In den kleinen Hobbithäusern im Südwesten von Wales gedeiht eine andere Welt – das walisische »Gesetz der einen Erde« ermöglicht ressourcenleichte Subsistenzprojekte im ganzen Land.von Anja Humburg, erschienen in Ausgabe #36/2016
»Du brauchst ein Baby, ein Kleinkind und ein Baugrundstück. Mische alles mit einer großen Ladung Matsch und sechs Wochen anhaltendem Regen, während du selbst unter einem Segel wohnst. Lebe im Kerzenschein, ohne Badezimmer, hole dir deinen Vater herbei und kröne das Ganze mit einer ordentlichen Portion Nacktschnecken. Am Ende ergibt all das ein handgebautes, gesundes Zuhause voller Schönheit und Wärme für weniger als 5000 Euro.« Jasmine Dale, Waldschullehrerin und Reiseliteratin, beschreibt den Bau ihres kleinen Rundhauses, das sie mit ihrem Ehemann Simon im walisischen Pembrokeshire errichtete und »Hobbithaus« nannte. Die Dales wollten ein Haus mit möglichst kleinem ökologischem Fußabdruck, mit Materialien aus der Umgebung, weitgehend ohne industriell gefertigte Bestandteile. »Moderne Baumaterialien, wie Zement und konventionelle Dämmstoffe, verursachen erhebliche Treibhausemissionen und belasten Wasser, Boden und Luft – nicht selten in ganz anderen Ländern als dort, wo sie zum Einsatz kommen«, sagt Jasmine. Jasmine und Simon Dale sind weder Zimmerer noch Tischler. Sie folgten mehr ihrem Instinkt als Idealen oder Konzepten, als sie 2005 den ersten Spatenstich setzten. »Meine wichtigsten Fähigkeiten für den Bau waren körperliche Eignung, Selbstvertrauen, Beharrlichkeit und ein, zwei Helfer, die hier und da mit anpackten«, sagt der 37-jährige Fotograf, der mit seiner Familie von einem Jahreseinkommen von etwa 7000 Euro lebt. »Das Hobbithaus scheint etwas Ursprüngliches in uns zu berühren, das noch aus den Wäldern stammt«, sagt die 41-jährige Jasmine.Anleitungen für Rundhäuser fanden sie auf Anhieb, zum Beispiel in den Büchern des Rundholzexperten Ben Law. Um ein solches Haus zu bauen, genüge es, ein paar Formeln zu verstehen, den Materialaufwand abzuschätzen und die Statik zu berechnen, sagt Simon. Die meisten Baustoffe lagen vor der Haustür: Kleine, krumme Eichen fanden sich zuhauf, üblicherweise würden sie in der Gegend als Zaunpfähle oder als Feuerholz genutzt. So entstanden aus drei Dutzend runden, ineinander verkeilten und vernagelten Stämmen das Gerüst aus Pfeilern und ein Mandaladach, bei dem die Sparren sich in der Mitte gegenseitig stützen. Im Dauereinsatz war nur die Kettensäge, auf anderes schweres Gerät – bis auf einen betagten Bagger zum Ausheben des Fundaments – konnten die Hobbithausbauer verzichten. Freiwillige packten mit an, wo das Hieven und Heben der Stämme trotz ausgeklügelter Seilwindenkonstruktionen ein Knochenjob blieb. Die Kinder strolchten umher, sammelten Stöckchen und Steine. Die Mutter sorgte für regelmäßige Ausflüge in die Porzellaneinrichtungen der örtlichen Cafés und an die sommerlichen Strände von Westwales. Es war ein sonniger Tag, als acht Tonnen Strohballen geliefert wurden. Unversehrt überstand auch der letzte den wochenlangen Regen, der schon am nächsten Tag einsetzte. Die Ballen wurden auf angespitzte Haselzweige gespießt und formen seither die Außenwände. Auf dem Dach türmen sich Schichten von Baumwollstoffen, ganzen Strohbällen, drei Lagen dicke Folie und eine Schicht Grasnarbe, die zuvor an dieser Stelle den Boden bedeckte. Teilweise ragt das Haus in einen Hügel und nutzt so die vorhandene Landschaftsstruktur als natürliche Dämmung. Als der Schnee einsetzte, hätten sich alle ausgelaugt gefühlt, erzählt Jasmine. Eine harte Zeit brach an. Sie fuhr mit den Kindern an die See, während Simon und ihr Vater rund um die Uhr arbeiteten und sich nur von einer