Einblicke in einen herausfordernden Berufsalltag.von Frank Siegmeier, erschienen in Ausgabe #39/2016
Obwohl das Unterrichten in der Oberstufe einer staatlichen Schule viele Herausforderungen und Probleme mit sich bringt, bin ich seit zehn Jahren Lehrer am Gymnasium – und das trotz hohem Kräfteeinsatz immer noch gerne.
Vielleicht ist meine Situation dadurch begünstigt, dass viele Schülerinnen und Schüler dem Fach Musik gegenüber sehr aufgeschlossen sind, eigene Ideen einbringen und selbst gern musizieren. Auch fühle ich mich im Kollegium sehr wohl, und zu den Eltern habe ich ebenfalls einen guten Draht. Das motiviert mich, am Ball zu bleiben und mit den Problemen fertig zu werden. Die Leitung der Big Band erfüllt mich am meisten, aber ich schöpfe nicht nur Kraft: Es ist bedauerlich, dass ich seit zehn Jahren immer an den Wochenenden auf Probelager fahren muss, denn so fehlt mir die Zeit, mich zu regenerieren. Oft korrigiere ich Tests und Klassenarbeiten während der Pausen zwischen den Proben, um das Pensum zu schaffen. Nach solchen Wochenenden kann man über einen Spruch der Schulleitung wie »Na, wie war euer Ausflug, habt ihr euch gut erholt?« nicht lachen. Die ersten Jahre waren besonders kräftezehrend: Gleich zu Beginn meiner Arbeit fand ein Schüler ein Foto von mir im Netz, das bei einem Chansonkurs entstanden war und mich geschminkt im Kostüm mit Federboa zeigte. Der Schüler machte das Bild, mit einem chauvinistischen Spruch versehen, der gesamten Schüler- und Lehrerschaft zugänglich – das war respektlos und belastete mich.
Wie soll man das schaffen? Anfangs organisierte ich Gesprächsrunden zu Themen, die nicht im direkten Zusammenhang mit Musik standen, und musste merken, dass ich dafür von der Schulleitung wenig Verständnis und Unterstützung bekam. Ich konnte das Leid der tibetischen Mönche und die Zerstörung ihrer Heiligtümer und Klöster nicht ertragen, also lud ich einen Tibet-Aktivisten zu einer Diskussion ein. Zum ankündigenden Poster hängte ich meine Tibet-Fahne ins Foyer. Kurze Zeit später wurde sie mit der Begründung wieder abgenommen, dass wir die Beziehungen zu China nicht gefährden und Schüler nicht manipulieren dürften. Auch attackierte ein Schüler den Referenten mit ähnlichen Vorwürfen – ich war sprachlos! Außerdem empfand ich es als schwierig, mich bei vollem Stundendeputat von 26 Stunden Unterricht pro Woche auf meine beiden Fächer – Englisch und Musik – gleich gut vorzubereiten. Die ersten Jahre wusste ich oft nicht, wie ich den nächsten Tag überstehen sollte. Meine »Wichtig-Zettel« waren oft länger als eine A4-Seite, Vorbereitungen zogen sich bis tief in die Nacht. Ich fühlte mich erschöpft, und die Schüler merkten das. Immer wieder kam das Gefühl, nicht fertig geworden zu sein; das war unbefriedigend. Deshalb entschied ich nach fünf Jahren, mich auf ein Fach zu konzentrieren, und unterrichte seither nur noch Musik. Nun fühle ich mich wohler und kann meine Kräfte besser bündeln. Den Schülern ist nicht bewusst, wieviel Kraft es kostet, nach einem anstrengenden Unterrichtstag von fünf Stunden eine anderthalbstündige Big-Band-Probe zu leiten. Der Körper ist eigentlich schon erschöpft und schreit nach Ruhe, doch dann folgt noch eine Probe bis Viertel nach fünf, wo einen die Bläser mit bis zu 120 Dezibel Lautstärke beschallen. An solchen Tagen komme ich so erschöpft nach Hause, dass ich für meine eigenen Kinder kaum noch Nerven aufbringe. Ich mag nichts mehr hören – schon gar keine lauten Stimmen oder Streit! Um gegenüber meinen Kindern nicht ungerecht zu sein, muss ich mich stark zusammennehmen. Nach zehn Jahren Dienst in der Oberstufe merke ich, dass die Kräfte nicht ewig auf dem erforderlichen hohen Niveau fließen können. Durch Yoga, Schwimmen, Meditation, autogenes Training und Saunagänge gewinne ich Abstand zu belastenden Momenten des Schulalltags. Ich achte auf meine Gesundheit. Ob ich mal daran gedacht habe, aus dem staatlichen Schuldienst auszusteigen? Noch kann ich externe Erwartungen – sei es von der Schulleitung, der Lehrerschaft oder Musikerkollegen, die selbstverständlich mein Denken, Planen und Handeln stark beeinflussen – mit meinen eigenen Interessen gut vereinen. Manchmal sehne ich mich nach mehr Freiheit, mehr Gestaltungsspielraum, denn das staatliche Schulsystem ist nach starren, hierarchischen Mustern aufgebaut. Die Schüler an unserer Schule erwerben eine Menge theoretisches Wissen, das sie auf diverse Studiengänge gewiss sehr gut vorbereitet. Speziell für mein Fach wünsche ich mir jedoch, dass freiere Formen des Lernens selbstverständlich werden. Da wird sich in den nächsten Jahren einiges verändern müssen! Viele Modellschulen und Projekte wie »Reformzeit«, in dem Schulen voneinander lernen, zeigen, dass es auch anders geht. •