Titelthema

Co-Working mit Kind

Wie sich Beruf, politisches Engagement und Familie miteinander vereinbaren lassen.
von Maja Klement, erschienen in Ausgabe #28/2014

Mit der Geburt eines Kindes verändert sich das Leben. Vor allem Mütter sind es, die sich nach den ersten Monaten Lebensformen wünschen, die es ihnen ermöglichen, be­ ruflich, gesellschaftlich oder politisch tätig und gleichzeitig bei ihren Kindern zu sein. Doch welche Alternativen gibt es zu einer Tagesmutter oder einem Kindergarten? Die Strukturen unserer Arbeitswelt machen eine Integration von Kindern so gut wie unmöglich. Am Arbeitsplatz eines Kopf­ arbeiters dabeizusein, ist für Kinder meist uninteressant, und ein gelangweiltes Kind ist mindestens genauso schwer zu ertragen wie eine überforderte Mutter, die sich be­ müht, ihr Kind irgendwie bei Laune zu hal­ ten. Vor allem sehr kleine Kinder brauchen aber die Nähe zu ihren Bezugspersonen, ältere wiederum eine Vielfalt an Persönlich­ keiten, eine inspirierende Umgebung und andere Kinder. Das bekannte afrikanische Sprichwort »Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind großzuziehen« bewahrheitet sich immer wieder – doch so ein Dorf gibt es in unserer Gesellschaft nicht mehr. Umso wichtiger ist es, neue Modelle des Mitein­anders zu realisieren, denn die meisten frischgebackenen Mütter geraten in eine ungewollte Isolation.

Kinder am Rockzipfel
Johanna Gundermann erging es ähn­lich. Als dreifache Mutter suchte sie nach Alternativen und gründete 2010 das erste Eltern­-Kind­-Büro Deutschlands. In der ersten Etage eines lebendigen Hausprojekts in der Leipziger Weststadt hat der von ihr initiierte »Rockzipfel« mittlerweile seine Räumlichkeiten gefunden. Auf 160 Quad­ratmetern arbeiten und spielen regelmäßig bis zu neun Eltern mit ihren Kindern. Einlanger Flur verbindet mehrere kleine Büros, ein großes Bad sowie einen Schlafraum mit-­ einander; insgesamt bietet der Rockzipfel ein Dutzend Schreibtischplätze. Dieser Teil macht den »Leisebereich« der Wohnung aus. Das in sich abgeschlossene Areal des »Lautbereichs« verbindet drei Zimmer als Raum für gemeinschaftliches Miteinander: geräumige Küche, helles Esszimmer und ein großes Spielzimmer. Während die Eltern arbeiten, ist dort immer ein Mitglied des Rockzipfel­-Teams mit ganzer Aufmerksam-­ keit für die Kinder da.
»Ich selbst kam dann leider nicht mehr in den Genuss des Angebots, denn als wir endlich starten konnten, waren meine Kinder schon zu groß«, erzählt Johanna. Von ihrer Idee bis zum funktionierenden Eltern­Kind­-Büro dauerte es zwei Jahre. Ei­nen Arbeitsplatz nutzt Johanna trotzdem in der Bürogemeinschaft, und auch die Pro­jektleitung hat sie noch inne. »Während die Kinder im Lautbereich spielen, können die Eltern arbeiten. Selbstverständlich können die Kinder jederzeit zu ihren Eltern kom­men – und ums gemeinsame Mittagessen, ums Wickeln und Schlafen kümmert sich sowieso jeder Erwachsene selbst.«

