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Spiritualität (Buchbesprechung)

von Joachim Vieregge, erschienen in Ausgabe #11/2011
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Dieses Buch befasst sich kritisch mit der Ausgrenzung von spiritueller Erfahrung durch die Wissenschaften die großen Religionen im Westen und ist zugleich ein Plädoyer, Spiritualität für wissenschaftliche Methodik fruchtbar zu machen. Denn spirituelle Erfahrung kann Einsichten in ganzheitliche Zusammenhänge liefern, die den Wissenschaften Auswege aus ihren Erstarrungen aufzeigen würden, in die sie durch das Festhalten an der positivistischen Metaphysik geraten sind.
Die herrschenden Wissenschaften (oder besser: die Wissenschaften der Herrschenden) bieten deshalb keine Lösungen für die globalen Probleme der Gegenwart, weil sie im rationalistischen Dualismus Geist versus Materie verharren und – darin ganz unwissenschaftlich – sich der Offenheit verweigern, ihre Paradigmen kreativ und neu zu denken. Dies könnten sie, wenn sie sich für einen holistisch-intuitiven Zugang zum Realitätsverständnis öffnen würden, wie er durch spirituelle Praxiserfahrung erschlossen wird. Um diesen unseligen Dualismus zu überwinden, plädiert der Autor immer wieder für eine Komplementarität beider Wahrnehmungsmodi. Beide seien ­»maximal inkompatible Größen, die konstitutiv für ein und dieselbe Sache sind«. Beide Sichtweisen erfassen auf komplementäre Weise die Phänomene einer einzigen Wirklichkeit. Das monistische Weltverständnis wäre gewahrt, wenn Spiritualität gleichwertig-komplementär neben der bisherigen, alles dominierenden ratio­nalen, naturwisssenschaftlich geprägten Weltsicht stünde.
Was Spiritualität ist, wird vom Autor klar und fundiert ausgeführt, wobei er auch persönliche Erfahrungen auf sympathische Weise offenlegt. Walach bezieht sich dabei auf die spirituelle Praxis. Damit meint er »alle intentionalen Handlungen eines Menschen, mit denen er sein Ausgerichtetsein auf eine ihn übersteigende Wirklichkeit erkennen lässt, dokumentiert, übt oder erneuert«. Vor allem eine regelmäßig geübte Achtsamkeits-Meditation ist dabei gemeint, aber nicht nur.
Über weite Strecken wird der Leser mit historischen und neueren Forschungen zu den Wissenschaften vom Bewusstsein bekanntgemacht, die begründen, was Meditation für die Erkenntnisfähigkeit des Menschen zu leisten imstande ist. Sehr ausführlich referiert der Autor die neurobiologischen und neuropsychologischen Auswirkungen von Stress, Tiefenentspannung und Zerstreuung.
Dabei wird auch eine Kulturkritik an der Spaßgesellschaft ausgeführt, die Meditation oft nur als Wohlfühlmittel gebraucht. Demgegenüber ermöglicht systematisch geübte Meditation innere Sammlung, die allmählich positive Effekte und Affekte nachhaltig hervorbringt. Es gehörte für mich zu den eindrucksvollsten Kapiteln, was der Autor zur Psychologie der Meditation schreibt, weil ich eine Beschreibung der einzelnen Meditationsstadien und ihrer Auswirkungen auf das neuronale System noch nie so klar und verständlich gelesen habe. Zwar gibt es schon seit längerem Untersuchungen ähnlicher Art, aber sie befassen sich nicht mit den neuronalen Vorgängen bei der Erfahrung der eigenen Essenz, mit den Glücksaffekten und Lichterscheinungen, die durch das Meditieren ausgelöst werden. Es ehrt den Autor, dass er nur so weit über diese Wahrnehmungen spricht, wie er sie aus eigener Praxiserfahrung heraus belegen kann, und dass er den Effekt von Meditation daran misst, ob sie das Leben und Handeln zu mehr Mitmenschlichkeit und zur Integration der inneren wie äußeren »Feinde« verändert. Besonders relevant für die Wissenschaften aber dürfte es sein, dass systematische Meditation zu radikaler Offenheit führt. Indem sie die Identifikationen mit Denkmustern des Ichs sowie Verhaltensschemata durchschaut und auflöst, ist eine Folge davon die Weitung des Bewusstseins und die Erfahrung von viel Raum und Freiheit. Das wiederum ermöglicht neues, kreatives Denken, das holistisch und integrierend anstatt analytisch-spaltend arbeitet.
Es versteht sich, dass es sich hier um keine dogmatisch eingeschränkte Spiritualität handelt, weshalb der Verfasser immer wieder Kritik an jeder Art von orthodoxen Rahmenbedingungen der Spiritualität übt. Er setzt große Hoffnung darin, dass eine undogmatische Spiritualität aus der herrschenden postmodernen Unverbindlichkeit und Werte-Beliebigkeit herausführen möge. Sie sollte auch das weitverbreitete Vorurteil von Politikern und Wissenschaftlern gegenüber allem Spirituellen überwinden, das wir in Deutschland auch wegen des verqueren NS-Okkultismus haben. Ich würde jedoch im Unterschied zum Autor dabei nicht so sehr auf einen Bewusstseinswandel bei Führungseliten in unserem Land setzen, sondern auf die vielen Gruppen vor allem in der jungen und mittleren Generation, die sich mit Meditation und spirituellen Zusammenhängen befassen, denn die nehmen zahlenmäßig zu. Es wäre an der Zeit, dieses so wichtige Buch durch vorurteilsfreie empirisch-soziologische Studien über den Stellenwert von ­Spiritualität in der Gesellschaft zu ergänzen. Radikale Offenheit

