TitelthemaWirtschaft: Verschwendung
Von der Logik des Habenwollens zur Geste des Gebens.
von Lara Mallien, erschienen in Ausgabe #3/2010Setzt Grenzen! Dämmt die Spekulation ein, besteuert endlich Finanztransaktionen. Etabliert strengere Umwelt- und Ethikstandards! – So ist es überall zu hören und zu lesen, wenn kritisch über Wirtschaft diskutiert wird. Aus der Logik des Systems erscheinen diese Regulierungen und Standards überfällig. »Nur ein begrenzter Markt ist ein guter Markt«, resümiert der Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann in seinem erhellenden neuen Buch »System Error. Warum der freie Markt zur Unfreiheit führt«. Nein, nein, »nur die wettbewerbliche Marktwirtschaft schafft persönliche Freiheit«, hält der Ökonom Carl Christian von Weizsäcker in einer Diskussion mit Thielemann in der »ZEIT« dagegen. So dreht sich die Diskussion im Kreis. Was kann Oya hier beitragen?
Wir haben eine ganz einfache Frage gestellt: Wie gestaltet sich eine Art des Wirtschaftens, die man nicht mit aller Kraft eingrenzen und regulieren muss, um Schaden abzuwenden, sondern die aus sich selbst heraus das »gute Leben« im Sinn von »Right Livelihood« fördert? Adam Smith, der mit seinem Werk »Der Wohlstand der Nationen« aus dem Jahr 1776 als Begründer der modernen Wirtschaftstheorie gilt, dachte auch an ein gutes Leben. Seine Formel: Wenn jeder nach seinem Eigennutz trachtet, entsteht der größte Wohlstand für alle. Weil es aber im Wettbewerb der Eigennutz-Maximierer Verlierer gibt, ist eben nur ein begrenzter Markt ein guter Markt. – Aber ist nur ein begrenzter Mensch ein guter Mensch?
Wir haben eine Reihe von Autorinnen und Autoren eingeladen, mit uns zu diesen Fragen Grundlagenforschung zu betreiben. Ihre Beiträge sind noch nicht das Ergebnis einer Diskussion der Beteiligten untereinander. Aber schon ihre Zusammenschau ist spannend. Aus dem reichhaltigen Stoff, der uns bisher erreicht hat, haben wir für Sie einige wichtige Passagen ausgewählt.
Fähigkeiten, Bedürfnisse und Freiheit
Adelheid Biesecker, emeritierte Professorin für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Bremen, weist auf den Fähigkeitenansatz von Martha Nussbaum hin: »Gutes Leben wird von ihr verstanden als ein Leben, in dem die Menschen in der Lage sind, ihre Fähigkeiten zur Gestaltung ihres eigenen Lebens zu entwickeln. In dem sie fähig sind: ein lebenswertes Leben in normaler Länge und in guter Gesundheit und körperlicher Unversehrtheit und mit Rücksicht auf die Natur zu führen und die Sinne und die Phantasie zu gebrauchen; Beziehungen zu anderen einzugehen und im sozialen Zusammenhang zu leben, zu lachen, zu spielen; eine eigene Vorstellung vom Guten zu entwickeln und kritisch über die eigene Lebensplanung nachzudenken; durch politische Partizipation das eigene Umfeld mitzugestalten. Gutes Leben ist, so verstanden, geprägt durch Selbständigkeit, Sicherheit und Freiheit.«
Freiheit – dieser Spur folgt Andreas Weber als Philosoph und Biologe: »Zunächst ist der Mensch ein Lebewesen; aus dem Netz der anderen Lebewesen (der Natur) hervorgegangen, ein biologisches Subjekt wie sie. Ein solches sucht eine Balance zwischen zwei Extremen: dem der Freiheit, sich zu verwirklichen, und dem der Notwendigkeit von Bindungen, die es eingehen muss, um in Ganzheit existieren zu können. Ein Organismus (schon der einfachste) hat die Freiheit, zu handeln, aber ist auf die Materie angewiesen, aus der er besteht (Bindung), von der er sich ernähren muss.
