Titelthema

Postkollapsfähig? So einfach nicht!

Die Autorinnen und Autoren der Heft-Beiträge über die diversen ­Konservierungsmethoden haben auch über die technischen Voraussetzungen nachgedacht. Hier ihre Analyse.

Gummiringe

▶ Einkochen (Seite 20)
Einkochen ist eine großartige Technik. Doch wie kommt der verflixte Gummiring auf eine menschen- und naturfreund­liche Weise ins Haus? Gummibänder, Handschuhe, Kondome und sogar Matratzen gibt es aus ökologisch angebautem, fair gehandeltem Naturkautschuk, Einweckringe aber noch nicht. Erste Plantagen sind mit dem »Forest Stewardship Council«-Siegel zertifiziert, und Initiativen wie der »Fair Rubber e. V.« setzen sich für die Ausweitung der ökologischen Anbauflächen und gute Arbeitsbedingungen ein. So ein Verein hat freilich kaum Einfluss auf die konventionellen Produzenten, die den üblichen Wachstumszwängen ausgesetzt sind.
Während die Firma »Weck« bei einer Kautschukkrise ein Rezept für Silikonringe aus der Schublade ziehen würde, das immerhin auf hiesigem Quarzsand basiert, aber einen zwanzigmal höheren Energieeinsatz erfordert, tüfteln Forscher der Universität Münster an einem nachwachsenden Gummirohstoff, der in unseren Breiten auch auf kargen Böden gedeiht: Aus dem Wurzelsaft des Russischen Löwenzahns gewinnen sie im Labor Kautschuk. Sie kooperieren mit dem Reifenhersteller Continental – das klingt nicht so, als sei eine dezentralen Produktion im solidarischen Stil angestrebt.
Folgt man den Gedanken des Oldenburger Wachstums­kritikers Niko Paech, dann ist davon auszugehen, dass eine in ihrer industriellen Leistung stark reduzierte Postwachstumsökonomie immer noch eine grundlegende Infrastruktur etwa für die Herstellung von Gläsern oder Gummiringen bietet. Doch wie soll man sich eine Degrowth-Gummiringfabrik vorstellen? Niko Paech meint dazu: »Der große Unterschied einer Degrowth-Gummiringfabrik ist, dass sie nicht nur die Produktion verändert, sondern auch die Nachfrage selbst. Es wäre nicht so, dass sie weniger oder teurer produzieren würde, das würde zur Abwanderung der Kunden an die Konkurrenz führen. Stattdessen betreibt sie ›Prosumentenmanagement‹ – sie hält die Konsumenten also davon ab, weiterhin Konsumenten zu sein, zum Beispiel indem sie Workshops zu einem möglichst werterhaltenden Umgang mit Gummiringen anregt. Ein Supermarkt hätte am besten auch eine Küche zum Verarbeiten und Haltbarmachen von Lebensmitteln für zu Hause. Möglichkeiten und Wissen zu vermitteln, hilft, einen Teil der Produktion zu deindustrialisieren.«  ◆

 

Gläser

▶ Einkochen/Fermentieren (Seite 20 und 30)
Weckgläser, Marmeladengläser, Saftflaschen – Vorratshaltung ohne Glas ist heute undenkbar. Aber erst die Industrialisierung hat Glas in alle Haushalte gebracht. Zwar stammt die Technik der Glasbläserei aus der Antike, doch war ein Glasfläschchen damals etwas Exquisites für reiche Leute. Apfelsaft hätte man darin nicht aufbewahrt, eher ein kostbares Öl zur medizinischen Anwendung. Als im ausgehenden Mittelalter die Glashütten größer und effizienter wurden, begann man, Flaschenglas zur Lagerung von Getränken einzusetzen, aber auch das galt als Luxus. Erst seit dem 18. Jahrhundert begann sich das zu ändern.
Glas ist ein ungiftiger, unkomplizierter Rohstoff, doch die Glasschmelze erfordert hohe Temperaturen, mindestens 1400 Grad Celsius. Entsprechend muss gefeuert werden. Wie würde eine postfossile Produktion diese Herausforderung meistern? Mittelalterliche Glashütten hinterließen Kahlschlag und zogen zur nächsten waldreichen Gegend weiter (siehe Oya Ausgabe 33). Heute benötigt die Herstellung von Glas und Keramik in Deutschland immerhin gut zweieinhalb Prozent der jährlich verbrauchten Primärenergie. Das hört sich überschaubar an. Niko Paech würde vermutlich sagen, dass die Glasindustrie zum erhaltenswerten Teil einer Postwachstumsökonomie gehört. Auf jeden Fall würde eine Gesellschaft, die einen ökologischen Barfußabdruck anstrebt, in jedem Glas einen Wertgegenstand sehen.  ◆

