Titelthema

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Was geschieht, wenn wir »nach Hause gehen und uns um die Bienen kümmern«? – Eine Forschungsreise in die Wirklichkeit ökosozialer Unternehmen.von Der Schwarm, erschienen in Ausgabe #41/2016

»Geh nach Hause und kümmere dich um die Bienen!« Dieser Satz steht für die Kernaussage unserer vorigen Ausgabe, dem Reise­bericht aus dem Land des Nicht-Wissens. Werner Küppers, der den »Omnibus für Direkte Demokratie« fährt, spricht ihn spontan im Rahmen eines Gedankenexperiments aus: Wer wäre er in einem vergangenen Jahrhundert gewesen? Wie würde er sich dort gesellschaftlichen Herausforderungen gestellt haben? Als rebellischer Bauernbursche im Hochmittelalter sucht er Rat bei einer weisen Frau. Die sagt den herausfordernden Satz: »Geh nach Hause und kümmere dich um die Bienen!«
Inzwischen ist der Satz für das, worum es uns derzeit geht, sprichwörtlich geworden. Zugleich bleibt er ein Rätsel. Im Nachklang des Gesprächs mit Werner Küppers fragten wir uns: Sollten wir nicht auf allen relevanten Konferenzen zum gesellschaft­lichen Wandel unterwegs sein, Kontakte knüpfen, neue spannende Projekte, Autorinnen und Autoren kennenlernen, neue Abonnenten und Genossenschaftsmitglieder werben? Der Zweifel ist gesät: In dieser nach außen gerichteten Bewegung bleiben wir Teil der Megamaschine*. Sie stellt uns ihre Appa­rate, Treibstoffe und Kommunikationsadern zur Verfügung, und wie anders, als dass wir sie nutzen, könnten wir die in Oya versammelten Botschaften verbreiten – wie die Bienen den Pollen? Doch wenn wir es ernst meinen und den megatechnischen Pharao* schwächen wollen, wo immer wir können – müssen wir dann nicht tatsächlich »nach Hause gehen« und etwas lernen, nämlich das Bienenhafte an unseren Tätigkeiten zu begreifen? Können wir Oya wie ein Bienenvolk auffassen?
»Sometime they’ll give a war and nobody will come« – »Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin«: Des amerikanischen Poeten Carl Sandburgs ­etwas abgewandelte Gedichtzeile von 1936 war einst das kraftvolle Motto der Friedensbewegung. »Geh nach Hause und kümmere dich um die Bienen!« ließe sich in diesem Sinn womöglich so übersetzen: »Stell dir vor, du begreifst, dass du in der Megamaschine steckst, und du hörst auf, als Rädchen in ihrem Getriebe funktionieren zu wollen.« Was geschieht, wenn Menschen sich das konsequent fragen?
Christiane Wilkening, Aufsichtsratsvorsitzende der Oya ­Medien eG und Geschäftsführerin der in der Nachbarschaft ansässigen Genossenschaft »Kräutergarten Pommerland« hat das gewagt und uns geschrieben. Ihr Brief in Auszügen (mit kursiv gesetzten Antworten, Kommentaren und Erläuterungen der Oya-Redaktion):

Beim Lesen des Fokusteils der Oya-Ausgabe 40 wächst in mir die Frage: Habe ich mich um die Bienen gekümmert? Ich bin nicht fürs Gärtnern zuständig. In meinem Unternehmen bin ich fürs Marketing da. Ich gehe von zu Hause fort, besuche Bioläden, Kunden, Händler, Messen – und rede und rede und rede über Kräutergarten Pommerland und den Lassaner Winkel. 
Ich kümmere mich darum, dass wir bekannt werden. Wir: unsere Teesorten »Elfentraum«, »Blütenreigen« oder »Drachenglut«. Wir: Pommerland, der kleine Betrieb im strukturschwachen Vorderland der Insel Usedom. Pommerland ist Sommerland. Wir: »Kräuter, Kunst und Himmelsaugen« – so heißt unsere lokale Initiative für sanften Tourismus. Dafür breche ich immer wieder auf: Zur Kaltakquise durch die Berliner Bioläden, Tee, Sirup, Marmelade an Bord. Mit dem Messestand nach Nürnberg, Augsburg, Düsseldorf, Hannover, Bremen, Hamburg, Berlin. Fahre los, mit dem Auto, bepackt bis unters Dach, manchmal auch mit dem Zug, die Ware kommt per Spedition. Ich fahre los, komme irgendwo an, baue auf, spreche, rede, lächle, schenke Tees aus, verteile Prospekte, Oya-Hefte. Andere kommen mit: Frida, Joschka, Roswitha – ich leite an, arbeite sie ein: Iris, Bettina, Telse, Dagmar, Renate, Heike, Max, Sandra, Dorothee – übergebe an sie das Reden, Erklären, Verkosten, Sprechen, Lächeln für Kräutergarten, Kräutertee, Kräutersirup, Kräuterwinkel, Kunst und Himmelsaugen. Ich – Frau Pommerland?