Das ›gute Leben‹ wird möglich, wenn die Notwendigkeit des Angewiesenseins zur Freiheit wird. Wenn also die Bindungen dazu dienen, die eigene Freiheit nicht einzuschränken, sondern zu fördern. In diesem Augenblick wird aus der Notwendigkeit ein Spiel. Man könnte also sagen: Das gute Leben ist ein Spiel. Ein Spiel aber ist niemals die Gier nach Effizienz, sondern lustvolle Verschwendung. Man könnte sagen: Das ›gute Leben‹ ist Verschwendung.«
Beim Begriff »Verschwendung« zuckt das politisch korrekte ökologische Bewusstsein zusammen. Die Menschheit ist derart verschwenderisch mit den Ressourcen dieses Planeten umgegangen – das gilt es doch einzugrenzen! Noch einmal Andreas Weber:
»Knappheit ist ein Mythos: Der Mythos einer Zivilisation, die nicht begreifen will, dass in der Natur Substanz sich durch Teilen vermehrt. Nichts Wesentliches ist von Natur aus knapp. Luft ist nicht knapp. Wasser ist nicht knapp. Noch immer ist auch Nahrung, baute man sie richtig (ökologisch) an und verteilte sie gerecht, nicht knapp. Zeit ist nicht knapp. Gemeinschaft ist nicht knapp. Ein Ökosystem steigert von selbst seine Tiefe, Vielfalt, Bedeutung, Stabilität zum Wohle aller. Dabei werden die Ressourcen nicht gehortet, sondern verprasst: Natürliche Wirtschaft ist eine Ökonomie der maßlosen Verschwendung. Damit sich der Bestand auch nur erhält, legt ein Kabeljauweibchen mehrere Millionen Eier in die dunkle Nordsee, nach mehreren Stunden Liebesspiels mit dem Männchen: Auch das ist Verschwendung. Verschwendung heißt, auszuteilen ohne einen Hintergedanken. So leben von den unfassbar vielen Eiern und Spermien des Kabeljaus wiederum unzählige andere Wesen des Meeres, die sich von den Fortpflanzungsprodukten nähren wie von einem gnädigen Geschenk.«
Die Lust, zu Geben
Nicht Verschwendungssucht im Sinn von unbegrenztem Nehmen ist hier gemeint, sondern die Lust am verschwenderischen Geben! Es sind vor allem Frauen, die auf einen verborgenen Teil von Wirtschaft hinweisen, in dem das Geben der Dreh- und Angelpunkt ist. »Dazu gehört die Arbeit von Genevieve Vaughan, der texanisch-italienischen Sprachphilosophin«, schreibt Veronika Bennholdt-Thomsen, Sozialanthropologin und langjährige Pionierin der Subsistenz-Perspektive. »Sie setzt dem Tauschparadigma das Paradigma der Gabe entgegen. Das Muster, das dem menschlichen Wirtschaften zugrunde liegt, ist die Gabe, die keine Gegengabe voraussetzt. Gaben werden gegeben, weil Bedürfnisse befriedigt werden sollen, und werden in diesem Sinn weitergegeben und nicht zurückgegeben. Ausgangspunkt, konkret und als Handlungsmuster, ist das mütterliche Geben an das Kind. Wobei die Mutter nicht aus weiblich angeborener Heiligkeit heraus handelt, sondern ganz profan so handeln muss, sonst würde das Kind nicht überleben und gäbe es keine Menschheit. Zu eben diesem wirtschaftlichen Handeln sind wir, so Genevieve Vaughan, auch heutzutage gesellschaftlich fähig.«