 

Edelstahl

▶ Brennen (Seite 52)
Die Maische in den Brennanlagen der Kleinbrennerei Kehret lagert in Edelstahltanks der Firma Speidel und Graf. Der Edelstahl wird aus Deutschland bezogen, das darin verarbeitete Eisenerz kommt mit hoher Wahrscheinlichkeit entweder aus China, Brasilien, Australien oder Indien – gut 80 Prozent dieses Rohstoffs werden in diesen vier Ländern gefördert. Edelstahl ist eine Legierung aus Eisen, Nickel und Chrom, versetzt mit den Elementen Molybdän oder Magan zur Unterstützung der Wirkung des Chroms – dieses schützt vor Rost. Es wird aus dem Gestein Chromit gewonnen und vorwiegend in Indien und Südafrika abgebaut. Es gibt aber auch in Osteuropa Lagerstätten, etwa in Albanien und auch in der Türkei. Nickel, das den Stahl gegen Säure resistent macht, gehört zu den Seltenen Erden. Weltweit wird pro Jahr mehr als eine Million Tonnen gefördert. Prognosen, wie lange der Vorrat reicht, vari­ieren zwischen 70 und 170 Jahren. Wie enkeltauglich ist also der vielgepriesene Edelstahl? Wie alle metallur­gischen Prozesse benötigt auch die Stahlherstellung enorm viel Energie. Neben dem Stahl gehören auch diverse Kleinteile zu den Tanks, wie Ventile oder der gläserne Gärspund. Sie werden aus dem europäischen Ausland importiert.  ◆

 

Hygrometer, Thermometer

▶ Keller (Seite 36)
Wer es mit der Lagerung von Gemüse im Keller ernstmeint, braucht ein Thermometer und ein Hygrometer. Heute sind diese Produkte meist »Made in Taiwan«. Dabei ist die handwerkliche Herstellung vor Ort kein großes Problem. In Thüringen, dem Land der Glasbläser, hatte die Thermometerherstellung in Heimarbeit eine lange Tradition. Kleine Werkstätten waren mit Blasebalg und Gebläselampe und einem  Einbrennofen ausgestattet. Heute werden statt des giftigen blauen Quecksilbers verschiedene andere Flüssigkeiten verwendet, zum Beispiel Ethanol. Selbst mit Wasser funktioniert das Prinzip: Warme Flüssigkeit dehnt sich aus und steigt in einem schmalen Rohr schnell nach oben. Mit gefärbtem Wasser und einem Strohhalm können sich Kinder ein Thermometer basteln – zumindest bei Plusgraden funktioniert es.
Da ist es mit einem Feuchtigkeitsmesser, einem Hygrometer, schon etwas komplizierter. Kernstück eines traditionellen Absorptionshygrometers ist ein menschliches Haar. Wird es feucht, dehnt es sich aus. Der Unterschied der Haarlänge bei 0 und 100 Prozent Luftfeuchtigkeit beträgt etwa zweieinhalb Prozent. Es gibt diverse feinmechanische Manufakturen, die hierzulande Hygrometer und andere meterologische Messgeräte bauen. Eine bodenständige Lösung bietet die »Wetterdistel«. Die äußeren Blütenblätter einer getrockneten Silberdistel falten sich bei erhöhter Luftfeuchtigkeit ein, um den Korb der Blüte in ihrer Mitte vor Regen zu schützen. Sie krümmen sich, weil ihre Unterseite mehr Wasser aufnehmen kann als die Oberseite des Blatts.  ◆

 