Dieses Buch befasst sich kritisch mit der Ausgrenzung von spiritueller Erfahrung durch die Wissenschaften die großen Religionen im Westen und ist zugleich ein Plädoyer, Spiritualität für wissenschaftliche Methodik fruchtbar zu machen. Denn spirituelle Erfahrung kann Einsichten in ganzheitliche Zusammenhänge liefern, die den Wissenschaften Auswege aus ihren Erstarrungen aufzeigen würden, in die sie durch das Festhalten an der positivistischen Metaphysik geraten sind.
Die herrschenden Wissenschaften (oder besser: die Wissenschaften der Herrschenden) bieten deshalb keine Lösungen für die globalen Probleme der Gegenwart, weil sie im rationalistischen Dualismus Geist versus Materie verharren und – darin ganz unwissenschaftlich – sich der Offenheit verweigern, ihre Paradigmen kreativ und neu zu denken. Dies könnten sie, wenn sie sich für einen holistisch-intuitiven Zugang zum Realitätsverständnis öffnen würden, wie er durch spirituelle Praxiserfahrung erschlossen wird. Um diesen unseligen Dualismus zu überwinden, plädiert der Autor immer wieder für eine Komplementarität beider Wahrnehmungsmodi. Beide seien ­»maximal inkompatible Größen, die konstitutiv für ein und dieselbe Sache sind«. Beide Sichtweisen erfassen auf komplementäre Weise die Phänomene einer einzigen Wirklichkeit. Das monistische Weltverständnis wäre gewahrt, wenn Spiritualität gleichwertig-komplementär neben der bisherigen, alles dominierenden ratio­nalen, naturwisssenschaftlich geprägten Weltsicht stünde.
Was Spiritualität ist, wird vom Autor klar und fundiert ausgeführt, wobei er auch persönliche Erfahrungen auf sympathische Weise offenlegt. Walach bezieht sich dabei auf die spirituelle Praxis. Damit meint er »alle intentionalen Handlungen eines Menschen, mit denen er sein Ausgerichtetsein auf eine ihn übersteigende Wirklichkeit erkennen lässt, dokumentiert, übt oder erneuert«. Vor allem eine regelmäßig geübte Achtsamkeits-Meditation ist dabei gemeint, aber nicht nur.
Über weite Strecken wird der Leser mit historischen und neueren Forschungen zu den Wissenschaften vom Bewusstsein bekanntgemacht, die begründen, was Meditation für die Erkenntnisfähigkeit des Menschen zu leisten imstande ist. Sehr ausführlich referiert der Autor die neurobiologischen und neuropsychologischen Auswirkungen von Stress, Tiefenentspannung und Zerstreuung.
Dabei wird auch eine Kulturkritik an der Spaßgesellschaft ausgeführt, die Meditation oft nur als Wohlfühlmittel gebraucht. Demgegenüber ermöglicht systematisch geübte Meditation innere Sammlung, die allmählich positive Effekte und Affekte nachhaltig hervorbringt. Es gehörte für mich zu den eindrucksvollsten Kapiteln, was der Autor zur Psychologie der Meditation schreibt, weil ich eine Beschreibung der einzelnen Meditationsstadien und ihrer Auswirkungen auf das neuronale System noch nie so klar und verständlich gelesen habe. Zwar gibt es schon seit längerem Untersuchungen ähnlicher Art, aber sie befassen sich nicht mit den neuronalen Vorgängen bei der Erfahrung der eigenen Essenz, mit den Glücksaffekten und Lichterscheinungen, die durch das Meditieren ausgelöst werden. Es ehrt den Autor, dass er nur so weit über diese Wahrnehmungen spricht, wie er sie aus eigener Praxiserfahrung heraus belegen kann, und dass er den Effekt von Meditation daran misst, ob sie das Leben und Handeln zu mehr Mitmenschlichkeit und zur Integration der inneren wie äußeren »Feinde« verändert. Besonders relevant für die Wissenschaften aber dürfte es sein, dass systematische Meditation zu radikaler Offenheit führt. Indem sie die Identifikationen mit Denkmustern des Ichs sowie Verhaltensschemata durchschaut und auflöst, ist eine Folge davon die Weitung des Bewusstseins und die Erfahrung von viel Raum und Freiheit. Das wiederum ermöglicht neues, kreatives Denken, das holistisch und integrierend anstatt analytisch-spaltend arbeitet.
Es versteht sich, dass es sich hier um keine dogmatisch eingeschränkte Spiritualität handelt, weshalb der Verfasser immer wieder Kritik an jeder Art von orthodoxen Rahmenbedingungen der Spiritualität übt. Er setzt große Hoffnung darin, dass eine undogmatische Spiritualität aus der herrschenden postmodernen Unverbindlichkeit und Werte-Beliebigkeit herausführen möge. Sie sollte auch das weitverbreitete Vorurteil von Politikern und Wissenschaftlern gegenüber allem Spirituellen überwinden, das wir in Deutschland auch wegen des verqueren NS-Okkultismus haben. Ich würde jedoch im Unterschied zum Autor dabei nicht so sehr auf einen Bewusstseinswandel bei Führungseliten in unserem Land setzen, sondern auf die vielen Gruppen vor allem in der jungen und mittleren Generation, die sich mit Meditation und spirituellen Zusammenhängen befassen, denn die nehmen zahlenmäßig zu. Es wäre an der Zeit, dieses so wichtige Buch durch vorurteilsfreie empirisch-soziologische Studien über den Stellenwert von ­Spiritualität in der Gesellschaft zu ergänzen. 


Spiritualität
Warum wir die Aufklärung ­weiterführen müssen.
Harald Walach
Drachen Verlag, 2011, 272 Seiten
ISBN 978-3927369566
29,80 Euro

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