Organisation und Entscheidungskultur
Die Kinder, die in den Rockzipfel mitkommen, sind zwischen einem Jahr und drei Jahren alt. Ältere Kinder sind zwar willkommen, aber die räumlichen Bedingungen stimmen für sie meist nicht mehr. »Ein Teil der Eltern sucht dann nach anderen Lösungen«, so Johannas Erfahrung. »Einigen gefällt die familiäre Atmosphäre jedoch so gut, dass sie auch ohne Kind ihren Büroplatz weiter nutzen wollen.« Alltagsentscheidungen dar­über, wer wann kocht oder ob neue Büromitglieder aufgenommen werden, treffen alle gemeinschaftlich. Bei finanziellen Fragen entscheidet Johanna allein, wobei sie immer mit der Gruppe Rücksprache hält. »Generell fällt es bei den häufigen personellen Wechseln schwer, langfristige Entscheidungen gemeinsam zu treffen. Es ist ungünstig, wenn jemand mitentscheidet, die oder der bald wieder geht.«
Diese neue Form findet Nachahmer: Mittlerweile gibt es schon Ableger des Rockzipfels in Dresden und Hamburg, dazu ähnliche Ansätze in Berlin, Hannover und München. Johanna berät solche Initiativen bei Fragen zu Gründung und Fördermöglichkeiten. Je nach Region, den finanziellen Mitteln der Gruppe und der rechtlichen Struktur differieren die Projekte. Der Leipziger Rockzipfel hat beispielsweise das Glück, keine Miete zahlen zu müssen. Für die Räume müssen lediglich monatliche Fixkosten von 700 Euro zusammenkommen. Das ermöglicht ein buntes System buchbarer Tickets, die auf die individuellen Wünsche der Nutzenden abgestimmt sind. Für die Kinderbetreuung finden sich über Portale wie ­workaway.info Freiwillige, die einige Wochen bleiben und gegen Kost und Logis ein paar Stunden täglich mitarbeiten.

Kinder auf der Degrowth-Konferenz
Auch die Degrowth-Konferenz soll ein kinder- und familienfreundlicher Ort sein und damit zum Gemeinschafts- und Solidaritätsgedanken der Bewegung beitragen. »Es ist uns ein besonderes Anliegen, auch Menschen mit Kindern die Teilnahme und somit die Teilhabe am politischen Prozess zu ermöglichen«, sagt ­Silvia Halbe, eine der Organisatorinnen der Konferenz. Als zweifache Mutter musste sie immer wieder erfahren, wie schwer es ist, auch mit Kindern politisch und beruflich aktiv zu bleiben. Seit der Geburt ihrer ersten Tochter engagiert sie sich für kinder- und damit auch elternfreundliche Lebenswelten. Ob Konferenzen, politische Camps oder in der Transition-Town-Initia­tive Witzenhausen – immer wieder setzt sie das Thema in den Fokus. »Auf den meisten Veranstaltungen werden Kinder von vornherein nicht eingeplant. Die Separation unserer Lebenswelten ist viel zu selbstverständlich geworden. Wer mit Kindern auftaucht, erntet nicht immer Verständnis. Viele fühlen sich durch Kinder gestört – und wenn wir ehrlich sind, ist die Erwachsenenwelt aus Vorträgen und end­losen Diskus­sionsrunden auch nicht kinderfreundlich.«
Silvia und andere haben sich dafür starkgemacht, dass auf der Degrowth-Konferenz zwei Räume an der Leipziger Uni in einen Spiel- und einen Ruheraum verwandelt werden. »Es ist uns wichtig, dort kein spezielles Lernprogramm anzubieten, sondern den Kindern Raum für freies Spiel zu geben«. Mit einem festen Betreuungsteam, unterstützenden Eltern und Freiwilligen wird sie ganztägig für die bis zu 30 angemeldeten Kinder im Alter von einem Jahr bis elf Jahren da sein. »Zur Mittagszeit kommen die Familien wieder zusammen«, erklärt sie. »Da die Eltern ja auf dem Gelände der Uni unterwegs und somit in guter Reichweite sind, können wir auch im Notfall Eltern und Kinder schnell zueinander bringen.« Generell können Familien auch zusammen in die regulären Veranstaltungen gehen, solange es den Kindern dort gefällt und eine angemessene Ruhe im Raum ist. Außerdem wird es auch Workshops extra für Kinder und Jugendliche geben.
Schon während der Vorbereitung der Konferenz war es im Organisatorenteam selbstverständlich, die Kinder der Teammitglieder in die ­Planungswochenenden zu integrieren. So konnte man während der Leipziger Treffen die Räumlichkeiten des nahegelegenen Rockzipfels für die Kinderbetreuung nutzen. Bereits drei Wochen vor der Konferenz möchte Silvia vorübergehend aus Witzenhausen mit ihren beiden Kindern für das Großereignis nach Leipzig ziehen. Dafür hat sie sich schon im Rockzipfel angemeldet, um dort zu arbeiten und gleichzeitig mit ihren Töchtern zusammen zu sein. »Eltern-Kind-Büros sind wunderbar«, schwärmt sie. »Wenn es solche Orte flächendeckend gäbe, wäre es für Eltern viel einfacher, gemeinsam mit ihren Kindern kurzfristige Tätigkeiten an wohnortfernen Orten anzunehmen. Im Moment ist das ja praktisch unmöglich, denn einen Kinder­gartenplatz bekommt man nicht einfach so für ein paar Tage oder Wochen – ganz zu schweigen von der Eingewöhnungszeit, die bei Fremdbetreuung notwendig wird.« So bewahrt Co-Working mit Kind Mütter davor, sich zwischen Familie, Beruf oder politischem Engagement entscheiden zu müssen.