Sardinen-Mahlzeit unterbrechen ließen. Fast alles, was sie für die Innenausstattung brauchten, fanden die beiden Männer irgendwo auf den Müllbergen der Zivilisation, seien es Fenster, ein Ofen, Rohre oder Kabel. Sie installierten Solarpanele, eine Komposttoilette und ein Regenwasserauffangsystem. Nach rund 1500 Arbeitsstunden in 16 Wochen konnten die Dales einziehen. Anders als zum Beispiel in England praktizieren Tausende Waliser noch heute auf verbliebenen kleinteiligen Landstrichen ein einfaches Leben. Dort sei dies nicht als »ärmlich« in Verruf geraten, sondern »ganz normal«, erzählt Jasmine. Die Dales hatten das Glück, für ihr Projekt einen geeigneten Ort zu finden. Selbstversorger, die es werden wollen, haben es weitaus nicht immer so leicht bei der Ortssuche. Ist im Neubaugebiet für sie Platz? Sollten sie besser in den Wald vor die Tore der Stadt ziehen? »Das größte Hindernis für solche Projekte ist der Zugang zu Land«, sagt Simon. Wo auch immer man hinschaut, das gleiche Phänomen: »Die Bodenpreise sind unverhältnismäßig höher als das Einkommen, über das Menschen mit diesem Lebensstil verfügen«, klagt er. Für den Bau ihres Hobbithauses hatte sich ein Landbesitzer bereiterklärt, ihnen ein Stückchen Hügel zu verpachten. Eine Baugenehmigung forderte 2005 in der abgelegenen Gegend niemand ein; das wäre heute nicht mehr möglich, schätzt Jasmine. Die Forscherin Lisa Lewinsohn schreibt in einer Studie zum »Low Impact Development« (»Bauen mit kleinem ökologischem Fußabdruck«): »Nationale Planungskonzepte haben darin versagt, auch Menschen Platz einzuräumen, die nicht auf finanziellen Ertrag ausgerichtet sind.« Die Bodenpreispolitik in Wales setze darauf, möglichst viel Gewinn zu erwirtschaften – große Agrarbetriebe mit Intensivbewirtschaftung mögen das schaffen, solange die von ihnen verursachten versteckten Kosten nicht mitgezählt würden, schreibt sie weiter. Alle anderen könnten sich Ackerland kaum leisten, und Bauland sei ohnehin für Geringverdiener unerschwinglich.
Das »Gesetz der einen Erde« Dass dennoch einige Waliser und Waliserinnen völlig einvernehmlich mit den örtlichen Bauvorschriften, der Natur und sich selbst in ihrem eigenen Haus wohnen, verdanken sie einem beachtlichen Gesetz der walisischen Regierung. Bereits vor gut fünf Jahren verabschiedete diese eine entscheidende Änderung der nationalen Bauverordnung, genannt »TAN6«. Das »Gesetz der einen Erde« (»One Planet Development Policy«) ebnet seither den Weg für ressourcenleichte Bauprojekte jenseits der üblichen Niedrigenergie- und Passivhäuser, die oft große Mengen aufwendig produzierter Materialien verschlingen, deren Ressourcenhunger selbst durch die energieeffizientesten Steuerungstechniken nicht befriedigt werden kann. Das walisische Gesetz der einen Erde erleichtert es, Land zur Selbstversorgung zu erschließen, und geht weit über Forderungen nach CO2-neutralem Bauen und Wohnen hinaus. Es ermöglicht das Bauen neuer Häuser in der offenen Landschaft jenseits von Stadt- und Ortsgrenzen, öffentlichen Wasseranschlüssen, Strom- und Telefonleitungen. Genau hier liegt der revolutionäre Schritt: Bauen außerhalb definierter Siedlungsgebiete, wo die Bodenpreise niedriger sind als bei Baugrundparzellen, ist in Europa weitestgehend verboten. Wer aber in Wales eine Genehmigung nach dem Eine-Erde-Gesetz erhält, darf genau das – vorausgesetzt, der eigene ökologische Fußabdruck wurde spätestens nach fünf Jahren auf höchstens 2,4 globale Hektar reduziert – Tendenz weiter sinkend. Dieser Wert entspricht der Biokapazität, also der ökologischen Tragfähigkeit in unseren Breitengraden. Würden alle nur der Biokapazität entsprechend Ressourcen verbrauchen, wäre der Übernutzung der