So sieht es auch die Philosophin und Matriarchatsforscherin Heide Göttner-Abendroth: »Niemand lebt vom Geld. Stattdessen leben wir von den Lebens-Mitteln, die von der Erde kommen, und wir leben durch gute Beziehungen. Die Natur und die Mütter schenken das, was das Leben ermöglicht, deshalb spreche ich von einer ›Ökonomie des Schenkens‹. Die Geschenke, die in unserer Gesellschaft kursieren, kommen wesentlich aus der Arbeit der Frauen. Sie schenken Leben und arbeiten zwanzig Jahre lang, bis das Wesen, dem sie das Leben geschenkt haben, groß geworden ist. Laut einem UNO-Bericht werden zwei Drittel der Arbeit auf der Erde von den Frauen geleistet. Deshalb gibt es die Ökonomie des Schenkens bereits. Darüber hinaus existiert ein reicher Strom von (unfreiwilligen) Geschenken von Menschen, die in großen Wirtschaftsbetrieben arbeiten und den Mehrwert ihrer Arbeit nicht erhalten, sondern weitergeben.«
»Am Anfang steht die Sorge für sich und die Ihren – aber wer sind die?«, fragt die Volkswirtin und Historikerin Friederike Habermann (siehe Porträt Seite 34.) »Das wird sicher in jeder historischen, kulturellen Situation etwas anderes bedeuten. Als ethisches Ziel ist wohl zu benennen, niemanden von dieser Sorge völlig auszuschließen. Die 80-jährige Doña Elvira aus Oaxaca in Mexiko definiert es umgekehrt: Wer am comida, an den Mahlzeiten teilhat, wird als zugehörig empfunden. Bei ihr sind das nicht nur die Familie und das unmittelbare soziale Netzwerk, sondern auch die Tiere und sogar die Vorfahren, die Erde und das Wasser.«
Aus einer solchen Haltung ergibt sich ein »Vorsorgendes Wirtschaften«, meint Adelheid Biesecker, die den feministisch-ökonomischen Diskurs zur Care-Ökonomie, der auf die Sorgebeziehung zwischen Menschen fokussiert, sehr befördert hat. »Sorgen nimmt die Bedürfnisse aller Beteiligten zum Ausgangspunkt, es ist ein Prinzip, das auch asymmetrische Beziehungen in die Ökonomie integriert. Solche Asymmetrien bestehen häufig in Sorgebeziehungen, in denen die Umsorgten abhängig sind von den sorgenden Menschen. Aus dem Sorgen um die Zukunft entsteht die Vorsorge in der Gegenwart. In der modernen kapitalistischen Ökonomie gilt jedoch diese Care-Ökonomie nicht als Wirtschaft. Hier zählt nur das, was am Markt Geld bringt – möglichst viel Geld.«
»Eine Zeitbudgetstudie des Bundesamts für Statistik zeigt, dass nur etwa ein Drittel des täglichen Zeitaufwands als bezahlte Arbeit ›wirtschaftlich‹ verausgabt werden, während fast zwei Drittel für ›nicht-wirtschaftliche‹, also unbezahlte Tätigkeiten anfallen,« schreibt der Informatiker und Experte für freie Software Stefan Meretz. »In diesen zwei Dritteln unserer Zeit liegen wir jedoch nicht auf der faulen Haut, sondern kümmern uns um die Dinge, die ›wirtschaftlich‹ nicht erledigt werden: Essen heranschaffen und zubereiten, Kinder versorgen, Haushalt betreiben, freiwillige Aufgaben übernehmen etc.
Wir stellen fest, dass die Gesellschaft in zwei Sphären gespalten ist. In der einen herrscht die harte Logik des Geldes. Die Zeitsparlogik bestimmt den Arbeitsalltag. In der anderen Sphäre gilt geradezu das Gegenteil, eine Art Zeitverausgabungslogik. Gut ist es, Zeit zu haben für familiale und andere Aktivitäten. Wer jemals versucht hat, das Einschlafen von Kindern unter ein Regime des Zeitsparens zu stellen, kann nachvollziehen, was ich meine.
Wer nun denkt, Wirtschaft habe es doch seit dem griechischen Haushalt, dem oikos, immer gegeben, der irrt, wenn er die moderne auf eine antike Form rückprojiziert. ›Wirtschaft‹ ist eine moderne Erfindung, ihre Entbettung aus der Gesellschaft, die ›Transformation der natürlichen und menschlichen Substanz der Gesellschaft in Waren‹ (Polanyi), setzte sich erst mit dem Kapitalismus durch.«
Wirtschaft als separate Sphäre?