Christiane Wilkening ist 1998 in den Lassaner Winkel gezogen – ein Jahr, nachdem der Kern der Gemeinschaft, der die Oya-Gründerinnen und -Gründer angehören, in den Ruinen des damals zur Hälfte verfallenen Dorfs Klein Jasedow zwischen Brennnesseln, Müll und überaus wohlwollenden Nachbarinnen und Nachbarn eine neue Heimat gefunden hatte.  Damals schien unser wichtigster Beitrag zur Heilung der Nachwendewunden darin zu bestehen, dass wir unser Wissen und Können für den Aufbau ökosozialer Unternehmen  einsetzten: Von 200 arbeitsfähigen Einwohnerinnen und Einwohnern unserer 330-Seelen-Gemeinde hatten nur 40 einen regulären Arbeitsplatz! Das war einerseits ein altruistischer Impuls, andererseits waren die Inhalte unserer Unternehmungen gut mit dem verbunden, was wir Initiatorinnen und Initiatoren auch für uns als stimmig empfanden und was sich aufgrund vorhandener Fähigkeiten und Potenziale von Menschen wie spezifische Kenntnisse in der Metallbearbeitung – und ­Böden, zum Beispiel gute Eignung für den Kräuteranbau – geradezu aufgedrängt hat. So lag auch der primäre Grund dafür, das Zeitschriftenmachen nach Klein Jasedow zu holen – damals in Gestalt von »KursKontakte«, der Vorgängerin von Oya –, darin, zweien der Auszubildenden in unserer Medienfirma ein anspruchsvolles »Real-Life«-Lernprojekt zu verschaffen.

Es lohnt sich: Endlich mehr Kunden im Online-Shop, endlich bei einem der größten überregionalen Großhändler gelistet, endlich auch die größten Filialisten als Kunden. Eine richtige Erfolgsstory! »Wie weit willst du denn noch wachsen?«, fragen die Daheim­ gebliebenen. 

Christiane, während du auf den Bio-Messen warst, waren wir Oyas auf der Buchmesse, auf Konferenzen, Workshops und Treffen, haben Vorträge gehalten und Oya-Tage veranstaltet, 80 000 Kilometer im Jahr allein mit dem Auto – und so konnten wir uns nicht um die Bienen kümmern. Mit Haut und Haaren hatten wir uns auf diesen Stress eingelassen. Vielleicht war das gut, um zu begreifen, dass vor dem megatechnischen Pharao* kein Entkommen ist, solange wir Produkte und Leistungen auf die bisherige Weise zu Markte tragen.

Nein, sie kommen nicht mit, die Frauen. Sie bleiben zu Hause, säen Ringelblumen und Kornblumen, pflanzen Melisse und Sonnenblumen und das Gewächshaus voller Rosmarin und Basilikum. Sie jäten Apfelminze, Nanaminze, Orangenminze, ernten Erdbeeren, Himbeeren, Brombeeren, füttern die Gänse, Enten, Hühner, Kaninchen, hacken Holz für den Winter. Sie terrassieren unser Ackerland am Hang nordwestlich von Pulow, jedes Jahr zwei neue Terrassen, ziehen aus Setzlingen ernstzunehmende Holunder- und Johannisbeerbüsche, pflanzen sie auf die Dämme, um die Erosion aufzuhalten. 8 Sie ernten Kräuter, trocknen Kräuter, kaufen Kräuter, mischen Kräuter, packen Teetüten in Kartons. Sie schreiben Lieferscheine, Rechnungen, kontrollieren die ­Logistik und das Konto.
Von der Aussaat bis zum Paket sehe ich Pommerland wie einen emsig summenden Bienenstock. »Emsig« leitet sich von dem alten Wort »Emse« für »Ameise« ab, dieser Art, die einen vieltausendfältigen Organismus bildet. Darin weiß jede und jeder, was zu tun ist.

