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Vom Verstummen der Welt (Buchbesprechung)

von Diana Schmidt, erschienen in Ausgabe #18/2013
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Was haben die Vielfalt der Klänge, Bilder und Beziehungen in der Natur mit unserer Sprache, mit den Geschichten und mit den Ausdrucksmöglichkeiten menschlicher Kultur zu tun? Und was bedeutet ihr Aussterben für uns? Der Forstwissenschaftler, Biologe und Abenteurer Marcel Robischon beantwortet diese Fragen anhand unzähliger Beispiele aus Wissenschaft und Naturgeschichte, die er literarisch mit ­eigenen Beobachtungen und Erzählungen aus aller Welt verknüpft: Eskimobrachvogel, Säbelantilope, Honigkuckuck und eine Vielzahl anderer Lebewesen finden ihren Platz in den metaphernreichen Beschreibungen. Ihre Einzigartigkeit gilt es zu schützen, in Gegenwart und Erinnerung – denn jede Form von Leben trägt einen Sinn und spielt eine Rolle im großen Ganzen, und ihr Verschwinden lässt eine ökologische Lücke zurück.
Verödete Graslandschaften mit weißen Schafen, Felsentauben in der Betonwüste – allerorts die gleichen Spezies: ein Ergebnis globalisierter Flora und Fauna, Paradigma für die Vergrauung unserer ursprünglichen Inspirationsquellen. Es wird von Bienenvölker-Deportationen über den Ozean berichtet, von der Kaninchenplage im England des 19. Jahrhunderts, von der »Tragödie unwiederbringlicher Verluste« durch die menschliche Experimentierfreude, die ganze Ökosysteme ins Ungleichgewicht gebracht hat, aber auch vom symbiotischen Zusammenspiel von Mensch und Natur seit jeher: wie Möwen den Seefahrern Land ankündigen, wie das »Tal der Eiben« uns an alte Zeiten erinnert, wie der Klang indigener Sprachen von wilden Vogelstimmen herrührt. Wenn von schillernden Wesen irgendwann nur noch verstaubte und verstummte Museumsexponate übrigbleiben, dann verliert auch unser Dasein an Glanz und Ideen.
In eindrucksvoller Bandbreite und stilistischem Vielklang – ganz gemäß dem Sujet – legt der Autor seine aufwendigen natur- und kulturwissenschaftlichen Recherchen vor. Anknüpfend an die angelsächsische Tradition des »Nature Writing«, setzt er seine Analyse in Bezug zu den gesammelten Mythen sowie zu seinen eigenen Naturerfahrungen, die durch wache Einfühlungsgabe intensiviert sind. So entsteht ein vielstimmiges, sinnlich erfahrbares und emotional ­bewegendes Plädoyer für das elementare menschliche Bedürfnis, im Einklang und Rhythmus sowie nach den »Verkehrsregeln« der Natur zu leben, anstatt sie zu ignorieren, auszubeuten und zu bekämpfen. ­Marcel Robischon ruft dazu auf, uns selbst im ­sensiblen Umgang mit der Erde zu üben – auch um unseres ­kulturellen Reichtums willen.  ◆ 

Vom Verstummen der Welt
Wie uns der Verlust der Artenvielfalt kulturell verarmen lässt.
Marcel Robischon
oekom, 2012, 319 Seiten
ISBN 978-3865811820
19,95 Euro

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