Buchtipps

ABC des guten Lebens [Buchbesprechung]

von Anja Humburg, erschienen in Ausgabe #40/2016
Photo

Ein Ort des Wandels, wie beispielsweise Oya einer ist, will Neues in die Welt bringen. Oft passen dann auch alte Begriffe nicht mehr. Spätestens wenn es umständlich wird, das Neue verbal zu treffen, entstehen Wörter, die es zuvor nicht gab. In Oya ist zum Beispiel die »konviviale« Technik ein gängiges Fremdwort, das sich mit »lebensförderlich, selbstermächtigend und zugleich gemeinschaftlich« übersetzen ließe.
Sprache ist ein wichtiges Ordnungssystem für das Denken, gerade in Zeiten von Auf-, Um- und Durchbrüchen. Nicht immer aber sind es unbedingt neue Wörter, die man für den Wandel braucht. Das kleine Büchlein »ABC des guten Lebens« steuert vor allem existierende Wörter neu an, ruft sie ins Gedächtnis und verleiht ihnen eine andere Nuance oder rüttelt kräftig an eingeschliffenen Deutungen. Schon die Auswahl macht Lust, dem guten Leben nachzuspüren. So sind zum Beispiel »Anfangen«, »Staunen« oder »Gabe«, aber auch »Begehren«, »Bezogenheit« und »Aufräumen« Teil des Glossars. Das Staunen etwa erkennen die Autorinnen als einen Schlüssel zum Anderen, um das, was »Dazwischen« liegt, zu sehen und zu verstehen. »Freiheit« setzen sie nicht mit »Unabhängigkeit« gleich, sondern umschreiben sie so: »sich dem eigenen Begehren entsprechend in den Gang der Welt einzubringen, die Verantwortung für das eigene Geborensein zu übernehmen«. Unabhängig zu sein, halten sie für unrealistisch. Hilfreich erscheint ihnen, eine Haltung des »Sowohl-als-Auch« zu praktizieren. Um Grundbedürfnisse zu erfüllen, bedürfe es einer »Daseinskompetenz«, die nicht nur das »Essen« oder Schlafen, sondern zum Beispiel auch das »Scheißen« umfasst. Wer dann auch der »Fülle« seiner Begehren nachgehen kann – die Assoziation von Begehren mit sexueller Lust deutet an, worum es geht, deckt sich allein aber nicht mit dem Begehren im Sinn der Autorinnen – der oder die nähere sich dem guten Leben.
Die kurzen Texte sind das Kondensat eines langen Dialogprozesses zwischen einer Gruppe von Frauen aus Italien, der Schweiz und Deutschland, dem viele weitere, ausführlichere Publikationen voran- und nachgingen. Das Buch selbst wurde zuletzt 2015 neu aufgelegt. Mit ihm ist es gelungen, die Grundgedanken der Care-Ökonomie äußert anschlussfähig zu beschreiben, ohne dabei ihren Sinn zu verkürzen.
Ich habe das Buch gemeinsam mit meiner Mutter gelesen, und es lässt sich seither als ein verbindendes Element zwischen uns bezeichnen, auf das wir uns immer wieder beziehen. Ein schöner Übergang einer manchmal sehr abstrakten, akademischen Debatte in den sorgenden und erwerbswirtschaftlichen Alltag ist damit gelungen. ◆ 


ABC des guten Lebens
Ursula Knecht, Caroline Krüger
C. Göttert Verlag, 2012
158 Seiten
7,50 Euro

weitere Artikel aus Ausgabe #40

Photo
Bildungvon Valentin Niebler

Autodidaktische Experimente

Als die Vorstellung beginnt, ist es mucksmäuschenstill. Dreiunddreißig Augenpaare sind auf Hanna und das Blatt Papier vor ihr gerichtet. Mit kräftiger Stimme trägt sie kleine Texte vor – sie handeln von Franz Kafkas Parabel »Die Brücke«, vom

Photo
Bildungvon Alex Capistran

Das letzte Urteil ist noch nicht gesprochen

Herr Vogt, wie wurden Sie zum Anwalt von Familien, die ihre Kinder nicht zur Schule schicken – von sogenannten Homeschoolern oder Freilernern?Meistens ist es so, dass die Eltern mich kontaktieren, weil sie in Konflikt mit staatlichen Stellen stehen. So bin ich – wie die Jungfrau zum

Photo
von Der Schwarm

Kapitel 3

Wir stechen mit Benjamin Kafka in See. Die Reise führt zu eigenwilligem Brachland. Dort sind die Kategorien von Erfolg und Misserfolg unbekannt.

Ausgabe #40
Innehalten

Cover OYA-Ausgabe 40
Neuigkeiten aus der Redaktion