Gesundheit

Gesundheitskultur im Kiez

Das HeileHaus in Berlin-Kreuzberg hat eine bewegte Geschichte und ist Anlaufstelle für Menschen verschiedenster Herkunftvon Heike Brunner, erschienen in Ausgabe #25/2014
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© Heike Brunner

Bunte Bilder verbinde ich in der Erinnerung mit dem »HeileHaus« in Berlin-Kreuzberg: Kochen in der Kiezküche – vegetarisch und mit Nachtisch –, Kung-Fu-Unterricht in der Hüpfetage, Schröpfglasmassagen in der Ambulanz, gemütliche Stunden in der riesigen Badewanne, mein erster Babymassagekurs, den ich Anfang der 1990er Jahre dort hielt … Ob ich für Oya darüber berichten möchte? Ja, das mache ich gerne! 

Die Geschichte des HeileHauses reicht in die frühen 80er Jahre zurück, die Blütezeit der besetzten Häuser in Berlin. Das Gebäude in der Waldemarstraße hatte viele Jahre lang leer gestanden. Für die Vision, einen Raum zur Erhaltung und Pflege von Gesundheit im Kiez zu schaffen, schien es bestens geeignet. Mit viel Liebe, Engagement und Ausdauer richteten die Besetzerinnen und Besetzer damals das heruntergekommene Haus wieder her. Es entstanden ein Gymnastikraum – die sogenannte Hüpfetage –, ein Workshopraum, eine große Badestube und eine medizinische Ambulanz. Der Laden, vormals ein Wäschegeschäft, wurde zur Kiezküche mit dem schönen Namen »Café Schlüpber«.
Das HeileHaus hat in den 30 Jahren seines Bestehens eine bewegte Geschichte durchlebt, doch die zentralen Bereiche blieben bis heute erhalten. Auch das Anliegen, der Perspektivlosigkeit und Aggression im alten Postzustellbezirk »SO 36« entgegenzuwirken und die Selbsthilfe zu stärken, ist immer noch lebendig. Das erfahre ich im Gespräch mit Sabine, die im Büro des HeileHauses tätig ist. Bei einer Tasse Tee berichtet sie über die aktuelle Situation. »Nein, ein reines Kiezprojekt ist es nicht mehr«, sagt sie. »Die Menschen kommen von überall her.« Die Räume werden gerne von umliegenden Vereinen angemietet, die hier Kurse für Kinder oder Senioren anbieten, und es bestehen gute Kontakte zu benachbarten Initiativen. Immer wieder herausfordernd sei die finanzielle Situation. Jedes Jahr müssten neue Anträge gestellt und Fördermöglichkeiten ausgelotet werden. Ohne ehrenamtliches Engagement wäre das HeileHaus nicht denkbar.
Sabine nimmt mich auf einen Rundgang mit. Die Hüpfetage ist mit regelmäßigen Kursen gut ausgebucht. Mehr als zehn Jahre lang war hier auch die selbstverwaltete Heilpraktikschule zu Hause, die ursprünglich aus einer Lerngruppe im HeileHaus entstanden war und Anfang der 90er Jahre in dessen Räumlichkeiten zurückkehrte. Zu jener Zeit war das HeileHaus zwar nicht in Vergessenheit, aber doch ein wenig aus der allgemeinen Aufmerksamkeit geraten. Kurz nach Öffnung der Mauer standen in Berlin neue Bezirke wie Friedrichshain im Fokus, Häuser wurden nun dort besetzt. Da kam der frische Wind, den die angehenden Heilpraktikerinnen mitbrachten, genau richtig: Junge Menschen lernten gemeinsam für die Prüfungen, belebten die Ambulanz und nutzten die große Küche.
Vor der Wende hatte es im legendären Café Schlüpber täglich eine warme Mahlzeit gegeben. Das Essen wurde ehrenamtlich gekocht und war für die Menschen aus der Nachbarschaft nicht nur sehr günstig, sondern auch für seine hohe Qualität bekannt. Die ­Gerichte waren experimentell, vollwertig vegetarisch oder vegan, und es gab immer einen Nachtisch dazu. Im Café wurden auch Neuigkeiten aus den besetzten Häusern, von Demonstrationen oder anderen politischen Aktivitäten ausgetauscht. Später, in den 90er Jahren, wurde es wegen mangelnder Beteiligung geschlossen.
Wir überqueren den Hinterhof. Im neuen Café in der Remise treffen sich nun wieder Nachbarn zum gemeinsamen Kochen, es werden Vereinsplenen gehalten, und Selbsthilfegruppen tagen hier. Auch Vorträge zur Gesundheitsvorsorge, Filmabende und Lesungen finden in dem freundlichen Raum statt.