Jetzt sind wir bei der Diskussion um die »Entbettung« der Wirtschaft angekommen. Darin liegt die Gefahr einer zu vereinfachten Sichtweise, auf die der Philosoph Julio Lambing, der sich im European Business Council for Sustainable Energy engagiert, hinweist: »Gemäß einer weit verbreiteten Auffassung wohnt dem modernen Markt ein nicht zu bremsendes Eigenleben inne: nur der Preis zählt. Menschen, die praktisch in der Wirtschaft aktiv sind, erleben aber in ihrem Geschäftsalltag, dass dieses Bild nicht der Realtiät entspricht: Auf den Märkten der modernen Gesellschaft, sei es beim Friseur, in der Großmarkthalle oder bei Handelsgeschäften im Wert von mehreren Millionen Euro wird nicht nur nach dem Preis entschieden. Marktbeziehungen sind den komplexen Wirkungen von Vergangenheit, Kultur, Religion, Gewohnheiten, Moden und Ideologien der sozialen Kollektive ausgesetzt, in denen sie stattfinden: Freundschaften, Traditionen, Familienbindungen, Loyalitäten, Idealbilder des kaufmänischen Handelns, aber auch gesellschaftliche und kulturelle Feindbilder, Abneigungen und Vorurteile sind als Motivationen nicht zu unterschätzen.«
Das unterstreicht die Notwendigkeit, auf allen Ebenen anzusetzen: auf der Ebene des Bewusstseinswandels hin zu einer Neuorientierung auf »unsere natürlichen, kulturellen und sozialen Gemeingüter und die Bedeutung von Gemeinschaften als Grundbedingung eines guten Lebens«, schreibt Julio Lambing. Und in Hinblick auf die Ebene der Form: »Die heutige Wirtschaftsform verfügt weder über Anreize noch über ihr inhärente Mechanismen, das gemeinsame Wohl, das Gedeihen aller gemeinsamen Güter in den Vollzug des wirtschaftlichen Handelns einzubeziehen«.
In Hinblick auf neue Formen gibt es spannende Vorschläge einer auf Gemeingüter zielenden Wirtschaftsweise, wie sie insbesondere in den Beiträgen der ersten Ausgabe von Oya angeklungen sind. Damit rückt der zum fürsorgenden und vorsorgenden Aspekt von Wirtschaft komplementäre Pol, nämlich Erfindergeist und Kreativität, in unseren Fokus.
Kreativität und Erfindungsgeist
Wird der Mensch nur erfinderisch, weil er auf dem Markt erfolgreich sein will? Das wäre ein höchst pessimistisches Menschenbild, argumentieren diejenigen, die mit dem Prinzip der »gemeingüterbasierten Peer-Produktion«, der produktiven Zusammenarbeit selbstbestimmter Menschen experimentieren, die nicht das Geldverdienen als Zweck der Arbeit betrachten (siehe auch Seite 32). »Statt die eigenen Fähigkeiten in Quantitäten ummünzen zu müssen, wird aus einem Bedürfnis heraus aktiv gehandelt«, erklärt Friederike Habermann.
»Kann man so produzieren, dass für alle genug da ist? Dass alle nutzen können, was sie brauchen, wenn sie es brauchen? Geht das im Rahmen der 1,8 Hektar Biokapazität, die jeder und jedem im Schnitt zur Verfügung stehen?« fragt sich der Informatiker Christian Siefkes. »Wenn man es richtig anstellt, ja. Dabei kann ich angeregt werden durch produktive Bedürfnisse: Ich mache etwas, weil ich es gerne tue. Oder durch konsumptive Bedürfnisse: Ich trage zu der Produktion eines Guts bei, das ich selber haben möchte. Es geht um die Bedürfnisse, nicht um einen abstrakten Zweck wie die Kapitalverwertung. Peer-Produktion funktioniert gerade deshalb, weil sich die Leute gegenseitig bei der Befriedigung ihrer Bedürfnisse unterstützen, was für alle Beteiligten von Vorteil ist.«
Ein spielerisches, utopisches Beispiel, um das konkreter zu machen: Ein kleines Team möchte Windräder zur lokalen Energie-Erzeugung herstellen. Die Ressourcen dafür kommen aus gemeinschaftlich verwalteten Gütern, die Baupläne aus einer freien Wissendatenbank. Aus Spaß an der Sache und weil man sie überall nützlich einsetzen kann, entstehen so viele Windräder, dass man eine ganze Region damit versorgt. In dieser Region werden nun von einigen anderen mit großem Vergnügen Kartoffeln angebaut, so viele, dass es genug für alle gibt. Die Windradbauer brauchen also nicht zu hungern. Und so weiter. Geld? – bräuchte man in so einer Region vielleicht nur ganz am Rand, um spezielle Werkstoffe, die von weiter her kommen, z. B. Metalle, anzuschaffen.
Reine Phantasie? Nein. Der Hof, der freiwillig Kartoffeln anbaut und in seiner Region verteilt, liegt in der Nähe von Berlin. Die Windrad-Bauer (die sich heute allerdings Teile vom Schrottplatz suchen müssen) und ihre offene Werkstatt gibt es in Hamburg (siehe Seite 48). Vereinzelte Sonderfälle? Nein, es gibt eben Millionen von Menschen, die ihre Kinder versorgen, die alte Menschen und Kranke pflegen und durch freiwilliges Engagement die Gesellschaft aufrechterhalten. All diese Menschen sind, bei Licht betrachtet, Experten für Schenk-Ökonomie oder einer Ökonomie des Gebens oder einer Ökonomie des freiwilligen Beitragens.