Erde ein Ende gesetzt. Zum Vergleich: Aktuell liegt der Ressourcenverbrauch in Großbritannien und in Deutschland bei etwa 4 Globalhektar. Damit der Wert 2,4 erreicht wird, schreibt das Gesetz vor, Lebensbereiche wie Ernährung, Energieversorgung, Transport oder Bauen so zu gestalten, dass sie Wasser, Boden oder Luft möglichst wenig belasten. Ohne eine ernstzunehmende Subsistenzwirtschaft wäre diese Reduktion nicht denkbar. Was heute in ganz Wales gilt, nahm seinen Ausgang in Pembrokeshire. Dort wurde das Ökodorf Lammas zum ersten öffentlich bewilligten ressourcenleichten Bauprojekt, das an einen niedrigen ökologischen Fußabdruck geknüpft ist. Es gründete sich zufällig in der Nähe des Hobbithauses, und inzwischen sind Jasmin und Simon Dale nach Lammas umgezogen, weil sie dort Land kaufen konnten. Ihr neues Heim heißt »Undercroft« – übersetzt etwa »unter dem kleinen Acker« – nachdem ein Beauftragter der Baubehörde es so genannt hatte. Lammas entstand auf dem 18 Hektar großen Gelände einer ehemaligen Schafzucht und besteht heute aus neun naturnahen Häuschen, Werkstätten, einem Gemeinschaftshaus, Gärten, Äcker und Weiden.
Selbstversorgung ernstgemeint Während auf dem Weideland von Lammas zuvor mit dem Verkauf der Schafprodukte etwa 5000 Euro im Jahr erwirtschaftet wurde, was kaum eine einzige Familie ernährte, versorgt das Land heute alle neun Familien. Jede nutzt etwa zwei Hektar für den Eigenverbrauch; zusätzliche sechs Hektar Waldland sind in Gemeinschaftspflege. Nach Berechnungen von Tao Wimbush, einem der Gründer, schafften es die Bewohnerinnen und Bewohner, nach fünf Jahren nicht nur die vorgeschriebenen 75 Prozent ihrer Grundbedürfnisse über die Selbstversorgung zu decken, sondern sogar 89 Prozent im Jahr 2014. Dabei sind ihre Häuser sind noch im Aufbau begriffen, Bäume werden gepflanzt, Böden müssen noch urbar gemacht werden. Die Kinder gehen auf die öffentlichen Schulen, einige der 17 Erwachsenen verfolgen nebenher noch eine Erwerbstätigkeit – auf Lammas-Land oder anderswo. Doch in einigen Bereichen sind sie bereits autark. Laut Gesetz dürfen solche Bauprojekte nicht an das öffentliche Versorgungsnetz angeschlossen sein! Statt Wasser- oder Stromrechnungen zu begleichen, reparierten die Lammas-Bewohnerinnen und Bewohner eine alte Wasserturbine, installierten Solarpanele und sind dank des niederschlagreichen Klimas in Wales energieautark, was Strom und Wärme betrifft. Frischwasser stammt aus der eigenen Quelle, die sie lediglich regelmäßig hinsichtlich der Wasserqualität überprüfen lassen müssen. Unter dem Dach des »Lammas Community Hub Building«, dem Gemeinschaftshaus, finden fortlaufend Kurse statt – unter anderem Permakulturdesignkurse von Jasmine und Simon Dale. Jasmine sagt: »Wir schaffen uns eine kleine, starke Ökonomie.« Das Gesetz der einen Erde hat einen kommunalen Vorgänger. Unter dem Namen »Policy 52« fasste die Kommunalregierung von Pembrokeshire 2006 den Beschluss, ökologisch verträgliches Siedeln in der Region zu ermöglichen. Dem zum Trotz zeigten sich die oft unterbesetzten kommunalen Behörden zunächst überfordert, so dass sie sich mit Absagen, auch bei den ersten Anträgen des Lammas-Projekts, auf der sicheren Seite fühlten. Dass es der Lammas-Siedlungsgemeinschaft »Tir‑y-Gafel« (»Land der Flüsse und Bäume«) am Ende doch gelang, mit einer ganzen Schubkarre voller Anträge das Bauamt zu überzeugen, ist auch Vordenkern wie Simon Fairlie zu verdanken. Er arbeitete bereits 1995 daran, eine gesetzliche Grundlage für ressourcenleichtes Siedeln auf der Basis von Selbstversorgung zu schaffen. Subsistenzbauern stellen andere Anforderungen an Grundstücke, ihre Größe, ihre Lage und die Beschaffenheit des Bodens