Essen ist eine Kultur-Tat
Die Idee ist einfach, und sie sollte sich am besten so schnell verbreiten wie die Bewegung für urbanes Gärtnern: offene Küchen, in denen reihum auf Spendenbasis gekocht wird.
Ich lese gerne draußen. Dabei krabbelt immer mal wieder ein Insekt über mein Buch. Normalerweise schnicke ich es behutsam weg, um in den Seiten fortzufahren. Als ich jedoch Andreas Webers »Alles fühlt« las, fügte es sich zu einem ganz natürlichen Teil meiner Lektüre, dass ich mir Zeit für eine genauere Betrachtung eines solchen Krabblers nahm: Dem zarten Wesen fehlte ein Flügelpaar, und mir schien, als suchte es – erschöpft von gescheiterten Flugversuchen – meine Nähe. »Alles fühlt« hat die Kraft, die Sicht auf das, was uns umgibt, zu verändern. In dieser veränderten Sicht erwacht Begeisterung über Phänomene, deren kausale Erklärungen wir zwar gelernt, aber dabei versäumt haben, uns berühren zu lassen.
Alltäglichen Vorgängen wohnt eine Bedeutung inne, die wir oft nicht erkennen. Für diese öffnet der Biologe und Philosoph Andreas Weber in »Alles fühlt« – das als Neuausgabe bei thinkOya erschienen ist – die Sinne. Er führt die Leserin in die Denkweise der schöpferischen Ökologie, in der Lebewesen nicht länger als Maschinen, sondern als empfindende Subjekte verstanden werden, ein. Kein Lebewesen kann isoliert von seiner Umwelt begriffen werden, sondern nur als »gemeinsamer Ausdrucksprozess«. Die Vorstellung, dass allein Menschen fühlen könnten, ist Weber zufolge so naiv wie das geozentrische Weltbild.
In sechs Teilen lässt er Stimmen aus Biologie, Neurologie, Physik und anderen Forschungsbereichen zusammenfließen und skizziert so vor der Folie persönlicher Naturerfahrung eine Traditionslinie vom Naturforscher Goethe bis zum Biologen Jakob von Uexküll, die in einer Revolution der Lebenswissenschaften mündet – alles in gut verständlicher und hochpoetischer Sprache.
Wie Weber zu betonen nicht müde wird, geht der Verlust der biologischen Vielfalt mit einem Verlust der Liebe einher. Folgt man der schöpferischen Ökologie, stellt sich nicht länger die Frage, ob wir »die uns fremde Natur« schützen sollen: Wir sind Teil der Natur, und sie ist Teil von uns – auch in der artenarmen Agrarsteppe Mitteleuropas. »Wir müssen die Natur für unsere Seele retten«, fasst Weber die ethische Konsequenz seines Buchs zusammen.
Nach wie vor kennen die Naturwissenschaften keine Antwort auf die Frage »Was ist Leben?«. Diese muss wieder gestellt werden und dazu führen, dass wir von unserem Sockel der Rationalität hinabsteigen. Webers Buch begleitet diesen Schritt. Die hier angeregte Verlebendigung des Denkens ist von hoher gesellschaftspolitischer Relevanz, ohne dass sich Weber dabei in tagespolitischen Forderungen verbeißen würde. Gerade darin liegt das revolutionäre Potenzial seines Buchs: Es öffnet Türen zu einem Selbstverständnis, das den Wandel aus sich heraus befördern wird.
Alles fühlt
Mensch, Natur und die Revolution der Lebenswissenschaften.
Andreas Weber
thinkOya, 2014
272 Seiten
24,80 Euro
Die Idee ist einfach, und sie sollte sich am besten so schnell verbreiten wie die Bewegung für urbanes Gärtnern: offene Küchen, in denen reihum auf Spendenbasis gekocht wird.
Wam Kat ist Mitbegründer des Kollektivs »Rampenplan«, das seit den 1980er Jahren politische Aktionen vegetarisch bekocht. Während der Jugoslawienkriege engagierte er sich als Friedensarbeiter und initiierte 1999 die »Balkan Sunflowers – Volunteers for Social Reconstruction«. In Belzig im Fläming, wo Wam seit 1995 wohnt, rief er die Initiative »Info-Café – Der Winkel für Toleranz und gegen rechte Gewalt« ins Leben. 2008 wurde der Revolutions-Koch in die Stadtverordnetenversammlung gewählt. Seit einiger Zeit ist er mit seiner »Fläming Kitchen« europaweit unterwegs, um auf die Lebensmittelverschwendung hinzuweisen.
Christine Ax und Friedrich Hinterberger stellen in ihrem Buch »Wachstumswahn« auf anschauliche und detaillierte Weise dar, dass das Wirtschaftswachstum in Deutschland seine Grenze erreicht hat. Im Vergleich zu den letzten Jahrzehnten können heute keine höheren Zuwachsraten