Dieses Beispiel ist ohne Rücksicht auf die zum Teil fundamentalen Unterschiede im Menschen- und Weltbild der matriarchal geprägten Subsistenz-Perspektive, der Care-Economy und der Peer-Economy skizziert und nichts als eine skizzenhafte Collage. Es soll auch gar nicht mehr sein als ein interessantes Schillern, das vielleicht dazu animiert, tiefer einzutauchen, nachzufragen, ob Wirtschaften auch jenseits des Tausch-Paradigmas denkbar ist.
Es geht nicht nur ums Tauschen!
Was soll das heißen, »Wirtschaft ohne Tausch«? Veronika Bennholdt-Thomsen schreibt: »Kern unser aller Mittäterschaft ist das Gelddenken. Das Geld selbst ist nur der geronnene, vergegenständlichte Ausdruck eines Denk- und Handlungsmusters: dem des Tauschs. Das Tauschmuster lautet (lateinisch): do ut des, ich gebe dir, damit du mir gibst – und nicht etwa: Ich gebe dir, weil du Hunger hast, weil du frierst, weil du unglücklich bist. Der Tausch verbindet die Menschen nicht, sondern trennt sie voneinander.«
Andreas Weber: »Wenn Knappheit nicht existiert, kann Tausch kein Grundbedürfnis sein. Wir brauchen also darauf keine Wirtschaft zu gründen; wir dürfen es gar nicht. Vielleicht kann man ein Prinzip ›gemeinschaftliches Gedeihen‹ formulieren, zu dem gehört, dass im Sinn der Autonomie-Bezogenheit-Dualität höchste Priorität sowohl der Gemeinschaft wie dem Einzelnen eingeräumt wird. In meinen Augen ist das beste Kriterium für ökonomische Entscheidungen die Frage, ob sie die Fülle des Lebens vergrößern.«
Und der Soziologe Franz Nahrada: »Der archimedische Punkt, um in das Thema Wirtschaft hineinzukommen, ist die fundamentale Unterscheidung zwischen Tausch und Austausch. Austausch ist die allgemeinere, grundlegendere Beziehung, die besagt, dass Menschen in ihrem Zusammenleben aufeinander angewiesen und beständig miteinander und füreinander tätig sind. Der gesamte Lebensprozess des Menschen ist von Anfang an eingebettet in einen sozialen Schutz- und Entfaltungsraum, in dem verschiedene Formen der Organisation von Gesellschaftlichkeit in einem sekundären Evolutionsprozess miteinander konkurrieren oder sich miteinander verbinden, koexistieren oder amalgamieren. Tausch auf der anderen Seite ist eine sehr spezifische, von elementaren Formen wie der familiären Versorgungswirtschaft abgehobene Art und Weise, Austausch zu pflegen. Der Tausch erfordert eine ganze Welt von Rahmenbedingungen, die den ursprünglichen sozialen Kontext ersetzen und einen neuen, auf Gleich-gültigkeit im doppelten Wortsinn aufbauenden Verkehr der Menschen miteinander überhaupt erst möglich machen. Durch die Verallgemeinerung des Tauschprozesses entfaltet sich zugleich eine Eigendynamik, die den Tausch der Unwahrheit überführt und Realität zerstört.«
Kreuzungsversuche
Wie lässt sich in dieser Richtung weiterforschen? Die wichtigste Übung: »Nicht ideologisch werden«, erklärt Silke Helfrich, die das Buch »Wem gehört die Welt?« über Gemeingüter herausgegeben hat. »Wir sind es gewohnt, in diesen Spaltungen zu denken: hier Tausch und Wettbewerb, dort Kooperation und Fülle – und nicht jenseits dieser Spaltungen. Paradoxerweise bringt das Stärkenwollen des einen Pols auch immer die Gegenseite in Stellung, macht sie stark. Wir könnten nun, statt ins andere Extrem zu fallen, die Gegensätze auflösen und neu in Beziehung setzen. Es geht darum, die Dominanz des einen Pols aufzubrechen und das Geld, den Tausch auf dem Markt und die Konkurrenz gewissermaßen zu marginalisieren, so dass Reputation, Austausch und Kooperation ihre Potenziale entfalten können. Wir müssen das Geld gar nicht verbannen, aber wir können es marginalisieren.«