Indem wir uns darauf eingelassen haben, Unternehmen zu gründen, ist viel Schönes entstanden. Aber das Hamsterrad, in das wir dadurch geraten sind, vernichtet immer mehr von unseren besten Kräften. Hätte sich mit all der eingesetzten Energie womöglich längst etwas ganz anderes aufbauen lassen, das für den Lassaner Winkel, für »die Welt« oder für was auch immer einerseits viel nährender – weil subsistent* – und andererseits in Hinblick auf die planetaren Grenzen erheblich leichtfüßiger wäre?

Jedesmal, wenn ich in Sachen Marketing unterwegs bin, fühle ich mich weiter von den Bienen entfernt. Nach jeder Reise bin ich für mehrere Tage erschöpft, dümpele allein dahin, lese Krimis, sehne mich nach Kontakt, nach praktischer, sinnvoller Handarbeit, die ihren Wert aus sich selbst schöpft.
Wie groß sollen wir noch werden? Anders als die Gemeinschaft im Wasserschloss Audigast, von der im zweiten Kapitel von Oya 40 erzählt wird, haben wir Geld niemals zurückgewiesen. Wir haben es gebraucht: Darlehen von Familie und Freunden, Genossenschaftsanteile, Zuschüsse von Land und Bund, Kredite. Was wir damit gemacht haben? Die baufällige »Landwirtschaftliche Produktionsanlage« aus DDR-Zeiten zu modernen Betriebsräumen umgebaut, Maschinen gekauft, die Dächer saniert und mit einer Fotovoltaik-Anlage bestückt. Was haben wir uns dafür eingehandelt? Eigenen Grund, legale, gute Arbeitsbedingungen und Verpflichtungen. Unterstützt vom Team, vom Aufsichtsrat und den mehr als 100 Mitgliedern der Genossenschaft stehen meine Vorstandskollegin und ich in der Verantwortung für viel Geld. Wir verantworten Gehälter, Zins und Tilgung, Anteile und Genussrechte, die Wirtschaftlichkeit, die Bonität. Daraus können wir nicht aussteigen; wir sind in die kapitalistische Verwertungslogik 9 verstrickt wie mit unzerreißbaren Spinnenfäden, die uns bei jedem Befreiungsversuch nur fester zurren.

In einer derart verantwort­lichen Rolle ist keine Pause möglich. Wehe, wenn einen Monat lang kein Umsatz generiert würde! Selbst wenn dein Unternehmen nicht wachsen, sondern nur einen stabilen Zustand halten soll – der Umsatz darf nicht einbrechen, sonst können die Miete, deine Angestellten, deine Lieferanten, die Krankenkasse, die Lohnsteuer, die Handelskammer, das Abwasser, der Strom, der Internetserver nicht bezahlt werden. Für Oya suchen wir jetzt nach Möglichkeiten, ein kurzes Durchatmen zu finanzieren – schwierig genug. Würde die andere Struktur von Kräutergarten Pommerland so etwas überhaupt denkbar erscheinen lassen?

Wie schön wäre es, sich ins Gras zu setzen und nichts zu tun. Nichts tun zu wollen. Nichts zu müssen. Wenn wir alle in der Sonne sitzen würden oder im Schatten einer Eibe –37 bei der ungewöhnlichen Hitze, jetzt Mitte September mit fast 30 Grad, und kein Muss und kein Druck uns antreiben, keine Sorgen und Ängste um Umsatz und Gewinn unsere Herzen beschweren würden, wenn diese Nackenschmerzen und dieses unbestimmte Gefühl, zu fallen, nicht wären – wie würden wir dort sitzen, wir Frauen von Kräutergarten Pommerland? Wären wir uns nah genug? Könnten wir über die jüngsten Wahlergebnisse in Mecklenburg-Vorpommern sprechen oder über die Flüchtlinge, deren Weg von Syrien nach Vorpommern geführt hat? Könnten wir gemeinsam davon träumen, wie wir im Dorf gerne zusammenleben würden, Einheimische und Zugezogene, Alte und Junge, Arbeiterinnen und Aussteiger? Was haben sich diejenigen, die in Bauwägen leben, und diejenigen, die sich endlich ein eigenes Häuschen leisten können, ein­ander zu sagen? Könnten wir, nachdem wir seit zwei oder acht oder fünfzehn Jahren zusammenarbeiten, ein gemeinsames Bild von Kräutergarten Pommerland finden, mit dem wir uns alle wohlfühlen?