Elektronenmikroskop

▶ Bifid Bakt (Seite 34)
Der größte Teil unseres Wissens über mikrobielle Vorgänge stammt aus wissenschaftlichen Laboren, deren Geräte den Höchststand der industrietechnischen Leistung der Menschheit markieren. Schon die ersten Mikroskope, die zu Beginn des 17. Jahrhunderts von holländischen Brillenschleifern entwickelt wurden, waren komplexe Geräte, die ohne den um sich greifenden Kolonialismus nicht möglich gewesen wären. Welche materiellen und kognitiven Ressourcen nötig sind, um ein modernes Elektronenmikroskop zu bauen, lässt sich im Detail kaum noch nachvollziehen – in Oya Ausgabe 24 sind wir schon daran gescheitert, dies für einen simplen Laptop-Computer aufzuschlüsseln.
Ist uns dieser enorme Preis für das exakte Wissen wert? Ist es für uns essenziell, das Bifidobakterium bis auf Molekülebene sehen zu können und sein Genom vollständig entziffert zu haben? Oder wird unser heutiges Wissen einst nur noch in Epen an Lagerfeuern besungen werden, weil die hochauflösende Abbildungstechnik aller Nachhaltigkeit Hohn spricht?  ◆

 

Tontopf

▶ Fermentieren (Seite 30)
Dass zur Herstellung von milchsauer eingelegtem Gemüse nichts weit als ein Tontopf nötig ist, klingt zunächst nach maximaler Ressourcenschonung. Schwierig wird es erst beim Brennofen. Damit ein Gärtopf, zum Beispiel für Sauerkraut, säurebeständig ist, sollte er nämlich aus Steinzeug sein. Dieses wird bei 1200 bis 1300 Grad Celsius gebrannt, das benötigt viel Energie. Industriell gefertigte, mit Strom betriebene Brennöfen gehören heute zum Standard einer Töpferwerkstatt. Auch der so traditionell und romantisch wirkende Gärtopf ist deshalb mit der maschinisierten Moderne aufs engste verbunden. Selbstverständlich ließe sich auch ein holzbefeuerter Brennofen nach traditionellem Vorbild bauen. Der bräuchte allerdings eine Menge Holz. Wird sich eine enkeltaugliche Gesellschaft auf handwerkliche Fertigung mit Hilfe regionaler Materialien besinnen? Dann wird sie besonderes Augenmerk auf die pflegende Nutzung der Wälder legen müssen. Wenn mit Holz gebaut, geheizt und Ton gebrannt werden soll, wird sehr viel davon benötigt. Wo soll das wachsen?  ◆

 

Mückennetz, Solar-Ventilator

▶ Trocknen (Seite 26)
»Um das Dörrobst vor Insekten zu schützen, wirft man ein Mückennetz darüber.« Das sagt sich so leicht, und schnell ist eines im Internet bestellt. So ein Netz benötigt aber die gesamte heutige Industrie, vom Erdölbohrer angefangen über die Raffinerie, den ganzen Maschinenpark, um die Spinndüsen herzustellen, die Logistik, den Handel und so fort. Denn heutige Mückennetze bestehen aus Kunststofffäden, die auf Hightech-Maschinen verwebt werden. Die Alternative aus Baumwolle ist kaum besser: Unter hohem Pestizid-Einsatz unter problematischen Arbeitsbedingungen angebaut, wird die Baumwolle auf denselben Maschinen gesponnen und gewebt. Das postkollapsfähige Spinnrad hilft da nicht viel.
Der Tunneltrockner ist gewiss ein effektives Gerät. Doch das Solarmodul für den Ventilator benötigt Aluminium – ein Produkt des weltweiten Extraktivismus – und Siliziumscheiben mit den aufgedampften Leiterbahnen. Um letztere herzustellen, kommt man um Spitzenleistungen der Elektronik- und der Reinraumindustrie nicht herum.
Einen kleinen Elektromotor kann man zwar selbst zusammenbasteln; das wurde lange Zeit in Manufakturen bewerkstelligt. Doch dazu ist neben anderen Bergbauprodukten vor allem Kupfer vonnöten. Allein die Kupferschmelze in einem modernen Hochofen verschlingt so viel elektrischen Strom wie eine ganze Kleinstadt. Und wer hat schon in seiner Werkstatt all die Geräte stehen, die für die Anfertigung einer Welle und der nötigen Lager geeignet sind – von der Herstellung der nötigen Magneten ganz zu schweigen?  ◆

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