von Malte Cegiolka, erschienen in Ausgabe #42/2017
Liebe Oya! Ich wurde als junger Mensch in ein Gesellschaftssystem hineingeboren, in dem ich nur „etwas werden kann“, wenn ich meine Chancen nutze und gegen die große professionalisierte Konkurrenz bestehen kann. Je älter ich wurde und je näher ich dem Moment kam, an dem ich mich entscheiden müsse worein ich nun meine Zeit investiere um dann künftig ein glückliches Arbeitsleben führen, meine Familie ernähren und fürs Alter bei Seite legen könne, desto unwohler fühlte ich mich.
Oft ging mir als Jugendlicher der Gedanke durch den Kopf: Andere schaffen schon in meinem Alter ein Unternehmen aufzumachen, Geld zu verdienen mit irgendeiner Leidenschaft. Schaffen es etwas zu können, womit sie schon jetzt ihren Lebensunterhalt finanzieren können. Sie scheinen einfach natürlicherweise zu verstehen, wie es so läuft auf der Welt und können sich die Strukturen zu eigen machen, die mir alle so fremd sind. Bin ich ein Kind geblieben? Bin ich unfähig? Wird es einfach „Klick“ machen, und ich verstehe, wie die Erwachsenenwelt funktioniert? Läuft es vielleicht ganz natürlich ab, dass sich mir dann auf einmal der Sinn erschließen kann, hinter Begriffen wie Chef, Kaffeepause, Lohnsteuer, Rentenversicherung, Aktien und so weiter. [Diesen ersten Teil seines Briefs hat Malte mit einer Gänsefeder aus Klein Jasedow geschrieben. Die Handschrift ist im Heft abgedruckt, danach geht es mit Druckbuchstaben weiter:]
… Das Erwachsenenalter scheint damit gespickt zu sein. Schon immer zeichnete und gestaltete ich voll Freude und erschloss mir autodidaktisch Designprogramme. Irgendwann hörte ich, dass man diese Fähigkeiten beruflich anwenden könne; ich war froh, dass ich doch etwas »Verwertbares« konnte, das als sinnvoll für das Dasein in der Erwachsenenwelt galt, und klammerte mich an die Perspektive »Kommunikationsdesign«. Mein Freiwilligendienst und die mich darin begleitenden Menschen änderten in einem einjährigen Prozess stark meine Einstellung, und ich dachte: Du musst etwas für die Menschheit Sinnvolles tun – etwas, das zur Weltrettung beiträgt. Und Werbung ist das Allerletzte. Also studierte ich Naturschutz, doch auch da fühlte ich mich nicht so richtig als Teil der Branche. Während meine Kommilitonen ihre Fachgebiete fanden, schien kein Beruf zu mir zu passen. Da lernte ich dich kennen, Oya. Du erzähltest davon, dass eigentlich andere Qualitäten zählten. Dass die Strukturen dieser Welt nicht unbedingt erstrebenswert sind und dass nichts bleiben muss, wie es ist. Dass wir entscheiden können und nichts in Stein gemeißelt ist. Dass die von mir wahrgenommene »Erwachsenenwelt« einem Paradigma folgt, das nicht per se menschengerecht ist, und dass es viele andere Leute gibt, die ähnliche Zweifel hegen wie ich. Vor allem erzähltest du aber vom Spiel und vom Nicht-Wissen – das sei nicht etwas, das wir Erwachsenen in der Welt der Kinder zurücklassen sollten, sondern etwas Kostbares. Ich las von Menschen, die sich ebenfalls nicht mit dem Geldverdienen begnügen wollten, die »lebenskünstlerisch« oder »kulturkreativ« unterwegs waren. Ich erfuhr von Niko Paech und der Idee des »Prosumenten«, der vielen Tätigkeiten nachgeht und alles Tun als »Wirtschaften« betrachtet. Das half mir, mich nicht als minderwertig zu sehen. Ich war nicht allein mit diesen Themen. Mehr und mehr begann ich, das Leben als großes Forschungslabor wahrzunehmen – und mich als Forscher mittendrin. Offenbar war es in Ordnung, ein empathischer Mensch zu sein; mein Einfühlungsvermögen musste doch keinem Konkurrenzkampf weichen, damit ich in der Welt zurechtkommen könnte. Mit der Zeit ging es mir allerdings beim Lesen deiner Inhalte so, dass ich mich fragte, ob ich denn ausreichend kommunikativ und