Wie ein selbstverwalteter Betrieb seinen sozialen Unternehmer fand und wieder Allmende wird.von Lara Mallien, erschienen in Ausgabe #13/2012
Das österreichische Waldviertel war das China der 60er Jahre – ein Niedriglohnland, traditionell ein Schwerpunkt der Textilindustrie. Die Schuhindustrie stand am unteren Ende der Einkommensstatistik. Doch in Zeiten der beginnenden Globalisierung machten selbst die Waldviertler Löhne die Produktion im Inland unrentabel. Reihenweise wanderten die Firmen im Lauf der 80er Jahre in Billiglohnländer ab. Gerade weil so viele Schuhfabriken schließen, sollten wir eine aufmachen – wo finden all die Lehrlinge der Berufsschule sonst Arbeit? So dachte Karl Immervoll, Religionslehrer und Pfarrer aus dem Waldviertel, der als »linker Katholik« in den Nachwehen der 68er Jahre in der Kirche schon für Wirbel gesorgt hatte. Im Jahr 1984 gründete sich auf seine Initiative hin eine selbstverwaltete Schuhmanufaktur, unterstützt vom sozialdemokratischen Sozialminister Alfred Dallinger, der damals in selbstverwalteten Betrieben einen Weg zur Befreiung der Gesellschaft sah. Ein Verein wurde gegründet, in dem alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gemeinschaftlich über die Geschicke der Firma entscheiden sollten, und da ein Verein nicht gut selbst wirtschaften kann, wurde er einziger Gesellschafter einer GmbH, die das Geschäft abwickelte.
Schuhfabrik sucht Schuhladen Einer der ersten Kunden der Schuhmanufaktur war Heini Staudinger. Der hatte 1980 in Wien ein Schuhgeschäft für Öko-Schuhe gegründet, weil ihm sogenannte Earth Shoes aus Dänemark an den Füßen eines Freundes so gut gefallen hatten. Solche Schuhe sollte es auch in Wien zu kaufen geben, beschloss Staudinger und wurde in kurzer Zeit vom Weltenbummler und Studenten zum Unternehmer. Seinen Laden nannte er »Gea« wie die griechische Göttin der Erde. Startkapital hatte er keines. Um die ersten Mieten seines kleinen Ladens und die ersten Einkäufe zu bezahlen, lieh er sich Geld von Freunden. Der Plan ging auf, er konnte alles zurückzahlen und bald weitere Läden eröffnen. Nur seine Lieferanten in Dänemark machten nach einigen Jahren Probleme, und so freute er sich auf die Aussicht, durch die neugegründete Waldviertler Schuhwerkstatt einen regionalen Lieferanten zu bekommen. Die Zusammenarbeit lief gut an, aber die Schuhmanufaktur hatte auf dem Markt weitaus weniger Glück als Heini Staudinger mit seinen Läden. Bei Gründung der Waldviertler Schuhwerkstatt waren die Preisstürze in der Branche noch nicht abzusehen, aber der Preisverfall in der zweiten Hälfte der 80er Jahre war rasant. Das gutgemeinte Projekt steckte im Dilemma vieler selbstverwalteter Betriebe: Auf der einen Seite ein Markt, dessen Prinzipien man selbst nicht unterstützen will, auf dem man aber gleichwohl mitspielen muss. Auf der anderen Seite die Werte des egalitär organisierten Unternehmens, das sich an den Menschen ausrichten will. »Die hatten damals im Keller Tausende von Schuhen mit der Farbe ›Schlamm‹, die niemand gekauft hat, weil niemand diese Farbe leiden konnte«, erzählt Heini Staudinger. »Aber sie haben weiterproduziert, weil sie es statt guter Verkaufszahlen wichtiger fanden, dass alle Leute Arbeit hatten.« Er empfahl dem Geschäftsführer Gerhard Benkö eine Rosskur, einen billigen Ausverkauf der »Schlamm«-Schuhe. Das spülte zwar Geld in die Kasse, aber das Warenlager verlor massiv an Wert, und so wurden die Verluste der Firma in den Bilanzen erst wirklich für alle sichtbar. Ein Schock! Die Mitarbeiter hatten Angst, persönlich für die Verluste einstehen zu müssen, und wollten die Firma verschenken.
