Biomeiler oder Grundofen?
Im Ökodorf Sieben Linden kann sich ökologische Pionier-Technik in der Praxis bewähren. Vergangenen Sommer war ein Biomeiler im Test. Hat er ihn bestanden?
Um einen solchen Raum zu schaffen, hat Ingrid Weber zusammen mit ihrem Partner Stephan Schwartz das Projekt »Krisenfreunde« ins Leben gerufen. »Die Krisenfreunde sind eine Mitwohngemeinschaft, in der Menschen in Zeiten einer persönlichen Transformation eigenverantwortlich sein können«, erklärt Stephan. Derzeit besteht die Gemeinschaft aus sieben ständigen Mitgliedern. Seit 2011 haben zudem etwa hundert Menschen die Möglichkeit genutzt, für einige Wochen bei den Krisenfreunden mitzuwohnen.
Eine »Mitbewohnerin auf Zeit« ist Antje aus Dresden, die schon wenige Tage nach ihrer Ankunft eine heilsame Wirkung spürt: »Der Ort hier bestärkt mich darin, dem Medikamentenwahn zu entgehen und nach anderen Wegen zu suchen. Hier kann ich versuchen, herauszufinden, welche Bedeutung die Depression für mich hat und was da aus mir heraus will«, sagt die alleinerziehende Mutter und gelernte Schneiderin. Mit der Versorgung ihres Kindes, der Selbständigkeit, dem Druck, Geld verdienen und erfolgreich sein zu müssen, lastete zu viel auf der zarten, jungen Frau. »Als ich dieses Mal abgestürzt bin, wusste ich intuitiv, dass der übliche Weg über Medikamente und die Psychiatrie nicht meiner ist.« Mit dieser Einstellung musste sie sich gegen viele äußere Stimmen abgrenzen, die ihr zur Einnahme von Tabletten rieten und ihr einredeten, möglichst schnell wieder stabil sein zu müssen. Antje wusste aus Erfahrung, dass ihr die Psychiatrie nicht helfen würde: »Dort gibt man quasi seine Identität und seine Verantwortung an der Haustür ab. « Als ihre Therapeutin von den Krisenfreunden erzählte, fühlte sie sich sofort angesprochen.
Das Leben in Gemeinschaft ist für Antje neu. Bislang war sie in großen Gruppen schnell überfordert. Bei den Krisenfreunden findet sie den geschützten Raum, in dem sie die Qualitäten eines intensiven Miteinanders entdecken und sich in einer offenen, transparenten Kommunikation üben kann: »Wir alle haben gewisse Verhaltensmuster. Unsere Möglichkeiten, mit Konfliktsituationen umzugehen, sind begrenzt. Ich habe nicht gelernt, wie ich mit meinen Ängsten und negativen Gefühlen zurechtkomme. Wenn ich hier an meine Grenzen stoße, lerne ich einen ganz neuen Umgang damit. Es ist, wie noch einmal erwachsen zu werden.«
Für die Rückkehr in den Alltag zu Hause bieten die Krisenfreunde weitere Begleitung an. Je nach Bedarf helfen sie bei der Suche nach Kontakten oder Therapeuten in der Region. Darüber hinaus ist Ingrid oft auch telefonisch eine wichtige Kontaktperson für ehemalige Gäste. Viele bleiben mit der Gemeinschaft verbunden, manche kommen immer wieder.
Konstruktive Krise
Die Vision für die Krisenfreunde ist Ingrid während einer tiefen persönlichen Transformation »in den Schoß gefallen«, wie sie sagt. Damals erlebte sie einerseits sich bedrohlich anfühlende Zustände und Ängste. Andererseits erfuhr sie intensive Momente der Öffnung und des inneren Friedens. »Was ich erlebte, war der absolute Ausnahmezustand«, sagt Ingrid rückblickend. Viele Jahre Selbsterfahrung, ihre Ausbildungen in Meditation, Tanz und Körperarbeit, vor allem aber die unerschrockene Begleitung durch ihren Partner Stephan, bewahrten sie davor, freiwillig in eine Psychiatrie zu gehen. Ihr war intuitiv klar, dass sie diesen Transformationsprozess annehmen und als Teil ihres Lebens willkommenheißen wollte.
