Der Welt zugewandt
Eigentlich kann das kaum funktionieren: ein Zuhause als neu gefundene Familie und zugleich ökologische Gemeinschaftsprojekte in aller Welt aufbauen. Doch genauer betrachtet, greift beides ineinander.
Was in den Nachkriegsjahren in einem Waisenhaus begann, ist für Arno Stern zum Lebensthema geworden. Aus der Aufgabe, Kinder einige Zeit spielerisch zu beschäftigen, wurde das Malspiel: ein geschützter Raum, Farben, Papier, Pinsel und die Möglichkeit, ohne Beeinflussung und Wertung kreativ tätig zu sein. Mehr brauchte es nicht, und Kinder wie Erwachsene schufen ganz aus sich heraus ihre »Malspur«.
Arno Stern begleitete sie lediglich »dienend«, wie er sagt, und so kam er durch die entstandenen Zeichen und Bilder, aber auch durch die Beobachtung des Entstehungsprozesses, den er die »Formulation« nennt, zu erstaunlichen Erkenntnissen. Er stellte fest, dass eine regelmäßige konzentrierte Arbeit in einem abgeschlossenen Raum gemeinsam mit anderen, ebenfalls in ihre eigene Malerei versunkenen Menschen, heilend und befreiend wirkt. Deutung und Kritik gibt es nicht, jede Belehrung hält er für schädlich. Kinder ohne Vorbildung konnten sich dabei schneller und unbefangener auf das Malspiel einlassen als Kinder, die »vollgestopft mit Kritik und Lob« sind. So spricht Stern sich für eine musische Bildung aus, die mit dem eigenen echten Interesse in einem späteren Alter beginnt und nicht von der Umwelt diktiert wird.
Eine weitere Erkenntnis war die Wiederkehr und Übereinstimmung bestimmter Figuren und Gestaltungsformen unabhängig von Bildungsstand, Herkunftsland und Lebensweise der Malenden, wie »Gräten«- oder »Strahlenfiguren«. Stern deutet sie als allen gemeinsame »organische Erinnerung« an eine Erfahrungswelt vor der sprachlichen Entwicklung.
Sehr spannend sind auch die Schlussfolgerungen bezüglich der weit verbreiteten »fachlichen Interpretation« von Kinderzeichnungen hinsichtlich der Deutung von Kriminalfällen oder von Konflikten im Elternhaus. Die Auffassung, dass Kinder in ihren Zeichnungen ihr Seelenleben abbilden, teilt er nicht und widerspricht damit der gängigen Kunsttherapie.
»Das Malspiel und die natürliche Spur« ist eine Sammlung von Vorträgen und Aufsätzen von Arno Stern, schön bebildert mit anrührenden Fotos von Menschen, meist Kindern, die versunken sind in ihre Tätigkeit mit Pinsel und Farben. Mit diesen Fotos assoziiert man schon beim ersten Durchblättern Spiel, Hingabe, Konzentration, Wärme. Das trägt den Leser durch das ganze Buch. Es ist gelungen, die achtungsvolle Grundhaltung des Autors gegenüber den Menschen und besonders den Kindern einzufangen und zu vermitteln.
Das Buch ist ein Plädoyer für die unverbildete Entfaltung der kindlichen Kreativität, ein bewegendes Porträt und eine spannende Lektüre, nicht nur für pädagogisch oder bildnerisch interessierte Leser.
Das Malspiel
und die natürliche Spur
Arno Stern
Drachen Verlag, 2012
130 Seiten
ISBN 978-3927369146
24,80 Euro
Eigentlich kann das kaum funktionieren: ein Zuhause als neu gefundene Familie und zugleich ökologische Gemeinschaftsprojekte in aller Welt aufbauen. Doch genauer betrachtet, greift beides ineinander.
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