Ein solcher Ansatz geht noch weiter als ein reformiertes Geldsystem. Christian Siefkes warnt: »Ansätze zur Geldreform basieren auf der Annahme, dass es möglich sein müsste, ein Geldsystem einzurichten, das die negativen Eigenschaften des kapitalistischen Geldes vermeidet. Hergeleitet wird das von der historischen Tatsache, dass es in vielen Gesellschaften Geld gab, ohne dass diese Gesellschaften kapitalistisch waren – allerdings wird dabei verkannt, dass Geld hier nur eine untergeordnete Rolle spielte. Die meisten notwendigen Dinge wurden auf andere Weise hergestellt und aufgeteilt, beispielsweise in Subsistenzproduktion.«
»Es liegt nahe, dass eine Ökonomie jenseits des Tauschens zunächst primär auf einer lokalen Ebene erprobt werden kann«, meint Franz Nahrada zur Frage nach der praktischen Umsetzbarkeit. »Was können wir besser, wenn wir es selber in die Hand nehmen? Über welche Gemeingüter verfügen wir? Wie sehen Kreisläufe der gegenseitigen Unterstützung aus? Es geht dabei um ganz unspektakuläre Anfänge, egal, ob man ein eigenes Fernsehen machen will, einen Gemeinschaftsgarten, ein Wasser-, Sonnen- oder Hackschnitzelkraftwerk oder Gemeinschaftswerkstätten. Das verbindet sich wiederum mit überregionalen Netzwerken des Wissens und Könnens. Wir müssen es aber auch politisch verstehen, die herrschenden und dominanten Marktkräfte für unsere Sache einzunehmen. Wir brauchen eine politische Partei, oder besser noch: einsichtsvolle Sympathisanten in allen politischen Parteien und in der Verwaltung, die dafür sorgen, dass der Staat zum Partner einer sich selbst erhaltenden und handlungsfähigen Zivilgesellschaft wird.«
Julio Lambing denkt als Brückenbauer: »Für den Aufbau einer Wirtschaft, in der Schenken und Geben wichtiger sind als Übervorteilen und die Konzentration auf den Eigennutz, werden wir unsere Methoden ausbauen müssen, um Inseln einer anderen Wirtschaftsweise gegen wirtschaftlichen Druck und die Verführung zum permanenten Geschäftemachen abzuschotten. Neben solchen Reinformen werden aber auch viele Mischlinge, die zumindest teilweise marktwirtschaftlich arbeiten, unsere Unterstützung benötigen. Wir werden zudem weiterhin Rahmenbedingungen des bestehenden Marktsystems ändern müssen. Und wir werden uns mit großen, profitorientierten Konzernen für Veränderungen verbünden müssen und uns dabei die Hände dreckig machen. Die Geschichte lehrt, dass politische oder gesellschaftliche Umwälzungen oft erst durch ein Bündnis des Neuen mit einer Gruppe der alten Kräfte möglich wurden. Wichtig ist aber, daß wir immer wieder innehalten und nachdenken.« Zum Beispiel so, wie Andreas Weber über eine Wiese nachsinnt: »Wenn ich aber an die brusthohen Gräser auf den Wiesen hinter meinem Haus denke, die in der Nacht leise vibrieren, dann ist all das eine Gabe ohne Gegengabe, ein Schenken ohne Blick in die Zukunft, eine weggegebene Fülle, von der nur ein winziger Bruchteil (vielleicht 0,02 Prozent der so produzierten Samen) etwas nützt und etwas einbringt, weil er anderswo neues Gras und neue Wiesen sät. Doch dass die Wiese überhaupt stabil weiterexistieren kann, ist ja dieser unmöglichen Verschwendung zu danken, die alle nährt, die wiederum mit ihrem Tun dazu beitragen, dass die Wiese bestehenbleibt. Ökologisch ist es notwendig, dass Wiesen begrast (oder gemäht) werden, damit sie sich erhalten. Sie müssen verschwendet sein, um zu prosperieren.«
Eine schöne Aufgabe im Sommer: Legen wir uns in eine Wiese mit brusthohem Gras, betrachten wir die Vögel des Himmels, die nicht säen und ernten, und lernen wir etwas über gute Ökonomie.
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