Der neu erschienene Bildband »Altes Handwerk. Vom Verschwinden der Arbeit« ist ein Augenschmaus. Er enthält im wesentlichen ganzseitige Bildtafeln mit kurzen Erklärungen zu Feilenhauern, Siebmacherinnen, Korbflechtern, Weberinnen, Uhrmachern, Küfern, Konditoren, Scherenschleifern und Handwerkern vieler weiterer Professionen. Der Bildband würdigt damit nicht nur die verschwundene Arbeit, sondern auch die Schwarzweißfotografie in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Wie konnten diese Fotografen Blicke einfangen! Der Turmuhrbauer, der im Jahr 1932 die Größe eines Zahnrads ausmisst, hat eine Präzision im Blick, die den Betrachter fast erstarren lässt – so konzentriert stellt er sein Werkzeug ein. Der Scherenschleifer auf einer Berliner Straße im Jahr 1904 hingegen scheint völlig versunken in das fußbetriebene Drehen seines Schleifsteins, während er von den umherstehenden Kindern ehrfürchtig bestaunt wird. Der junge Korkschneider aus dem Jahr 1936 könnte fast auch ein hipper Berliner Upcycling-Aktivist sein, wäre da nicht diese absolute Ruhe in seinem lächelnden Blick, die heute kaum jemand mehr ausstrahlen kann. Verschwanden mit den alten Berufen auch die zu ihnen gehörigen Geisteszustände? Über diese Frage – und selbstverständlich auch alle anderen, die diese Oya-Ausgabe aufwirft – lässt sich über den Fotos trefflich meditieren. Diese sind bewusst so ausgewählt, dass sie vor allem Atmosphäre und nicht in erster Linie Information vermitteln: Dass sich auf dem Hocker des Schusters seine Katze zusammenrollt, sagt viel darüber aus, wie es sich in seiner Werkstatt wohl angefühlt haben mag. Herausgeberin Michaela Vieser, Japanologin und Kunsthistorikerin, nahm die Spur zum Thema des vorliegenden Buchs bei ihren Recherchen zu japanischer Teekultur auf. Dabei lernte sie einen sogenannten »Ningen Kokuho« kennen – so werden dort Personen genannt, die altes Kunsthandwerk ausüben und dadurch bewahren. In der Folge recherchierte sie in Europa zu vergessenem Wissen und veröffentlichte im Jahr 2010 bei Bertelsmann ihr Buch »Von Kaffeeriechern, Abtrittanbietern und Fischbeinreißern«. Das Fotobuch »Altes Handwerk« setzt diesen Weg nun fort. In der Einführung lernen wir von der Herausgeberin, dass Platon für die Arbeit der Handwerker das Wort »poiein« verwendet habe, das »machen« oder »herstellen« bedeutet und mit »Poesie« verwandt ist. So ist dieses Buch vor allem eine wunderbare poetische Reise geworden.
Altes Handwerk Vom Verschwinden der Arbeit. Michaela Vieser Edition Braus, 2013 160 Seiten ISBN 978-3862280728 39,95 Euro