Buchtipps

Terra Madre (Buchbesprechung)

von Morten Kohrt, erschienen in Ausgabe #8/2011
Photo

Endlich ist Carlo Petrinis zweites Buch ins Deutsche übersetzt worden. In »Gut, Sauber & Fair« ging es noch um Zukunft und Rolle einer Slow-Food-Gastronomie. In seinem neuen Werk weitet Petrini, Publizist und Gründer von Slow Food, die Idee des lokalen Wirtschaftens nun auf den globalen Maßstab aus.
Was zunächst wie ein Widerspruch klingt, ergibt tatsächlich mehr Sinn als ein ultimativ globales Wirtschaftssystem, wie es der heutige neoliberale Konsumismus ist. Dieser degradiert unsere Lebensmittel zu einer Ware, die allein produziert wird, um verkauft zu werden. Dank Monokulturen, Kunstdüngern und Ausbeutung der Erzeuger werden Effizienz und Wachstum scheinbar unaufhörlich gesteigert. Die Großen streichen die Gewinne ein, die sogenannten versteckten Kosten werden auf die Allgemeinheit abgewälzt und aus der Kostenrechung herausgehalten. Inzwischen ist für jeden sichtbar, dass das System des Konsumismus eine soziale und ökologische Wüste nach sich zieht. Deshalb plädiert Petrini dafür, dass wir uns auf unsere Wurzeln und die daraus resultierende Identität rückbesinnen. Die Vergangenheit stehe nicht für Rückständigkeit, sondern erde uns in der Gegenwart. Die Herausforderung unserer Zeit sei es, Vergangenheit und Zukunft in Einklang zu bringen, einen tatsächlichen Dialog zwischen den Wissenssphären herzustellen und das traditionelle Wissen über uns und unsere Umwelt zu erhalten.
Laut Petrini bedeute das in Bezug auf unsere Lebensmittel, die Ernährungssouveränität auf lokaler Ebene wieder den Menschen zu gewähren, denen sie zusteht, und das seien eben nicht die Multis, sondern die Produzenten, Koproduzenten und Gastronomen. Nur sie besäßen das nötige Wissen über ihre ­Region mit ihren spezifischen Merkmalen, und nur sie könnten nachhaltig mit Souveränität umgehen. Der Dreh- und Angelpunkt des Terra-Madre-Gedankens ist, dass diese lokalen Lebensmittelbündnisse nicht vollkommen autark und isoliert koexistieren, sondern gut vernetzt im ständigen Austausch miteinander stehen sollten. Daraus entstehe echte Vielfalt, Identität und gesellschaftlicher Reichtum.
Petrinis Ideen und Werte sind nicht das realitätsferne Gedankenschloss eines nostalgischen Hedonisten. Sie finden bereits reale Anwendung in Form des 2004 gegründeten Netzwerks Terra Madre (»Mutter Erde«). Das im Buch erläuterte Gesellschaftsmodell geht weit über die Grenzen der Lebensmittel hinaus. Es ist ein ganzheitliches Modell, das den Menschen in den Mittelpunkt stellt und gleichzeitig in Einklang mit seiner Umwelt bringt.


Terra Madre
Carlo Petrini
Gräfe und Unzer Verlag, 2011
188 Seiten
ISBN 978-3833822964
17,90 Euro
www.terramadre.de

weitere Artikel aus Ausgabe #8

Globale Perspektivenvon Johannes Heimrath

Viel Geld, viel Macht

Der Journalist Harald Schumann, der Experte für Komplementärwährungen Ludwig Schuster und Georg Schuermann, Triodos Bank, sprechen über ihre Strategien, sinnvolle Finanzpolitik, Bankwirtschaft und Graswurzelprojekte zu gestalten.

(Postwachstums-)Ökonomievon Lara Mallien

Weg vom Geldfokus

Lara Mallien Friederike, Niko, ihr arbeitet beide zu sinnvollen, neuen Formen des Wirtschaftens. Bisher begegnet seid ihr euch noch nicht. Ich sehe Gemeinsamkeiten und Unterschiede in euren Ansätzen und bin gespannt, was ihr euch zu sagen habt. Mögt ihr erzählen, wann euch zum

Globale Perspektivenvon Lara Mallien

Wir brauchen Modellprojekte und Aktionen

Johannes Heimrath und Lara Mallien sprachen mit Margrit Kennedy über Komplementärwährungen als Experimentierfeld für eine zukünftige Gesellschaft.

Ausgabe #8
Geldbeben

Cover OYA-Ausgabe 8Neuigkeiten aus der Redaktion