Anfang 2009, als ein Bekannter vom leerstehenden Hof Beutzen erzählte, entstand die Vision eines Orts jenseits therapeutischer Einrichtungen, an dem Menschen während einer Lebenskrise selbstverantwortlich in einer unterstützenden Gemeinschaft leben können. »Viele Menschen, die diese immer wiederkehrenden, psychisch belastenden Zustände und die daraus resultierenden Ängste allein nicht mehr aushalten, suchen den Weg über die Psychiatrie und nehmen Medikamente, um wieder ›normal‹ zu werden«, stellt Ingrid fest. »Vielen würde aber Zeit, Raum und eine liebevolle Begleitung genügen – so wie mir auch.«
Sie versteht Krisen als Teil des Lebens und als natürliche Wandlungsprozesse. Die Gäste können mit den Anliegen kommen, die sie gerade bewegen. Eine Betreuung im medizinischen Sinn gibt es dabei nicht. »Wir sind keine Pfleger oder Therapeuten, sondern verstehen uns vielmehr als eine Selbsthilfegruppe, die hier in einem natürlichen Miteinander ihren Alltag lebt«, betont Stephan und grenzt das Projekt damit von therapeutischen Einrichtungen ab. »Selbstverständlich ist der Aufenthalt bei uns kein Ersatz für eine Klinik, wenn diese bei spezifischen psychischen Störungen angesagt ist. Uns ist wichtig, dass die Gäste ihren Zustand als einen Transformationsprozess verstehen, den sie konstruktiv durchleben wollen.«
In der Gemeinschaft findet sich immer Raum, Schwierigkeiten und Störungen gemeinsam anzuschauen. Heilung findet somit statt, indem Menschen sich öffnen, sich zeigen und gegenseitig unterstützen. Das Projekt lebt vor allem durch Ingrids Präsenz. Sie »hält« diesen heilsamen Raum und widmet sich den individuellen und innerhalb der Gemeinschaft stattfindenden Prozessen. Dabei gibt es nichts zu erreichen: »Das Potenzial ist das Jetzt. Die tägliche Konfrontation mit dem Gegenüber ist ein riesiges, lebendiges Lernfeld.«
Einfacher Alltag
Die Tage vergehen bei den Krisenfreunden unauffällig und scheinbar ohne Mühe oder Eile. »Wir versuchen, uns immer wieder darauf zu besinnen, mit dem Fluss zu gehen, ohne zu kämpfen oder etwas mit viel Energie anschieben zu müssen«, beschreibt Ingrid ihre Lebensweise, von der das Projekt von Anfang an geprägt war. Für Stephan war dieses Herangehen eine ganz neue Erfahrung: »Ich war erst skeptisch und meinte, wir müssten erst mal ein Konzept entwickeln. Es war schön zu erleben, wie unser Vorhaben konkret wurde, als ich das Konzept losließ und Vertrauen fasste.«
Während Ingrid Tag für Tag anwesend ist, arbeiten Stephan und einige andere Gemeinschaftsmitglieder außerhalb. Die Gäste beteiligen sich an den Kosten für Übernachtung und biologische Vollverpflegung. »Wer die Möglichkeit hat, ist eingeladen, mehr Geld zu geben. Dadurch ermöglichen wir den Aufenthalt von Menschen, die finanziell nur wenig beitragen können«, beschreibt Stephan die Idee des solidarischen Finanzierungsmodells. Eine Mitarbeit in Haus und Garten wird nicht erwartet, ist aber jederzeit möglich. Antje gefällt die Nähe zum Leben: »Hier kann ich mitarbeiten, wenn ich mich danach fühle. Ich bin keine passive Patientin.« Ihre Zeit verbringt sie mit Gesprächen, Spaziergängen, Ausflügen, Alleinsein oder im Garten. »Die körperliche Arbeit tut mir gut«, stellt sie fest. »Das lenkt mich von mir selbst ab.«
