nur noch zum Teil das Handwerk aus früheren Zeiten. Am Ende der Werkstatt steht das, was ich mir vorgestellt hatte: von Elektromotoren angetriebene Schleif- und Polierscheiben sowie ein gut sortiertes Regal mit den verschiedensten Kleinteilen, die zur Herstellung und Reparatur von Messern und Scheren gebraucht werden – Klingenrohlinge beispielsweise, Holz für Messerhefte, Nieten. In einem weiteren Regal liegt alles, was die Kunden angeschliffen haben möchten: Küchenmesser, Frisörscheren, Zahnarztinstrumente, Rasenmähermesser, Nagelscheren, auch Biopsiezangen, Skalpelle, Sägeblätter oder bis zu einem halben Meter lange Kuttermesser aus der Wurstproduktion. Beim Schleifen eines Küchenmessers darf ich zusehen: Mit dem Nassschleifband wird die Schneide erst in Form geschliffen und geschärft. Dann poliert der Meister das Messer mit einer rotierenden Wollfilzscheibe und entgratet es. Schließlich wird es zur Verhinderung von Korrosion auf Hochglanz poliert und mit Kreidepulver entfettet. Es folgt – extra für mich – der Tomaten-Test: Wenn ein Messer mit leichtem Druck und ohne »Sägen« durch die Tomatenschale sinkt, ist es scharf. Ein aus hochwertigem Material hergestelltes Messer hält, unterstützt von einem Wetzstahl, lange seine Schärfe. Ist es einmal richtig stumpf, hilft auch der Wetzstahl nicht mehr, und es empfiehlt sich der Weg zum Messerschleifer. Ist das Lieblingsmesser wieder in optimalem Zustand, macht auch das Tomatenschneiden wieder Spaß.
Ein Weg zum Meister Stefan Stange hat die Messerschmiede-werkstatt seines Großvaters übernommen. Schon als Kind konnte er mit in die Werkstatt gehen und sein Interesse an dieser handwerklichen Präzisionsarbeit entdecken. Auch die Perspektive auf eine mögliche Werkstattübernahme gefiel ihm, und so absolvierte er eine Lehre als Instrumentenschleifer. Da die Meisterausbildung damals Voraussetzung für eine Selbständigkeit war, begann er in der Wendezeit diesen Weg. Seit dem erfolgreichen Abschluss darf er sich »Schneidwerkzeugmechanikermeister« nennen. Erfahrungen sammelte Stefan Stange anschließend bei einer Anstellung in der Messerstadt Solingen und als Werkstattleiter bei seinem Lehrmeister, bevor er sich 1993 mit der Werkstatt seines Großvaters auf eigene Füße stellte. Heute beschäftigt er drei Mitarbeiter; ab Herbst wird er seinen zweiten Lehrling ausbilden. Für ihn als Betriebsleiter seien 60 Stunden Wochenarbeitszeit die Regel, erfahre ich, dennoch sei er mit seinem Leben zufrieden. Er tue genau das, was er gerne tut. Seine Arbeit sei vielseitig und durchaus anspruchsvoll. Sie erfordere technisches Verständnis dafür, wie die instandzusetzenden Werkzeuge genutzt würden. Immer wieder seien auch die eigene Kreativität und gute Materialkenntnis gefragt – zum Beispiel, wenn altes Besteck oder besondere Messer restauriert werden sollen.
