von Dieter Halbach, erschienen in Ausgabe #46/2017
»Demokratie – die Unvollendete« ist ein wunderbares Buch zur rechten Zeit. Viele Menschen fühlen sich nicht gehört und ohnmächtig, was vorhandene antidemokratische Haltungen weiter verstärkt. Ute Scheubs »Plädoyer für mehr Teilhabe« – so der Untertitel –ist eine Vorwärtsverteidigung der Demokratie anhand vieler Ideen und praktischer Beispiele für mehr Partizipation. Diese reichen von der direkten Demokratie der Schweiz über Beispiele von gelungener Bürgerbeteiligung bis hin zu neuen Ansätzen für Europa und die UN. Das ist aber noch nicht alles. Die Autorin begründet Demokratie aus der Natur des Menschen als einem »Resonanzwesen«: »Unsere Stimmen erklingen in einem Raum voller gespitzter Ohren, die aufeinander hören, voller Augen, die sich ansehen – daher unser tiefes Bedürfnis nach An-Sehen. Demokratie ist ein Klangkörper. Ein sinnlicher, geistiger und emotionaler Raum der Verständigung.« Sie bezieht sich dabei auf die Resonanzforschung des Sozialphilosophen Hartmut Rosa. »Die neuzeitliche Demokratie«, schreibt dieser, »beruht auf der Vorstellung, dass sie jedem Einzelnen eine Stimme gibt und sie hörbar macht, so dass die politisch gestaltete Welt zum Ausdruck ihrer produktiven Vielstimmigkeit wird«. Resonanz, sagt Rosa, bedeutet »nicht Einklang oder Harmonie, sondern Antwort, Bewegung, Berührung, tönendes Widersprechen«. Um die tiefgehende Resonanzstörung zwischen Regierenden und Regierten zu beseitigen, bräuchten wir Volksabstimmungen, per Auslosung bestimmte Bürgerräte, Bürgergutachten und auch andere Wahlformate. Am Ende des Buchs formuliert Ute Scheub ein Plädoyer für die Demokratie als ein »gemeinsames Wunschkonzert«: »Im Gegensatz zu allen anderen Staatsformen ist allein die Demokratie in der Lage, sich stetig weiterzuentwickeln, und in der Pflicht, die Wünsche des Volkssouveräns zum Ausdruck zu bringen. Nur sie kann seine Vielstimmigkeit ertönen lassen. Vielstimmigkeit – das bezieht sich auch auf ihre Formen. Direkte Demokratie ergänzt sich wunderbar mit konsultativer und repräsentativer. Jede ergänzt die andere […] Durch Vielstimmigkeit wird Spannung erzeugt und wieder abgebaut. Das macht Demokratie erlebbar, attraktiv und gehaltvoll.« Klingt das alles zu schön, um wahr zu sein? Die Autorin ist sich dessen bewusst, dass Resonanzfähigkeit geübt werden muss: »Natürlich ist nicht jede Aufführung der neuen demokratischen Formen immer gleich gelungen. Wie bei Musikdarbietungen müssen die Beteiligten vorher üben, ihre Instrumente pflegen, Stimmbildung betreiben. Sie müssen die Chance erhalten, den demokratischen Klangkörper selbst zu erzeugen, sie müssen ganz genau aufeinander hören und sich einspielen.« Die meisten Menschen kennen dies aus der alltäglichen Lebenspraxis. »Selbstregieren bedeutet im Kern: beständig mit allen zu reden, immer auf der Suche nach Gemeinsamkeit und Verständigung. Das beginnt am familiären Küchentisch und endet in der UNO.« Die Veranschaulichung eines möglichen Gelingens von Demokratie auch auf größeren Ebenen ist die Stärke dieses Buchs. Demokratie könnte viel mehr Spaß machen! Dass Ute Scheubs Plädoyer zudem noch über den Herausgeber, den Verein »Mehr Demokratie«, kostenlos (aber gerne mit einer Spende) zu erwerben ist, macht es zu einer stimmigen politischen Initiative, der wir alle unsere Ohren und Herzen leihen sollten!
Demokratie – die Unvollendete Plädoyer für mehr Teilhabe. Ute Scheub oekom, 2017, 112 Seiten