Buchtipps

Vom Gärtnern in der Stadt (Buchbesprechung)

von Anja Humburg, erschienen in Ausgabe #16/2012
Photo

Stiefmütterchen-Plantagen durchbrechen vielerorts das Grau städtischer Verkehrsinseln. Im besten Fall. Oft genug liegen öffentliche Flächen – vom Randstreifen bis zum ehemaligen Parkplatz – in der Stadt brach. Doch bei jedem Besuch in der Großstadt beobachte ich in letzter Zeit den Einzug der Nutzpflanzen auf solchen urbanen Flecken. Einzelgänger und Kollektive begrünen ihren Lebensraum mit Essbarem. Vom Ästhetischen her halten Bärlauch, Rote Melde oder Kürbis locker mit Buchsbaum, Begonie und anderen typischen Zierpflanzen öffentlicher Grün­flächen mit.
In seinem Reisebericht geht der Autor Martin Rasper der These genauer nach, warum Städte produktiver werden müssen. Auf den Stationen seines Ausflugs lernt er die »essbare« Stadt Andernach kennen, deren Bürger die Stadtverwaltung überzeugen konnten, die öffentlichen Grünplätze mit Bohnen, Kartoffeln und anderem Gemüse zu bepflanzen. Rasper kommt in Hamburg in den Genuss urbanen Honigs der Sorte »Ottenser Wildblüte« und spürt die positiven Effekte der »Wanderbaumallee«, die schon manchen Münchener Straßenzug temporär begrünte.
Das traditionelle Bild eines Gartens passt im städtischen Kontext oft nicht mehr, wie der Autor feststellt: Selbsterntegärten zum Beispiel werden als Dienstleitungen von Gärtnereien angeboten. Gegen Gebühr werden sie bepflanzt und dann nasch- und erntefähig an den Kunden verpachtet. Mobile Gärten nutzen Stadtbrachen, bis Verwaltungen sie nicht mehr dulden, und ziehen dann mit ihren mobilen Beeten weiter. Auf senkrechtem Grund wachsende Wälder wie der Bosco Vertikale in Mailand produzieren mit mehreren hundert Bäumen ein eigenes Mikroklima.
Martin Rasper beschreibt die Stadt als »Blaupause« nach dem Motto »Eine andere Stadt ist pflanzbar«. Er greift damit die Aufbruchstimmung in vielen Städten auf, rüttelt an festgefahrenen Großstadtbildern und lässt sich von der Ambition leiten, urbanes Gärtnern mehrheitsfähig zu machen. Pragmatisch, mit lebendiger Sprache und viel Witz macht er sich daran, Neulinge auf ganzer Linie in das Thema einzuführen. Für Gartenprofis mögen die Praxistipps nicht viel Neues bieten.
Das Buch ist sehr authentisch. Der Autor hat vieles, was die urbane Landlust angeht – etwa das Guerilla-Gärtnern – selbst ausprobiert und schildert seine teils frustrierenden, teils motivierenden Erfahrungen realistisch – als Städter, der selbst vor einigen Jahren mit dem Gärtnern begonnen hat. Er verkörpert, was er so oft in Beispielen und Geschichten formuliert: Meist sind es einzelne Pioniere, die es wagen, Grenzen zu überschreiten – seien es Zäune oder behördliche Vorschriften – um die Stadt zu einem produktiven Ort zu machen.


Vom Gärtnern in der Stadt
Die neue Landlust zwischen Beton und Asphalt.
Martin Rasper
oekom Verlag, 2010, 206 Seiten
ISBN 978-3865811837
19,95 Euro

weitere Artikel aus Ausgabe #16

(Basis-)Demokratievon Elisabeth Voß

Wem gehört die Stadt?

Als ich 1996 nach drei Jahren in Neustadt an der Weinstraße wieder zurück nach Berlin kam, liebte ich jede Schmuddelecke dieser Stadt. Eine Fahrt mit der Berliner S-Bahn gab mir mehr Denkanregungen als eine Woche Alltag in der Kleinstadt. Berlin ist laut und dreckig, aber auch bunt und

Regional- & Stadtentwicklungvon Johannes Heimrath

Städte sollen produktiv werden

Herr Otto-Zimmermann, wie groß sind die Städte in Ihrem Netzwerk?Wir bauen Brücken zwischen den Kleinsten und den Größten. Zu ICLEI gehören 12 Mega-Städte und 100 Superstädte mit mehr als einer Million Einwohnern, 450 Großstädte und 650 Klein-

Globale Perspektivenvon Svenja Nette

Kreislauf statt Endstation

Die Mengen an kompostierbarem Abfall, die eine Stadt täglich pro­­duziert, sprengen die Vorstellungskraft. Sie bergen große Schätze, wie den Lebensbaustein Phosphor.

Ausgabe #16
Stadt Leben

Cover OYA-Ausgabe 16
Neuigkeiten aus der Redaktion