Offen für alle – Bad und Beratung
Eine weitere Besonderheit des HeileHauses ist die Badestube. Mit mehreren Duschen und Wannen, teilweise in Übergröße, war sie von Anfang an eine beliebte Einrichtung. Auch zwei Waschmaschinen gehören zum Inventar, denn in den besetzten Häusern der 80er Jahre waren solche technischen Errungenschaften eher Mangelware. Heute werden sie oft auch von Obdachlosen oder Wanderarbeitern genutzt. Im letzten Jahr war die Badestube zudem Anlaufstelle für das Lampedusa-Flüchtlingscamp vom Oranienplatz. Dieser Ansturm war für das HeileHaus eine große Her­ausforderung, erzählt Sabine. Dolmetscher wurden benötigt, der Wasser- und Energieverbrauch stieg rapide an, Waschmaschinen mussten gewartet und die Öffnungszeiten neu – nach Geschlechtern getrennt – organisiert werden.
Die Ambulanz wirkt wie das Herzstück des HeileHauses; sie ist seit über 30 Jahren durchgängig in Betrieb. Gerade findet eine Beratung statt, im Warteraum davor sitzt ein älterer Mann. Das Spektrum der Angebote reicht von Naturheilkunde, Fastenkursen, HIV-Beratung und Raucherentwöhnung bis hin zu Massagen und Körperarbeit. Ich spreche mit Hannah, die sich als Heilpraktikerin auf chinesische Medizin spezialisiert hat. »Alle Beratungen finden auf Spendenbasis statt«, erklärt sie. »Auch Menschen, die keine Krankenversicherung haben, können hierher kommen.« Es sind vor allem Heilpraktiker, Sozialarbeiterinnen und Krankenschwestern, die sich ehrenamtlich im HeileHaus engagieren und hier zum Teil erste Berufserfahrungen sammeln.
Kiezbewohner verschiedenster Nationalitäten sind dankbar für die Angebote. »Vielen hilft schon die Ernährungsberatung – einfach zu erfahren, wie bestimmte Lebensmittel wirken und zu welchen Tageszeiten es gemäß der chinesischen Organuhr gut ist, zu essen oder zu schlafen. Rhythmus ist ein wichtiges Thema, wenn es um Gesundheit geht. Für Menschen, die schnell mal Wohnsitz, Land und Arbeitsumfeld wechseln, sind das essenzielle Informationen«, weiß Hannah.
Auch Menschen mit psychischen Problemen oder ehemals Drogenabhängige finden im HeileHaus professionelle Beratung. Das Interesse an alternativen Heilmethoden ist groß. Chronisch Kranke, die schulmedizinisch »austherapiert« sind, erkundigen sich ebenso danach wie Menschen, die erst gar keinen schulmedizinischen Weg einschlagen möchten. Ein besonderes Augenmerk gilt den Jugendlichen aus der Nachbarschaft. Für Schulabbrecher, wohnungslose oder drogengefährdete junge Menschen gibt es Beratung und eine Selbsthilfegruppe, in der an diesen Problemen kreativ gearbeitet wird.

Keimzelle für kreative Projekte
Auch für Sabine ist der Gestaltungsfreiraum, den das HeileHaus bietet, eine wesentliche Motivation. »Die Menschen dürfen hier so sein, wie sie sind, und werden nicht gleich in Schubladen gesteckt.« Als Krankenschwester sind ihr festgefahrene Strukturen und Denkweisen wohlbekannt. »Für uns ist es unwichtig, ob jemand nicht versichert oder psychisch krank ist. Wir nehmen den Menschen als Ganzen, schauen, was er oder sie mitbringt und wie es von da aus weitergehen kann.« Dieses Menschenbild gilt auch für das HeileHaus-Team selbst. Im wöchentlichen Plenum hat sich der rauhe Ton aus Hausbesetzerzeiten zu einem gemeinsamen Bemühen um eine achtsame Kommunikation gewandelt.
Bevor ich mich verabschiede, zeigt mir Sabine noch ihre Bienenvölker, die ganz oben auf dem begrünten Dach wohnen. »Sie waren schon hier, als das Thema Stadtbienen noch gar nicht in aller Munde war«, sagt sie nicht ohne Stolz.
Nun – das HeileHaus hatte schon immer eine gewisse Vorreiterfunktion; tatsächlich ist es Ausgangspunkt vieler Initiativen. Menschen, die sich hier ausprobierten und Erfahrungen sammelten, gründeten später eigene Kung-Fu-, Yoga- und Heilpraktikerschulen oder kleine Restaurants. Manche nahmen ihre Erfahrungen auch mit in ihre Heimatstädte zurück, um dort Beratungsstellen im Sinne der Ambulanz aufzubauen.
Das HeileHaus bietet heute wie vor 30 Jahren Raum für gesundheitsinteressierte Menschen aller Altersstufen und wird seinem Anspruch, zu einer dezentralen und naturgemäßen Gesundheitsvorsorge und zur Stärkung von sozialen Kompetenzen beizutragen, tagtäglich gerecht. Neue Bilder kommen mir in den Sinn, als ich höre, dass die frisch sanierte Großküche noch nicht voll ausgelastet ist. Vielleicht werde ich in diesem Jahr dort einen Kochkurs nach der Fünf-Elemente-Lehre anbieten … •

 

Heike Brunner (47) ist Heilpraktikerin mit eigener Praxis in Berlin. Sie arbeitet ehrenamtlich für die Zeitschrift des Berufsverbands für Heilpraktikerinnen »Lachesis«, sowie für »ANME e. V.«, eine Organisation, die sich für die Erhaltung der Naturheilverfahren in Europa einsetzt.


www.heilehaus-berlin.de

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