Können wir unser Wirtschaften verlangsamen, ohne pleitezugehen? Diese Frage stellt sich die Klein Jasedower Lebensgemeinschaft, der die Gründerinnen und Gründer von Oya angehören, schon seit einigen Jahren. Inzwischen sind erste Konsequenzen davon sichtbar geworden: Statt wie vor 20 und noch vor 10 Jahren auf Öko-Hightech, einen hohen Mechanisierungsgrad und viel Steuerungselektronik (Lüftungsanlage, Wärmepumpen, Fotovoltaik) zu setzen, wird mit Naturmaterialien und viel Handarbeit gebaut. Künftige Unternehmungen sollen sich weniger auf kommerzielle, marktorientierte, sondern mehr auf gemeinnützige, subsistenzstützende* Schwerpunkte fokussieren. Wo nötig, darf sich aber eine hohe Dynamik entfalten, wie zum Beispiel in der Kampagne »Ackergifte? Nein Danke!«, die im vergangenen Herbst und Winter aus Klein Jasedow gesteuert wurde und mit über 2000 getesteten Urinproben zur weltweit größten, privat finanzierten Feldstudie über die Belastung der Bevölkerung mit dem Ackergift Gylphosat geführt hat. " Auch das ist ein »Kümmern um die Bienen«. In diesem Jahr wurde in wenigen Monaten das Konzept für die »Kleine Dorfschule Lassaner Winkel« geschrieben und dem Schweriner Kultusminister zur Genehmigung überreicht.  Es scheint also weniger um chronolo­gische Verlangsamung zu gehen, als darum, einen Rhythmus zu finden, in dem die Dinge entstehen dürfen, wenn die Zeit dafür reif ist. Gerade wenn etwas sehr dringend wird, scheint größte innere Ruhe angebracht. Diese Kunst zu kultivieren, ist ein Element, das in unserer »Kultur« fehlt, und wir erfahren uns darin erst als Novizen. Ohne den inneren Freiraum dazu und ein gewisses Maß an unverplanter Zeit werden wir auch in Zukunft nicht davon berichten können, wie es womöglich anzu­stellen sei, in dieser verrückten Welt die Fundamente für ein wirklich, wirklich gutes ­Leben zu legen. Die Frage bleibt: Wie bekommen wir das hin, ohne pleitezugehen?

Kräutergarten Pommerland haben wir gemeinsam mit den Gründerinnen und Gründern von Oya aufgebaut. Gemeinsam hatten wir im Jahr 1999 die Idee geboren, aus einem sozial engagierten Kräutergarten ein Wirtschaftsunternehmen zu entwickeln, das sich selbst trägt. Wir wollten Arbeitsplätze schaffen, Entwicklungsimpulse im strukturschwachen Vorpommern setzen, dabei Leben und Arbeiten verbinden. Jetzt könnten wir voller Stolz darauf schauen: Wir haben es geschafft! – Doch welches Wir?
Ein Teil des gemeinsamen Wir stellt seit einiger Zeit Stück für Stück das übliche Wirtschaften in Frage. Es muss doch anders gehen: Degrowth*, Subsistenz*, Schenkökonomie*. Was kann das für Pommerland bedeuten?
Wo seid ihr Oyas, ihr, die ihr den Beginn von Kräutergarten Pommerland lange Jahre mitgetragen habt? Habe ich die Kreuzung übersehen, an der ihr abgebogen seid? Ich wandere durch die gedankliche Wildnis hin­über nach Klein Jasedow, bin dabei, denke und spreche mit in euren Runden, kehre wieder zurück zum Alltag in Pommerland. – Lasst uns gemeinsam die neue Richtung denken! Wie könnte die Perspektive für mein Unternehmen im Licht eures Nachdenkens aussehen?

Es geht nicht primär um unsere eigene Erschöpfung, sondern um eine Wandlung des klassischen Narrativs des Umwelt- oder Politik­aktivisten oder der Sozial­unternehmerin etc. Solange wir uns mit Formen abmühen, die im Kern von Macht-und/oder-Geld-Mechanismen geprägt sind, wird der Großteil unserer Energie in der Ausein­andersetzung mit ihren Gesetzmäßigkeiten verpuffen.

Vielleicht macht es den Anschein, als seien wir »weiter«, weil wir schon so viel über »anderes« Wirtschaften zu Papier gebracht haben. Das täuscht! Wir stehen vor der gleichen Frage wie du: Was bedeutet es in der Praxis, nach Hause zu gehen und sich um die Bienen zu kümmern? Die Überlegungen in dieser Ausgabe beweisen, dass wir erst wenig darüber wissen!

Die Bienen sind bei sich zu Hause. Gelassen. Beständig. Unerschütterlich. Lassen sich nicht verführen, den täglichen Fluss der Dinge, des Tuns, dessen, was getan werden muss, zu vernachlässigen. •••

 

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