Titelthema

Frischfutter im Winter

Die kleinbäuerliche Technik, Grün- und Saftfutter milchsauer zu vergären.
von Svenja Nette, erschienen in Ausgabe #39/2016
Photo
© Privat

Seit wir Menschen begonnen haben, Tiere zu domestizieren, sind sie Teil unserer saiso­nalen Nahrungskreisläufe und Vorratshaltung. Von den Tieren, die der Mensch züchtet, gibt es nur eines, das eigenständig Vorräte anlegt, nämlich die Honigbiene. Die wilden Verwandten von Rind, Schwein, Pferd, Gans, Huhn, Ziege oder Schaf waren und sind auf die Nahrungssuche im Winter angewiesen oder wandern in wärmere Gefilde, um sich dort zu ernähren. Im Lauf der Domestizierung wurde die Fähigkeit der Tiere, sich selbst in der Natur zu versorgen, auf verschiedene Weise genutzt – zum Beispiel indem man sie auf Sommer- und Winterweiden oder in Hutewälder trieb. Doch wenn eine Schneedecke das Weiden erschwerte und immer dann, wenn Tiere durch Stall- oder Hofhaltung enger an den Menschen gebunden wurden, musste lagerfähiges Futter produziert werden.
Heu ist das bekannteste Lagerfutter. Durch Trocknung wird Grünfutter, das in den wärmeren Monaten auch frisch gefressen wird, haltbar. Voraussetzung für gutes Heu ist immer eine ausreichende Trocknungsphase. Heu zu machen und möglichst vor dem Regen in die Scheune zu bringen, ist eine Kunst für sich. Nach dem Mähen kommt das Wenden, auch »Zetten« genannt. Dann wird das auf der Wiese verteilte Heu in lange Reihen, »Schwaden«, gelegt, damit es gut aufgeladen werden kann. In der kleinbäuerlichen Landwirtschaft werden regional auch verschiedenste Trocknungsgestelle verwendet. Heutzutage kennen wir fast nur noch Wiesenheu, nach Kräutern duftend und von vielen Tieren gerne gefressen, doch Heu kann auch aus anderen Pflanzen entstehen – zum Beispiel aus Laub von Bäumen, das getrocknet zu Laubheu wird. Die Laubheufütterung erfährt gerade eine kleine Renaissance bei Kleinviehhaltern, ebenso die Trocknung von anderem Grünfutter, wie etwa Brennnesseln.
Ein weiteres klassisches Trockenfutter sind Getreidekörner oder Hülsenfrüchte, die als Ganze oder geschrotet verfüttert ­werden. Aber auch für Frischfutter lässt sich im Winter sorgen, zum Beispiel, indem Runkelrüben oder Kartoffeln in einem Keller (siehe Seite 36) oder einer Erdmiete (Seite 40) gelagert werden. Neben Karotten, Roter Bete und anderem Wurzelgemüse für die Menschen auch Runkelrüben für die Tiere anzubauen, ist in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft selbstverständlich.

Siliertes Futter selbstgemacht
Angelika und Hans Göthe aus Borstendorf im Erzgebirge gehören zu denen, die noch viele alte, teils nicht mehr bekannte Techniken in der Herstellung und Haltbarmachung von Tierfutter anwenden. Auf ihrem Vierseithof, der als einer der ältesten in der Ortschronik geführt wird, sind sie aufgewachsen und haben den Wandel der Zeit mitgelebt. Angelika kann sich noch daran erinnern, wie ihr Großvater das damals sumpfige Land drainiert hat, um es landwirtschaftlich nutzbar zu machen. In den 1960er Jahren haben ihre Eltern den Hof erfolgreich zu einer Schweinezucht ausgebaut. Es war bitter, dass der Betrieb wie überall zu Beginn der DDR-Zeit bald Teil einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) wurde. Nach dieser Umstrukturierung wurden die Tiere zentral in großen Ställen gehalten, die kleineren Höfe hatten keine Bedeutung mehr. Diese Erfahrung habe dazu beigetragen, dass die Göthes eine gewisse Skepsis gegenüber großflächigen landwirtschaftlichen Strukturen beibehalten haben, erzählt Angelika. Sie beschäftigt sich gerne mit den alten, kleinteiligeren Techniken.
Auf ihrem Nebenerwerbshof leben Pferde, Schweine, Schafe, Ziegen, Kaninchen und Geflügel, die alle in den Wintermonaten mit selbsthergestelltem Lagerfutter versorgt werden. Neben verschiedenen Heuarten und eingelagertem Körnerfutter, wie Hafer, Weizen und Mais, stellen Angelika und Hans auch siliertes Futter her. Das Prinzip der Silierung ist dasjenige von Sauerkraut – die Fermentation oder milchsaure Vergärung (siehe Seite 30). Ja, auch Tiere mögen milchsaures Gemüse! Wer Kühe oder Pferde hält, dem ist Silage oder Heulage ein Begriff: Noch nicht getrocknetes Raufutter wird zu Ballen gerollt und in spezielle Silierfolien gewickelt. Das Ergebnis ist ein energiehaltiges, haltbares Futter für den Winter. In der industrialisierten Landwirtschaft wird in großem Stil Silage hergstellt, insbesondere aus Mais und Grünschnitt. Deshalb wird die Silierung mit einem gewissen Fuhrpark und der dazugehörigen Technik in Verbindung gebracht. Dass auch die handwerkliche Herstellung möglich ist, weiß heute kaum jemand.
Angelika und Hans Göthe zeigen, dass die Herstellung von siliertem Tierfutter eine leicht zu erlernende Methode ist. Sie ermöglicht es, mit regionalen Futtermitteln Vorratshaltung zu betreiben, womöglich sogar aus dem eigenen Garten. Generell können alle Grün- und Saftfuttersorten sehr einfach siliert werden, zum Beispiel Brennnesseln, Klee, Apfeltrester, Karotten oder Rüben.

