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Die Ehrfurcht vor dem Leben (Buchbesprechung)

von Matthias Fersterer, erschienen in Ausgabe #27/2014
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Vom Ausbruch des Ersten Weltkriegs überschattet und von allem, was er aus der Philosophie über Ethik wusste, im Stich gelassen, entwickelte der Arzt, Philosoph und Organist Albert Schweitzer seine Lehre von der »Ehrfurcht vor dem Leben«. 100 Jahre später hat uns dieses Denken, das seiner wie auch unserer Zeit voraus war, erstaunlich viel zu sagen. Als Ethik definiert Schweitzer »die Ehrfurcht vor dem Willen zum Leben in mir und außer mir«. Frieden in der Welt könne nur einkehren durch eine »Ethik des Erlebens der ins Grenzenlose erweiterten Verantwortung gegen alles, was lebt«. Dass es in Schweitzers Denken keine »tote Materie« gibt und sich diese Verantwortung prinzipiell auf alles erstreckt, führt unweigerlich zu lebenspraktischen Konflikten; diesen gälte es aber gerade nicht auszuweichen, denn »in der Wahrheit sind wir, wenn wir die Konflikte immer tiefer erleben. Das gute Gewissen ist eine Erfindung des Teufels.«
Mit einer nach ihm kaum erreichten Radikalität hat Schweitzer einen Grundstein für eine Ethik der Verbundenheit gelegt, die bis heute ihrer praktischen Umsetzung harrt. Ein kapitaler Fehler, denn es wäre eine holistische Ethik, wie diese, die der menschlichen Spezies in Zeiten von Artensterben, Klimawandel und Ressourcenschwund nicht nur ein Überleben sichern, sondern darüber hinaus ein gutes Leben inmitten von Leben, das leben möchte, ermöglichen würde. Die bei C.H. Beck erschienene Essay-Sammlung »Ehrfurcht vor dem Leben« enthält Schlüsseltexte zu Albert Schweitzers holistischer Ethik aus verschiedenen Schaffensphasen, die auch viele Jahrzehnte nach ihrer Erstveröffentlichung unser teuflisch gutes Gewissen nachhaltig zu erschüttern vermögen. Sie sind Pflichtlektüre für alle, die sich mit einem würdevollen und zukunftsfähigen Verhältnis des Menschen mit seiner Mitwelt beschäftigen.

 

Die Ehrfurcht vor dem Leben
Albert Schweizer
C.H. Beck, 2013
167 Seiten
ISBN 978-3406587795
9,95 Euro

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