als eine Familie, die zum Arbeiten in die Stadt pendelt, erkannte Fairlie. »Ihre Arbeit ist ihr Leben. Doch es ist schwer, den Planern das zu vermitteln«, sagt der Gründer der Organisation »Chapter Seven«, die sowohl Bauinitiativen als auch Planer berät. Mit seiner Initiative für das Gesetz der einen Erde lief Fairlie bei der 2007 neugewählten walisischen Regierung offene Türen ein. Sie hatte es sich zum Ziel gesetzt, den ökologischen Fußabdruck des Landes binnen einer Generation auf ein Eine-Erde-Maß zu reduzieren. Umweltministerin Jane Davidson sorgte dafür, dass Fairlies Ideen Teil des heutigen Planungsrechts wurden. Auch die Forschungen zum »Bauen und Leben mit kleinem Fußabdruck« wie diejenigen von Lisa Lewinsohn, initiiert von den Gründerinnen und Gründern der Lammas-Gemeinschaft, ebneten dem Gesetz den Weg. Heute gibt es in Wales auch den Eine-Erde-Rat (»One Planet Council«), eine Art Brückengremium zwischen privaten Bauinitiativen und kommunalen Ämtern. Er berät Antragsteller und gibt Trainings für Behördenmitarbeiter. So half der Rat, dass durch das Eine-Erde-Gesetz sieben neue Bauprojekte gegründet wurden. Etwa noch einmal so viele sind aktuell in Planung.
Vernünftige Nachahmung empfohlen! Insgesamt hat das Gesetz bislang jedoch erst wenige Nachahmer gefunden. Das hat viele Gründe. Vor allem ist es noch ein sehr junges Gesetz, das selbst in Wales erst wenige kennen. »Verwaltungsangestellten und Planern fällt es oft schwer, zu glauben, dass jemand ernsthaftes Interesse an einem ›One-Planet‹-Leben hat«, sagt Erica Thompson, Sprecherin des Eine-Erde-Rats. »Sie glauben, es sei ein Trick, um an ein günstiges Haus zu kommen, das sie dann verkaufen können.« Lammas sei ein wunderbares Beispiel für Subsistenzwirtschaft als »realistische Praxis«. Erica Thompson wünscht sich noch viele weitere Varianten für Subsistenzprojekte. Durch eine solche Politik kann eine solide Basis dafür entstehen, den Grundgedanken der gemeinschaftlichen, weitgehend nicht-kommerzialisierten Selbstversorgung gesellschaftlich zu verankern, und sie schließt zugleich die Tür für »Cabin-Porn-Träumer«, die sich Minihäuser, sogenannte Tiny Houses, als luxuriösen Zweitwohnsitz leisten. Besonders in den USA, aber auch hierzulande, erfreuen sich Hüttchen als romantische Rückzugsorte wachsender Beliebtheit. Die Menschen der Lammas-Gemeinschaft aber bauen ihre Häuser nicht als Spielerei – sie leben sommers wie winters darin. Als klassische Hausbesitzer fühlen sie sich nicht, vielmehr sind ihre Behausungen Puzzleteile eines Lebensentwurfs, verwoben mit der Landschaft, in der sie stehen. So wie in Lammas gibt es immer mehr Menschen, die nicht nur mit ressourcenleichter Ernährung oder Kleidung experimentieren, sondern eben auch mit zukunftsfähigen Bauweisen. Das walisische Gesetz der einen Erde ist nicht als Aufruf zu verstehen, dass alle Welt künftig ein ländliches Leben führen sollte. Es ist auch kein Aufruf, die Zersiedelung der Landschaft zu verstärken. Im Gegenteil, der Eine-Erde-Rat arbeitet derzeit daran, das Gesetz auch auf periphere und urbane Räume zu übertragen. Das Resultat könnten städtische Mietshäuser im Stroh-Lehm-Bauweise sein. Der Grundgedanke des Gesetzes könnte künftig auch für bereits existierende Bauten gelten. Die »One Planet Development Policy« zeigt, dass aus einem lokalen Projekt eine nationale Gesetzesinitiative werden kann, so dass potenziell viele andere diese Alternative auf Herz und Nieren prüfen können. Ein Gesetz kann keinen Paradigmenwechsel herbeiführen – doch erleichtern kann es ihn schon! •
Anja Humburg (30), Umweltwissenschaftlerin und Journalistin, ist Chefredakteurin des Lüneburger Magazins für den Wandel »Was zählt«.