Eine Gesellschaft der neuen »Dörfer«
Es liegt auch – und vielleicht vor allem – an der nächsten Generation, ob und wie wir in einer Degrowth-Gesellschaft mitein­ander leben werden. Ein großer Gewinn für das Leben mit Kindern wäre es, wenn viele Dinge, die heute technisiert-entfremdete Arbeitsschritte verlangen, wieder handwerklich verrichtet würden. »Wird ein Acker kleinteilig von vielen Menschen bearbeitet – wie beispielsweise in unserer solidarischen Landwirtschaftsgruppe –, ist sofort die ›Konvivialität‹ spürbar, von der Ivan Illich spricht – ein Arbeitszusammenhang, in dem sich die Technik an den Bedürfnissen der Menschen ausrichtet«, meint Silvia. »Unsere Kinder haben mitgeholfen oder gespielt, haben am Feldrand geschlafen oder waren auf den Rücken gebunden. Die Erwachsenen haben sich eben auf dem Feld statt abends in einem Café bei einer Latte macchiato unterhalten.«
Silvias Leidenschaft für diese Vision ist ein Funke, der überspringt. »Ich bin mir bewusst, dass manuelle Arbeit auch anstrengend und zermürbend sein kann. Aber wenn wir Kinder nicht aufwendig weg­organisieren und bespaßen, sondern sie bei der Arbeit dabei sind, lernen sie Grund­legendes über das Zusammenleben, das Sich-gegenseitig-Helfen, über Natur und Technik und vieles mehr.«
Es ist an der Zeit, die Erwerbslogik und die aus ihr resultierenden gesellschaftlichen Folgen kritisch in ihrer Gesamtheit zu betrachten. Lassen sich Wege finden, Kinder wieder Teil unseres Alltags werden zu lassen, so dass sie an und mit uns Großen wachsen und dabei erleben können, mit den Eltern und einer Gemeinschaft verbunden zu sein? Menschen wie Johanna und Silvia können Veränderungen in diese Richtung anstoßen. Sie handeln aus eigenem Bedarf heraus, organisieren sich – und schaffen damit neue Formen von ­»Dörfern«.•


Maja Klement (36) ist Mutter eines Sohns und lebt in Berlin. Sie arbeitet in der bindungsorientierten Elternbegleitung und engagiert sich für eine kindgerechte Welt.

Interesse am Rockzipfeln?
www.rockzipfel-leipzig.de
www.rockzipfel-dresden.de
www.rockzipfel-hamburg.de
www.rockzipfel-volksdorf.com
www.coworkingtoddler.de
www.coworkind.de

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