Biogemüse statt Lohnerhöhung Heini Staudinger wollte sie nicht geschenkt. Zusammen mit Gerhard Benkö kaufte er 1991 die Firma für einen Schilling. Gerhard kümmerte sich nun um die Fabrik, Heini um die Geschäfte. Sie wurden ein gutes Team, das Vertrauensverhältnis vertiefte sich. Als sich Heini nach drei Jahren eine Auszeit wünschte, um mit seiner Freundin ein Dreivierteljahr lang 5000 Kilometer durch Afrika zu radeln, sah Gerhard keine Probleme, und Heini meinte: »Während ich weg bin, kannst du machen, was du willst.« Dabei hatte er sich allerdings nicht vorgestellt, dass Gerhard in seiner Abwesenheit beschloss, ein neues Fabrikgebäude zu kaufen und dafür einen Jahresumsatz auszugeben. Als Heini wiederkam, war Gerhard verzweifelt. Er hatte sich übernommen, weder mit dem Geld noch mit den neuen Räumen lief es so, wie er wollte: »Ich bin der Falsche für diesen Job«, jammerte er. Überraschend schnell erholte sich Heini von seinem Schreck und redete Gerhard zu, es würde alles schon wieder werden. Aber der wollte raus, und seit Januar 1994 leitet Heini die Firma alleine. Hat am Schluss also doch der Kapitalismus gesiegt? Funktioniert es betriebswirtschaftlich eben doch nur mit einer starken Unternehmerpersönlichkeit? Gewiss, es braucht diesen gesunden unternehmerischen Pragmatismus, mit dem Heini den Laden in den folgenden Jahren aus der Gefahrenzone steuerte, so dass bald nicht mehr 12, sondern 120 Mitarbeiter Schuhe herstellten. Aber es funktionierte genau deshalb, weil er es anders machte als ein normaler Unternehmer. Er suchte sich keinen Geschäftsführer, sondern machte es selbst und zahlte sich weniger Gehalt aus als den Angestellten. Er baute keine mittlere Management-Ebene ein, sondern alle verdienten irgendetwas zwischen 1000 und 2000 Euro. Anstelle einer Marketing-Abteilung baute er mit einem Freund die Zeitschrift »Brennstoff« auf, in der es vor allem um Inhalte geht: regionales Wirtschaften, alternative Energien, persönliches Wachstum. Seine Schuhgeschäfte, ein »pumperlgesunder Kleinbetrieb«, stabilisierten die Wachstumsphase der Produktionsfirma. Obwohl er ständig mit Geld umgehen musste, entfernte er sich innerlich immer mehr von diesem Medium. »Im Jahr 2003 habe ich mir gesagt: Angeblich hänge ich nicht am Geld, warum habe ich dann noch Bausparverträge, Lebensversicherung und Krisensparbuch? Nach einem Jahr hatte ich alles aufgelöst. Geld muss etwas Sinnvolles bewegen, nicht auf einem Konto liegen.« Vielleicht war es dieser radikale Schritt, der ihn auf die Idee brachte, anstelle einer Lohnerhöhung von den Ökolandwirten der Region jede Woche kistenweise Biolebensmittel einzukaufen. Die Mitarbeiter dürfen sich davon nehmen, was sie möchten. Anfangs rief das große Skepsis hervor, mittlerweile ist die Lebensmittel-Lieferung ein Höhepunkt der Woche. »Wir erleben Fülle ohne die Irritation von Werbung, die immer sagt: Dir fehlt etwas. Alle bekommen Eier, Brot, Gemüse, Milchprodukte ohne das sonstige Drumherum an unnützen Supermarkt-Produkten. Die Mitarbeiter freuen sich – und die Bauern auch«, erzählt Heini Staudinger. Zwei Tage in der Woche kommen ein Masseur und ein Arzt in die Schuhmanufaktur und stehen allen Mitarbeitern zur Verfügung. Der Betriebsarzt ist ein Fachmann für traditionelle chinesische Medizin, und so gibt es bei Bedarf Akupunktur oder eine Kräuterrezeptur. Jeden Dienstag lädt er zu einer »gesunden Jause« mit viel frischem Gemüse und Kräutern ein.
Vorwärts und zurück zum Gemeingut Für Heini scheint es nebensächlich, dass er der Besitzer der Firma ist. Als ich ihn frage, ob er sich wie der Hüter einer Allmende fühlt, kommt ein begeistertes »Ja, genau!«. Der Allmende-Aspekt soll sich in Zukunft auch in der Struktur des Unternehmens spiegeln. »Ich werde demnächst 59«, sinniert Heini, »und ich habe beschlossen, bevor ich 60 Jahre alt werde, muss das hier alles weg von mir. Wir arbeiten daran, eine Genossenschaft zu gründen.« Schon jetzt gibt es eine Art gemeinschaftliche Struktur, die das Unternehmen trägt. Nachdem die Bank der Firma 1999 willkürlich einen Kontokorrent-Kredit um die Hälfte zusammengestrichen hatte, war Heini Staudinger wild entschlossen, sich von Banken unabhängig zu machen. Er fragt Freunde und Verwandte, ob sie zu einem Zins von 4 Prozent Geld in die Firma einlegen würden. Das solidarische Finanzierungsmodell bekam den Spitznamen »Gea-Sparverein« und bewährte sich. Als es 2010 in der Nachbarschaft eine große Halle zu kaufen gab, die der Betrieb dringend für ein größeres Lager brauchte, schrieb Heini 150 Briefe an den Freundeskreis der Firma, in denen er erklärte, dass 500 000 Euro für die Renovierung nötig seien. Nach einer Woche war das Geld zusammengekommen. Bei der Finanzierung einer Photovoltaik-Anlage auf dem Dach der Halle war es nicht viel anders. In der Zwischenzeit hat das Modell einen guten Ruf, nur nicht bei der Finanzmarktaufsicht. »Die finden, wir machen bankähnliche Geschäfte«, erklärt Heini. »Deswegen wird uns eine Strafe angedroht, aber ich habe keine Angst. Nach der Finanzkrise sind wir in der Rolle des Davids, der Goliath schwankt bereits.« Ein Modell wäre, dass alle Leute im Sparverein Mitglieder einer Genossenschaft werden, der die Schuhmanufaktur gehört. Im Idealfall werden auch alle Mitarbeiter zu Mitgliedern – womit wir fast wieder beim Anfang der Geschichte angekommen wären. Wie auch ein größeres Unternehmen auf der breiten Basis einer Solidargemeinschaft florieren kann, machen Pioniere wie die »taz« vor – ein Vorbild für Heini Staudinger. In den nächsten Monaten soll ein Weg gefunden werden. Wer eine Allmende schaffen möchte, einen Wirtschaftsorganismus, der für ausnahmslos alle Beteiligten Fülle schafft, passt nicht in die bestehenden Strukturen, die auf Gewinnen oder Verlieren ausgerichtet sind. Und wer sich dann nicht unterkriegen lässt, schafft Raum für Neues: Wirtschaften auf der Grundlage von Beziehung, aus dem Impuls des Gebens.