Buchtipps

Postfossile Mobilität (Buchbesprechung)

von Julia Fuchte, erschienen in Ausgabe #30/2015
Photo

Wussten Sie, dass Verkehr der Abfall von Mobilität ist? Dies ist eine der zahlreichen Erkenntnisse aus dem vorliegenden Sammelband »Postfossile Mobilität«, in dem sich Verkehrsexperten, Gesellschafts- und Naturwissenschaftler sowie Ingenieure dazu äußern, wie es mit Deutschlands Mobilität weitergehen kann und sollte.
Es geht um den Fetisch des Individualverkehrs, die Planung der Bundesverkehrswege und neue Lösungen – wobei klar wird, dass vor allem Mobilität im eigenen Denken gefragt ist. Mit einigen Mythen wird zudem aufgeräumt: Zum Beispiel wird keine Reisezeit eingespart, wenn die Verkehrsmittel schneller werden. Die durchschnittlich pro Tag im Verkehr verbrachte Zeit ist mit 50–70 Minuten weltweit seit Jahrzehnten und verkehrsmittelunabhängig konstant. Gespart wird hingegen an intelligenter Wirtschafts- und Siedlungslogistik sowie an energie- und ressourcensparenden Strukturen: Dass die Wege immer länger werden, ist kein Zeichen des Fortschritts, sondern von fehlenden Einrichtungen in Wohngebieten.
Aufgrund von großzügigen Subventionen und ideellen wie politischen Strukturen wird das »Mobilitätssymbol« Auto wie kein anderes Vehikel bevorzugt; wir sind nur scheinbar unvoreingenommen in der Wahl des Verkehrsmittels. Die Freiheit des Automobils ist eine individualistische. Im vorigen Jahrhundert dagegen arrangierten sich im kollektiven Transportmittel Eisenbahn noch alle gesellschaftlichen Schichten miteinander – sehr zum Missfallen der damaligen Eliten. Auch der Mythos des E-Autos wankt: Dieses wird im Privatbesitz erst dann eine ökonomisch vernünftige Entscheidung sein, wenn es eine Verkehrswende geben und Benzin deutlich teurer sein wird.
Der Mobilitätsdebatte zugrunde liegt die Frage, ob es ein Grundrecht auf Mobilität gibt – etwa weil sie dazu beitrage, die Persönlichkeit zu entfalten. Die Autoren sind sich einig darüber, dass der Mensch mit seinem Mobilitätswunsch wieder in den Mittelpunkt gestellt werden muss – so dürfe man bei Stadtplanungen Kinder nicht länger gegenüber Lieferverkehr und parkenden Autos benachteiligen. Voraussetzung dafür seien entschlossene Rahmensetzungen des Verkehrsministeriums, für das ein Wort wie Verkehrsvermeidung aber bisher eine »einzigartige Provokation« darstelle. Wie wäre es daher in Zukunft mit einer allgemeinen Mobilitätsministerin?
Dass sich systemisch etwas ändern muss, klingt bei vielen Autoren an. In den Beiträgen wiederholt sich jedoch teilweise die Palette etablierter Maßnahmenvorschläge: externe Kosten anlasten, Infrastruktur nachhaltig planen, Leichtbau-Autos, Car-and-Bike- Sharing, Versorgungsverantwortung dezentralisieren. Offen bleibt, ob das bereits genug Mobilität im eigenen Denken ist. ◆ 


Postfossile Mobilität
Zukunftstauglich und vernetzt unterwegs.
politische ökologie Band 137
oekom, 2014, 144 Seiten
17,95 Euro

weitere Artikel aus Ausgabe #30

Photo
von Bastian Barucker

Vorgeburtliches Bewusstsein (Buchbesprechung)

»Endlich können wir die wahren Ursachen von Krankheiten erkennen und sie behandeln«, verspricht Arthur Janovs neues Buch »Vorgeburtliches Bewusstsein«. Der heute über 90 Jahre alte Psychologe hat sein Lebenswerk dem Einfluss vorgeburtlicher und kleinkindlicher

Photo
Gesundheitvon Julia Vitalis

Den Kampf beenden

Nicht viele Menschen wagen sich an die Ursachen gesellschaft­licher Missstände heran und gehen vorurteilsfrei mit sogenannten Randgruppen um. Im Rahmen seines Projekts »­Spirit Fighter« zur Gewalt­prävention arbeitet Marco Hennings, wenn möglich, auch im Gefängnis.

Photo
Bildungvon Julia Vitalis

Alle sind Lehrende und Lernende

Leslie, warum wolltest du deine Kinder nicht zur Schule ­schicken?Ich konnte in der Kindertagesstätte meines Sohnes zuschauen, was ablief: Es ging hauptsächlich um Gruppenkontrolle. Was ich beobachtete, war weder eine glückliche noch eine kreative Situation, die Lernen

Ausgabe #30
Oyropa

Cover OYA-Ausgabe 30
Neuigkeiten aus der RedaktionVerteilstationen