Feinkost für den Winter
Bei Göthes wird siliertes Futter an Kaninchen, Schafe, Hühner, Gänse, Schweine und Ziegen verfüttert – freilich haben alle ihre speziellen Vorlieben. Die Kaninchen freuen sich zum Beispiel besonders über Rübenblättersilage. Das Grundprinzip der Silierung ist immer ähnlich: Das jeweilige Ausgangsmaterial wird ohne Wasserzugabe, meist mit ein wenig Salz, in einem großen Gefäß gestampft, bis ausreichend Flüssigkeit austritt, um das Siliergut zu bedecken. Danach muss es luftdicht verschlossen werden – zum Beispiel, indem ein Brett oder ein Teller als Abdeckung auf die Masse gelegt und mit einem Stein beschwert wird, so dass alles mit Flüssigkeit bedeckt bleibt. Die meisten Silagen brauchen nur wenige Wochen, bis sie durchsiliert sind. Das Endprodukt sollte säuerlich-wohlriechend sein. Bei manchen Silagen ist es notwendig, die sich auf der Flüssigkeit bildende Kahmhefe abzuschöpfen. Silage wird am besten zusammen mit Heu als Beifutter gegeben.
Rosskastanien sind zum Beispiel ein beliebtes Kraftfutter für den Winter, aber schlecht zu lagern. Siliert – das bedeutet in diesem Fall schlicht eingelegt in Salzwasser – halten sie sich hingegen problemlos. Als besonderes Beispiel soll hier noch die Silage aus gedämpften Kartoffeln genannt werden. Ulrike Meißner, Permakultur-Redakteurin von Oya, die den Kontakt zu den Göthes hergestellt hat, erinnert sich noch daran, wie ihr Großvater gedämpfte Kartoffeln in der Erdmiete eingelagert hat. Das war eine klassische Methode, um Ernteüberschüsse zu verwerten – insbesondere, um bei der Ernte verletzte und somit nicht lagerfähige Kartoffeln haltbar zu machen. Früher war das Dämpfen so verbreitet, dass sogenannte Dämpfkolonnen über die Höfe zogen und mit riesigen Töpfen große Mengen verarbeiteten. Heutzutage kann man sich mit einem Dämpfeinsatz für den Kochtopf behelfen. In einem weiteren Schritt können die Kartoffeln noch siliert werden, um sie für die Tiere bekömmlicher und schmackhafter zu machen. Bei Göthes werden sie im Fass eingestampft und mit einer Schicht Heusamen bedeckt – den Resten, die vom Heuboden gekehrt werden.
Durch die Vielseitigkeit dieser Technik ist die Silierung im kleinen Maßstab also bestens dazu geeignet, Überschüsse und an anderer Stelle als Abfall anfallende Futtermittel zu nährstoffreichem und haltbarem Futter werden zu lassen. Erfinden Sie milchsaure Lieblingsrezepte für Ihr Vieh! •


Svenja Nette (30) studierte Qualitative Forschung im Bereich Landwirtschaft und Umwelt. Sie lebt seit 2011 in Berlin, wo sie in den »Prinzessinnengärten« arbeitet.

weitere Artikel aus Ausgabe #39

Photo
Gärtnern & Landwirtschaftvon Lara Mallien

Arbeit an der Fülle

In einer Woche soll die neue Ausgabe von Oya gedruckt werden. Alle, die im vorpommerschen Klein Jasedow im Lassaner Winkel mit der Herstellung des neuen Hefts befasst sind, sollten den Tag am besten am Schreibtisch verbringen. Stattdessen pflücke ich mit Oya-Grafikerin Marlena Sang und anderen

Photo
von Anja Humburg

Degrowth – Handbuch für eine neue Ära (Buchbesprechung)

Woran lässt sich tiefgreifender, ernsthafter Wandel erkennen? Bin ich mit meinen eigenen Projekten auf diesem Pfad unterwegs, oder reproduziere ich selbst das kritisierte, alte System? Immer wieder ruft mir der Oya-Untertitel  »anders denken. anders leben« ins Gedächtnis,

Photo
Bildungvon Frank Siegmeier

Lehrerleben

Obwohl das Unterrichten in der Oberstufe einer staatlichen Schule viele Herausforderungen und Probleme mit sich bringt, bin ich seit zehn Jahren Lehrer am Gymnasium – und das trotz ­hohem Kräfteeinsatz immer noch gerne.Vielleicht ist meine Situation dadurch begünstigt, dass

Ausgabe #39
Wir werden konservativ

Cover OYA-Ausgabe 39
Neuigkeiten aus der Redaktion