Wussten Sie, dass Verkehr der Abfall von Mobilität ist? Dies ist eine der zahlreichen Erkenntnisse aus dem vorliegenden Sammelband »Postfossile Mobilität«, in dem sich Verkehrsexperten, Gesellschafts- und Naturwissenschaftler sowie Ingenieure dazu äußern, wie es mit Deutschlands Mobilität weitergehen kann und sollte. Es geht um den Fetisch des Individualverkehrs, die Planung der Bundesverkehrswege und neue Lösungen – wobei klar wird, dass vor allem Mobilität im eigenen Denken gefragt ist. Mit einigen Mythen wird zudem aufgeräumt: Zum Beispiel wird keine Reisezeit eingespart, wenn die Verkehrsmittel schneller werden. Die durchschnittlich pro Tag im Verkehr verbrachte Zeit ist mit 50–70 Minuten weltweit seit Jahrzehnten und verkehrsmittelunabhängig konstant. Gespart wird hingegen an intelligenter Wirtschafts- und Siedlungslogistik sowie an energie- und ressourcensparenden Strukturen: Dass die Wege immer länger werden, ist kein Zeichen des Fortschritts, sondern von fehlenden Einrichtungen in Wohngebieten. Aufgrund von großzügigen Subventionen und ideellen wie politischen Strukturen wird das »Mobilitätssymbol« Auto wie kein anderes Vehikel bevorzugt; wir sind nur scheinbar unvoreingenommen in der Wahl des Verkehrsmittels. Die Freiheit des Automobils ist eine individualistische. Im vorigen Jahrhundert dagegen arrangierten sich im kollektiven Transportmittel Eisenbahn noch alle gesellschaftlichen Schichten miteinander – sehr zum Missfallen der damaligen Eliten. Auch der Mythos des E-Autos wankt: Dieses wird im Privatbesitz erst dann eine ökonomisch vernünftige Entscheidung sein, wenn es eine Verkehrswende geben und Benzin deutlich teurer sein wird. Der Mobilitätsdebatte zugrunde liegt die Frage, ob es ein Grundrecht auf Mobilität gibt – etwa weil sie dazu beitrage, die Persönlichkeit zu entfalten. Die Autoren sind sich einig darüber, dass der Mensch mit seinem Mobilitätswunsch wieder in den Mittelpunkt gestellt werden muss – so dürfe man bei Stadtplanungen Kinder nicht länger gegenüber Lieferverkehr und parkenden Autos benachteiligen. Voraussetzung dafür seien entschlossene Rahmensetzungen des Verkehrsministeriums, für das ein Wort wie Verkehrsvermeidung aber bisher eine »einzigartige Provokation« darstelle. Wie wäre es daher in Zukunft mit einer allgemeinen Mobilitätsministerin? Dass sich systemisch etwas ändern muss, klingt bei vielen Autoren an. In den Beiträgen wiederholt sich jedoch teilweise die Palette etablierter Maßnahmenvorschläge: externe Kosten anlasten, Infrastruktur nachhaltig planen, Leichtbau-Autos, Car-and-Bike- Sharing, Versorgungsverantwortung dezentralisieren. Offen bleibt, ob das bereits genug Mobilität im eigenen Denken ist. ◆
Postfossile Mobilität Zukunftstauglich und vernetzt unterwegs. politische ökologie Band 137 oekom, 2014, 144 Seiten 17,95 Euro