Überall in dem großen, alten Fachwerkhaus finden sich liebevoll gestaltete Bereiche, die zum Verweilen einladen. Es ist aufgeräumt, sauber und übersichtlich. Für Isabell, die als Mitbewohnerin auf Zeit herkam und nun ständig hier lebt, hat das eine große Bedeutung: »Wenn im Inneren alles durcheinander geht, dann tut es gut, wenn es im Außen Klarheit gibt.« Neben ihren Aufgaben im Haushalt verbringt auch sie viel Zeit im Kontakt mit den Menschen: »Man ist am Ort präsent, kümmert sich und ist einfach da.«
Transparente Kommunikation
Morgens geht es still zu bei den Krisenfreunden. Bis zum Morgenkreis, dem »Sharing«, wird nicht gesprochen. Die Einladung zur Stille ermöglicht einen besinnlichen Start in den Tag. Bis vor einigen Jahren lebten auf Hof Beutzen noch Missionare, die »Kleinen Brüder vom Kreuz«. Die Kontemplation scheint am Ort noch weiterzuleben.
Wesentlich für die Gemeinschaft der Krisenfreunde ist die transparente Kommunikation, die vor allem im Morgenkreis, an dem alle verpflichtend teilnehmen, praktiziert wird. Alle Anwesenden sind in der Gegenwart präsent und teilen ihre Gedanken und Gefühle mit der Gruppe. Das schafft Verbundenheit und kann sehr persönlich werden. Auch Zwischenmenschliches aus dem Alltag wird ausgesprochen. Die Atmosphäre ist ruhig und konzentriert. In der Mitte brennt eine Kerze, die Sonne scheint ins Zimmer.
Die Gemeinschaft lebt davon, dass alle wissen, wie es den anderen gerade innerlich geht. »Wir wollen im Alltag wach kommunizieren und uns in einem authentischen und achtsamen Kontakt miteinander bewegen«, erklärt Ingrid. »Daran erinnern wir uns immer wieder gegenseitig. Wir sind alle Übende. Wegzugucken ist vielleicht einfacher, aber Gemeinschaft funktioniert für mich nur in dieser transparenten Form.« Alle sind eingeladen, bedrängende Themen offen anzusprechen.
Die Bearbeitung von Schwierigkeiten, vor allem persönlichen, ist nicht immer angenehm, doch trägt sie zum Lernen und zu einem schöpferischen, fruchtbaren Umgang mit der Krise bei. •
Svea Blieffert (25) studiert Nachhaltigkeitswissenschaften in Lüneburg. Sie beschäftigt sich mit der Gestaltung von Lern- und Begegnungsräumen und hat die Ausstellung »Schenken 2.0 – Die Dinge im Fluss halten« entwickelt.
Die Krisenfreunde im Netz besuchen
www.krisenfreunde.de
Im Ökodorf Sieben Linden kann sich ökologische Pionier-Technik in der Praxis bewähren. Vergangenen Sommer war ein Biomeiler im Test. Hat er ihn bestanden?
Seit fünf Jahren lädt das Landkombinat Gatschow, eine kleine Gemeinschaft in Vorpommern, jeden Herbst zu »Safttagen« ein. Ihre selbstgebaute Presse hat inzwischen Schule gemacht.
Nach der Diagnose einer schweren Erkrankung stellen sich viele Betroffene die Frage: Weshalb gerade ich? Was habe ich falsch gemacht? Besonders Frauen neigen dazu, die Schuld für die Erkrankung bei sich selbst zu suchen. Zu den Ängsten, die die Krankheit auslöst, gesellt sich das Gefühl, persönlich gescheitert zu sein.