innerlich meinen Gefühlen nah genug war, um einen kulturkreativen Weg bestreiten zu können, berichtetest du doch von lauter Menschen, die ihren Weg klar vor Augen haben, die zu wissen scheinen, wie sie ganz unkonventionell ihren Lebenstraum verwirklichen können, die damit glücklich sind – und auch noch am gesellschaftlichen Wandel mitwirken. Der persönliche Kontakt mit den Redaktionsmitgliedern in Klein Jasedow war es, der mir verdeutlichte, dass auch Zweifel, Unsicherheiten und Schwierigkeiten solche Wege begleiten, dass der Zustand des Nicht-Wissens da sein kann und darf. Auch wenn die vergangenen beiden Ausgaben für den Einstieg in Oya-Themen vielleicht nicht so geeignet sind, zeigt ihr Diskurs über die Schwächen und die Ratlosigkeit angesichts dieser verrückten Welt wohl jene Menschen, die sich nicht den gesellschaftlichen Normen beugen wollen, aber unsicher sind, wie die ersten Schritte auf dem Weg dahin aussehen könnten. Eine solche Unklarheit über den Lebensweg generiert Angst – Angst, nicht seinen Bedürfnissen gerecht zu werden; Angst vor »Altersarmut«; Angst, Freiräume zu verlieren und zu versagen. Oya dürfte ein Knotenpunkt zum Schmieden von Netzwerken sein, die zu psychischen und auch materiellen Sprungmatten für den freien Fall werden können. Je mehr Menschen sich den Sprung zutrauen, desto mehr »Commonien« könnten entstehen, die postwachstumsorientierte Wirtschaftsweisen erfinden. Ich wünsche mir zum Beispiel, dass Oya gesellschaftliche und bürokratische Hürden aufdeckt, die heute den Möglichkeiten, sich politisch und wirtschaftlich nach Commons-Prinzipien zu organisieren, im Weg stehen. Dann könnten Arbeitsgruppen entstehen, die sich dieser Probleme annehmen, ganz im Sinn der internationalen Degrowth-Bewegung. Wie wäre es mit einer Initiative, die sich mit der Möglichkeit des Bauens mit ausschließlich Naturmaterialien auseinandersetzt, was bisher durch die deutsche Baunorm in den meisten Fällen verhindert wird? Oder mit Arbeitsgruppen zur Vernetzung alternativer Krankenkassen-, Renten-, Bildungs-, Energieversorgungsinitiativen usw. – vielfältigen Ansätzen, die Handlungsspielräume aufdecken und vergrößern, und zwar für das Kollektiv, um davon wegzukommen, dass jede*r im Kleinen wieder die Krücken und Lösungen suchen muss? Die Oya-Gemeinschaft ist bestimmt voll von Menschen, die bereits entsprechende Erfahrungen gemacht haben und spannende Lösungswege verfolgen. Daher wäre es von Vorteil, wenn es eine Struktur gäbe, in denen sie diese mit Informationssuchenden teilen könnten oder aber gemeinsam an der Veränderung der Rahmenbedingungen arbeiten würden. Lasst uns zusammenrücken und einen Bienenschwarm bilden! Schließlich wollte ich dir, Oya, noch sagen, dass mir die Mischung aus Philosophie, Praxis und Reportage sehr gut gefällt. Ich fände einen Abschnitt übers Selbermachen noch ziemlich handlich. Ansonsten danke für alles Bisherige, liebe Oya! Liebe Grüße, Malte •
Malte Cegiolka (24) studierte Naturschutz in Eberswalde und arbeitet derzeit an einem Dokumentarfilm über eine Reise durch Südamerika auf den Spuren des »Buen Vivir«.
Unter dem Motto »Bauverordnung ergänzen! Leben in Naturbauten ermöglichen« startet derzeit eine Initiative, die das walisische »Gesetz der einen Erde«, das ein Siedeln mit kleinstem ökologischen Fußabdruck unterstützt, nach Deutschland holen will. Kontakt: www.kurzlink.de/gesetz-eine-erde
Apropos Selbermachen: Tinte lässt sich aus Tintlingen selbst herstellen. Wenn die Pilze reifen, zerfließen die Lamellen und oft auch der Hut innerhalb von wenigen Stunden aufgrund von Selbstverdauung tintenartig. Aus dieser sporenhaltigen Flüssigkeit wurde früher dokumentenechte Tinte hergestellt, wobei Nelkenöl als Konservierungsmittel diente. (Quelle: Wikipedia)