Ein Netzwerk mit Tradition Den Titel des Obermeisters trägt Stefan Stange als ehrenamtlicher Vorsitzender seiner Innung, dem mehr als 450 Jahre alten Verbund von Messerschmieden und -schleifern in und um Dresden, mit Stolz. Er organisiert den Kontakt und die Treffen der Mitglieder. Stange engagiert sich auch als Vorstandsmitglied im Fachverband Deutscher Präzisions-Werkzeugschleifer, der politischen Vertretung seines Stands im ZDH (Zentralverband des Deutschen Handwerks). Zeitweise schrieb das Gesetz die Mitgliedschaft der Messerschleifer in ihrer Innung vor. Heute ist das nicht mehr der Fall; mit ihren 17 Mitgliedern bietet die Innung vor allem persönliche Begegnung und fachlichen Austausch. Bei monatlichen Treffen werden Probleme besprochen – und manchmal auch Verbesserungen für die Werkstätten ge- oder erfunden. Auch Hilfe für von Hochwasser betroffene Werkstätten von Kollegen konnte geleistet werden. Außerdem wird gemeinsam der Einkauf von Betriebsmitteln organisiert, was zu günstigeren Konditionen für alle führt. Manche Schärf-Aufträge, die spezielle Maschinen erfordern, tauschen die Innungsbetriebe untereinander aus, da nicht in allen Werkstätten jede Technik vorhanden ist. [Bild-2]Von den Handwerksmeistern wird zu besonderen Gelegenheiten auch eine historische Schauwerkstatt im Barockschloss Rammenau betrieben, bei der die Messerschleifer-Praxis aus dem 19. Jahrhundert zu sehen ist. Hier werden die Schleifscheiben mittels Transmissionsantrieb, also von einer einzigen motorisierten Welle, in Bewegung gehalten. Vor noch längerer Zeit nutzte man oft Wasserkraft für den Antrieb. Während im deutschsprachigen Raum in der Regel vor den Schleifmaschinen sitzend gearbeitet wurde und wird, gibt es anderswo auch andere Techniken. In Frankreich beispielsweise lagen die traditionellen Messerschleifer auf einem Brett über dem Schleifstein. Die Schärfe besorgen heute anstelle des Sandsteins industrielle Schleifmittel. Eine Masse aus Kunstharzen oder Keramik hält die extrem gleichmäßigen Schleifkörner aus Siliciumcarbid, Diamant oder anderen Mineralien zusammen. Da kann der natürliche Sandstein nicht mithalten. Wie könnte nun zeitgemäßes Messerschleifen in einer weniger industrialisierten Gesellschaft aussehen? Die erste Frage dabei wäre wohl, wo es Gesteinsschichten gibt, die wirklich gute Schleifmittel abgeben. Dann bräuchte es die Fertigkeit und das Wissen, wie aus einem großen Steinbrocken ein Schleifstein herzustellen ist …
Handwerk heute Das manuelle Schleifen von Schneidwerkzeugen lebt heute in Kombination mit vielen maschinengesteuerten Präzisionsarbeiten für die Industrie weiter. Die Zukunft seines Berufs sieht Stefan Stange nicht gefährdet. Gegessen und gekocht werde immer, so dass er keine Sorge hat, dass ihm irgendwann die Arbeit ausgehe. Auch hegt er die Hoffnung, dass der »immer billig, immer neu«-Trend bald zurückgehe und die Menschen wieder vermehrt zu hochwertigen, aufarbeitbaren Werkzeugen greifen werden. Eher Anlass zur Sorge gebe die demografische Entwicklung: Zu wenige Lehrlinge ergreifen den Ausbildungsberuf. Die Innung und der Fachverband bemühen sich, dessen Attraktivität beispielsweise bei Ausbildungsmessen und durch die Internetseite »scharfhoch2« zu zeigen. Im Rahmen der Innung können Lehrlinge auch andere Werkstätten kennenlernen, um dort zusätzliche Erfahrungen zu sammeln. Heute ist die Meisterausbildung aufgrund politischer Entscheidungen nicht mehr die Voraussetzung dafür, einen eigenen Betrieb zu führen. Auch kann direkt nach der Lehre mit der Meisterschule begonnen werden – eine Entwicklung, die Stefan Stange nicht für gut befindet. Als Voraussetzung für einen Meistertitel sieht er langjährige Erfahrung, die eben nur durch das Ausüben des Berufs in all seinen Facetten erlangt werden kann. Ein solides Verständnis für sein Metier und ein wirtschaftlich gesunder, eigener Betrieb führen dazu, dass ein Messerschleifer wie Stefan Stange im Gruß seiner Zunft stolz »Gut scharf!« sagen kann. •