Soziologische Untersuchungen lösen ein ewiges Rätsel – wenigstens teilweise.
von Jochen Schilk, erschienen in Ausgabe #14/2012
Um herauszufinden, ob und wie Jungendliche an das Thema Nachhaltigkeit herangeführt werden können, hat das Umweltbundesamt (UBM) eine Untersuchung in Auftrag gegeben. Das Projekt »Einblick in die Jugendkultur: Das Thema Nachhaltigkeit bei der jungen Generation anschlussfähig machen« beinhaltete unter anderem eine Auswertung bereits existierender Umfrageergebnisse, wie z. B. die letzten Auflagen der bekannten Shell-Jugend-Studie oder die OECD-Studie »Green at fifteen«. Wie wichtig ist jungen Leuten heute also die Enkeltauglichkeit der zukünftigen Welt?
Wollen die Enkel Enkeltauglichkeit? Das Bild, das Umfragen zum Interesse junger Menschen an ökologischen Fragen liefern, ist recht eindeutig, und zugleich ist es auf verwirrende Weise paradox. Regelmäßig durchgeführte Befragungen, wie z. B. »Umweltbewusstsein in Deutschland«, konstatieren einen fortlaufenden Rückgang der Bedeutungsbeimessung in der Altersgruppe der 18- und 19-Jährigen. Im Vergleich zu anderen Altersgruppen stimmen diese jungen Erwachsenen den Grundprinzipien nachhaltiger Entwicklung – schonender Ressourcenverbrauch, Generationengerechtigkeit sowie fairer Handel – in geringerem Maß zu als der Durchschnitt der Bevölkerung. Man möchte es kaum glauben, die Erben dieser Welt scheinen sich kaum für den Zustand derselben zu interessieren. Und weitere Befunde zeigen, dass das Interesse an Umwelt bei Jugendlichen seit den 90er Jahren abnimmt. »Umwelt scheint«, so die zitierte Studie des UBM, »heutzutage nicht mehr cool zu sein«; der Anteil der Jugendlichen, die den Erhalt der Umwelt wichtig finden, sank zwischen 1993 und 2008 von 68 auf 40 Prozent. Ist es da nun beruhigend oder im Gegenteil sogar noch verstörender, dass aus anderen Forschungen hervorgeht, dass »sich heutige Jugendliche der akuten Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlagen und der dringenden Notwendigkeit einer ökologischen Neuorientierung durchaus bewusst sind«? Deutsche Schüler sind demnach im europäischen Vergleich besonders pessimistisch, was die ökologische Negativentwicklung betrifft. Die Altersgruppe zwischen 15 und 24 in der EU bezeichnet den Klimawandel deutlich stärker als die älteren Befragten (67 zu 56 Prozent) als ernste Gefahr. Laut Shell-Studie 2010 halten sogar 76 Prozent der Jungen den Klimawandel für ein großes bzw. sehr großes Problem, zwei von drei Jugendlichen sehen durch das sich verändernde Klima gar die Existenz der Menschheit bedroht.
Wie passt das zusammen? Es gibt also ein hohes Bewusstsein für Umweltfragen, aber die Jugend hat offenbar noch wichtigere Sorgen, Werte und Interessen. So werden Freundschaft, Partnerschaft und Familie als noch unmittelbar-existenzieller empfunden; in einer – nicht zuletzt in ökologischer Hinsicht – als zunehmend unsicher erfahrenen Gesellschaft gelten verbindliche soziale Kontakte als letzte Horte der Geborgenheit. Die nächstwichtigen Sorgen betreffen die Ausbildung, den eigenen Platz auf dem Arbeitsmarkt und Teilhabe an der Konsumkultur. Aber offenbar sind auch solche Werte wichtig, die »auf die Herausbildung der eigenen Individualität gerichtet sind, wie beispielsweise die Entwicklung der eigenen Phantasie und Kreativität, aber auch auf das erhöhte Streben nach Eigenverantwortung und persönlicher Unabhängigkeit zielen.« Desweiteren hätten »Fleiß und Ehrgeiz einen erstaunlich hohen Stellenwert, das gilt auch für Werte der Selbstkontrolle und Selbstzurücknahme. Bei dieser Bewertung kamen Gesundheits- und Umweltbewusstsein an 11. bzw. 16. Stelle«, wobei letztere Wertorientierungen sowie soziales Engagement bei Mädchen und jungen Frauen stärker ausgeprägt seien. Zahlreiche Studien weisen darauf hin, dass die aktuelle Jugend zwar selbstzentrierter ist als zu früheren Zeiten, den Blick auf die Gesellschaft jedoch nicht verloren hat. Insbesondere die problematische wirtschaftliche Entwicklung sei ein großes Thema. Nach Auffassung des Jugendforschers Klaus Farin hat die in der Gesamtgesellschaft verbreitete Politikverdrossenheit unter der Jugend ein neues Niveau erreicht: »Für die Mehrheit der Jugendlichen ist die institutionalisierte Politik nicht einmal ein Gegner, sondern ein Relikt des 20. Jahrhunderts, das nicht durch Dialogbereitschaft, Protest und Widerspruch geadelt, sondern durch demonstrative Ignoranz für seine fehlende Wirksamkeit, Authentizität und ästhetische Langweiligkeit abgestraft wird.« Und doch: Jenseits des traditionellen Politikverständnisses gibt es anscheinend durchaus den Willen, sich zu engagieren. Farin benennt sieben Kriterien, die Jugendliche dabei als unabdingbar für ihre Bereitschaft zum gesellschaftlichen Engagement sehen: Keine Hierarchien; Spaß-Kultur; Freundschaften; keine Taktik, keine Kompromisse; Action statt Schulungskurse; realistische Ziele; Engagement auf Zeit. Wer nun das Gefühl hat, »die Jugend« etwas besser zu kennen, darf sich dennoch keine Illusionen machen. Generalisieren geht nicht – auch das zeigen die Untersuchungen. Denn die heutige Jugend ist in unübersehbar viele heterogene Subkulturen und Szenen untergliedert.