Buchtipps

Ich–Dylan–Ich [Buchbesprechung]

von Matthias Fersterer, erschienen in Ausgabe #42/2017
Photo

Vor zwei Jahren wurde an dieser Stelle bereits Peter Wawerzineks Vorstudie zu seiner Ode an den walisischen Dichter Dylan Thomas vorgestellt. In der Zwischenzeit ist sie in voller Länge erschienen – Grund genug für eine erneute Besprechung.
Was verbindet Václav Havel, Bob Dylan, Frank Zappa und Peter Wawerzinek? – Die Liebe zu Dylan Thomas. Bei Wawerzinek ist die Sache jedoch speziell: Der Bachmann-Preisträger und verdiente Oya-Kolumnist von ehedem lebt gewissermaßen Tür an Tür mit dem walisischen Poeten. Mit elf Jahren hörte Peter aus dem Radioapparat erstmals die Stimme des zwölf Jahre zuvor verstorbenen Dylan. Da war es um ihn geschehen! Er erkannte sich als Seelenverwandten, vielleicht gar Wiedergänger des Dichters, dessen Geist fortan in ihm lebte: »Du bist ich, und ich bin du.« Es entfaltete sich eine innige Literatenfreundschaft zwischen Bad Doberan und Laugharne, zwischen diesseits und jenseits des Grabs. Tatsächlich ähneln sich die beiden nicht nur in Statur und Physiognomie, sondern auch in puncto zeitweiser Trunksucht, Temperament und rhythmischer Vortragsweise.
Anknüpfend an die in der literarischen Moderne entwickelte Form des inneren Monologs, die ausschließlich aus dem Bewusstseinsstrom der Haupt­figur heraus erzählt wird, entwickelt Wawerzinek eine Form des »inneren Dialogs«: Sein Roman ist ein einziges Zwiegespräch mit Dylan Thomas. Sein Gegenüber antwortet in Form von Lyrikpassagen und in Form der an Orten, Häusern und Plätzen hinterlassenen Spuren, auf denen Wawerzinek während verschiedener Wales-Reisen wandelte.
All dies ist nicht etwa ulkig oder anmaßend, sondern überaus gewitzt und berührend erzählt. Wawerzinek hat genügend Schalk im Nacken, genügend poetische Tiefe, genügend Kiezweisheit und erdigen Humor, gepaart mit kraftvoller eigener Sprache und brillantem parodistischen Talent, um sich weder in Kalauer noch in Pathos zu ergehen. »Hoch die ­Tassen. / Auf die bekannten Künstler / wie die unbedeutenden, genialen Versager«, heißt es im einleitenden Motto. Dabei stellt sich das Gefühl ein, dass er Dylan und sich selbst jeweils beiden Künstlerkategorien zurechnet und dies zumindest im Fall des Dichterfreunds in höchstem Maß auszeichnend meint. ◆ 


Ich–Dylan–Ich
Peter Wawerzinek
Verlag Wortreich, 2015
151 Seiten
19,90 Euro

 

weitere Inhalte aus #42 | Entpuppungen

Eine Art von Gebrauchsanweisung

Es ist Karneval – carne vale! Fleisch, lebe wohl! Und sei willkommen, Neues!Seit zwei Ausgaben durchlebt Oya eine Art Metamorphose – wir haben unseren Zustand wie einen Verpuppungsprozess beschrieben. Altes löst sich auf, neue Menschen wachsen schnell in den bisherigen Kreis der

Photo

Der stumme Winter

Dies ist die Geschichte von zehn Eichen. Es ist eine Geschichte über die Macht des Privaten. Sie spielt im Jahr 2017. Sie ist noch nicht zu Ende erzählt, aber sie endet traurig.

Photo

Wie kann es weitergehen?

»Wir werden euch unterstützen! Der Wandlungs­prozess von Oya geht uns alle an.« Das schrieben uns Leserinnen und Leser, nachdem die September-Ausgabe Nr. 40 von Oya fragte, wie es mit dem Zeitschriftenprojekt weitergehen solle: Wollen wir wie in den 39 Ausgaben zuvor

#42 | Entpuppungen

Cover OYA-Ausgabe 42
Neuigkeiten aus der RedaktionVerteilstationen