Buchtipps

Zettelkasten (Buchbesprechung)

von Matthias Fersterer, erschienen in Ausgabe #7/2011
Photo

Vor genau einem Jahr, in der ersten Ausgabe von Oya, habe ich an dieser Stelle die an den Piper-Verlag gerichtete Hoffnung geäußert, Michael Endes vergriffenes Buch »Zettelkasten« möge neu aufgelegt werden. Ob dieser Wunsch offene Türen eingerannt oder dazu beigetragen hat, verschlossene Türen zu öffnen, sei dahingestellt – wichtig ist: Das Buch ist wieder zu haben.
So wie die auf dem Titelbild der Originalausgabe abgebildete Zigarrenkiste könnte er ausgesehen haben, der Zettelkasten, in dem Michael Ende (1929–1995) Gedankenblitze, Skizzen und Vorstudien aufbewahrte. Auch mit neuem Titelbild ist in diesem Kästchen Bemerkenswertes zu finden: etwa ein biografischer Bericht über das Kriegsende in und um München, persönliche Bekenntnisse über Endes spirituelles Weltbild sowie Erzählungen, Dia­loge, Briefe, Aphorismen, Notizen und Fragmente. Diese bunte Zettelsammlung lässt nicht nur tief in die Schreibwerkstatt eines bemerkenswerten Autors blicken, sondern auch in die Seele eines Menschen, der sich Zeit seines Lebens bemühte, mit den Mitteln der Fantasie bestehende Denkordnungen aufzulösen und Materialismus, Verwertungsdenken und Kausallogik etwas entgegenzusetzen. Allein die Mitschrift des in Tokio gehaltenen Vortrags »Über das Ewig-Kindliche«, in dem Michael Ende seinen Kunst- und Schönheitsbegriff darlegt, lohnt die Anschaffung dieses Buchs. Wie auch die vielen anderen Schnipsel aus Endes Schreibwerkstatt wirkt dieser Text wie eine Flaschenpost, die aus der Wirklichkeit des Verborgenen an die Gestade unserer sichtbaren Außenwelt gespült wurde.
Ähnlich der Botschaft, die sich der Wanderer in der Miniatur »Die Einladung« einst selbst ins Land des Vergessens nachschickte, um sich den Weg aus seiner Selbstvergessenheit zu weisen, können uns diese Flaschenpostbotschaften daran erinnern, dass der »Realität« genannten Seite der Medaille unseres Daseins eine nicht weniger wirkliche, aber unsichtbare gegenüberliegt: »Vielleicht wird es in Zukunft einmal Schulen geben, in denen man das richtige Träumen lernt«, hofft Ende in der Gedankennotiz »Wovon Märchen erzählen«. Einstweilen sind seine Merkzettel, Notizen und Flaschenposten gute Wegweiser durch das Land der Träume.

Zettelkasten
Michael Ende
Piper Verlag, 2011, 336 Seiten
ISBN 978-3492263566
10,95 Euro


Weiterlesen: Joseph Beuys und Michael Ende: Kunst und Politik • Alexander Lauterwasser: Das Geheimnis der Schildkröte • Peter Handke: Ein Jahr aus der Nacht gesprochen

weitere Artikel aus Ausgabe #7

Photo

Gärten und Politik (Buchbesprechung)

Wer einen Garten gestaltet, entwirft ein Wunschbild der Welt. Brita Reimers ist Herausgeberin des Buchs »Gärten und Politik«, das im oekom Verlag erschienen ist. Sie fasst darin eine Vortragsreihe der Landeszen- trale für politische Bildung in Hamburg zusammen, in der Experten

Permakulturvon Margarethe Holzer

Afrika macht es vor

Dort, wo die Menschen noch weit mehr auf selbsterzeugte Nahrungsmittel angewiesen sind als im fast total fremdversorgten Westen, kann der Anwendung permakulturellen Wissens eine entscheidende Bedeutung zukommen. Diesen Eindruck erhielt ­unsere Autorin bei einem Besuch in ­Ländern des südöstlichen Afrikas.

Gesundheitvon Sandra Döring

Buchstabengeflüster

In der Schule war ich nie sonderlich gut darin, unter Druck Aufsätze zu einem bestimmten Thema zu schreiben. Dass ­Schreiben eine besondere Seite in mir zum Klingen bringt und sich zu einem wichtigen Teil meines Lebens entwickeln würde, wusste ich damals noch nicht. Heute gehe ich nie

Ausgabe #7
(R)evolution

Cover OYA-Ausgabe 7Neuigkeiten aus der Redaktion