Titelthema

Verrücktheit in der richtigen Richtung

von Declan Kennedy, erschienen in Ausgabe #47/2018
Photo
© www.declan.de

Stefan Schwidder: Declan, du schreibst auf deiner Website, dass du inspirieren und ein Vorbild sein möchtest, um ein neues Bewusstsein für uns selbst und für die Erde zu entwickeln. Wie kann das gelingen?
Declan Kennedy: Über die Intuition. Ich sehe eine meiner ­Lebensaufgaben darin, Menschen zu helfen, ihren Weg zur Intuition und damit zur Inspiration zu finden.

Ich mag diesen Gedanken – was genau passiert dabei? Was ist ­Intuition für dich?
»Intuition« bedeutet für mich, dem »Göttlichen in mir« zu folgen – zu erlauben, dass sich eine Weisheit in mir zeigen darf, ohne dass ich diesen Prozess beeinflusse oder »bearbeite«. Ich habe das vor allem über den Umgang mit meinen Pflanzen gelernt. Wenn eine von ihnen krank wurde oder es ihr nicht gut ging, habe ich sofort das getan, was mir in dem Augenblick in den Sinn kam – mit großem Erfolg. Das hat meine Intuition sehr gestärkt. Ich glaube, ich habe da als Ire einen gewissen Vorteil – wir tun oft Dinge, ohne wirklich darüber nachzudenken. (lacht)

Wo kommt Intuition deiner Meinung nach her?
Intuition hat viele Quellen. Da ist zum einen das, was ich als die »göttliche Quelle in uns« bezeichne, aber auch die Menschen, die ich getroffen habe und die mir etwas bedeuten, spielen eine Rolle – die eigenen Vorbilder. Im Moment der Begegnung nimmst du sie in dir auf, ihre Worte, ihre Energie, ihre Präsenz – nicht wissend, dass dir vielleicht zwanzig Jahre später ein einziger Satz von ihnen helfen wird.

Was gehört für dich noch zur Intuition?
Ich glaube, dass Großzügigkeit ein wichtiger Teil der Intuition ist – denn indem du intuitiv handelst, bist du dir selbst gegenüber sehr großzügig. Du erlaubst sogar offensichtlichem Quatsch, ein gewisses Gewicht anzunehmen, wenn du darüber nachdenkst. Manchmal entstehen dadurch die großartigsten Dinge und Ideen. Es handelt sich um »Verrücktheit in der richtigen Richtung« – die aber funktioniert und hilfreich ist.

Was kann ich tun, um meine Intuition zu stärken?
Du musst sie trainieren. Üblicherweise wird immer nur unser rationales Denken trainiert – unser Verstand –, so dass wir diese andere Seite in uns im Lauf der Zeit vergessen. Die beiden Aspekte müssen ausbalanciert werden – es geht nicht um »entweder, oder«, sondern um »sowohl als auch«.
Als ich fünfzig Jahre alt war, habe ich einen sehr klaren Schnitt in meinem Leben vorgenommen, was viele wohl als »Midlife-Crisis« bezeichnen würden. Ich hatte vollständig den akademischen Weg eingeschlagen – ohne zu merken, dass ich ständig versuchte, jemand anderes zu sein, als ich wirklich bin. Ich erkannte, dass ich die intuitive Seite in mir komplett ausgeblendet hatte. Also habe ich diese dann eine Zeitlang fast ausschließlich genutzt.

Was hast du in jener Zeit – und seither – über die Intuition und ihre Funktionsweise verstanden? Wie können wir sie konkret im Alltag trainieren?
Indem wir uns nicht selbst stoppen, wenn etwas aus uns her­auskommt. Ein Teil meiner Arbeit besteht darin, Menschen in Heilungsprozessen zu begleiten. Mein Weg, dabei wirksam zu werden, ist etwa so: Ich habe mir die Erlaubnis gegeben, Dinge auszusprechen, die unmittelbar aus der Begegnung mit dem Anderen in mir entstanden sind und sozusagen an die Oberfläche steigen.

Bedeutet Intuition womöglich, dass wir uns an etwas erinnern, das wir bereits wissen, das aber tief in uns versteckt ist?
Ja, es geht immer darum, sich an etwas zu erinnern, das wir vergessen haben, und dann danach zu handeln, damit sich diese Weisheit im Leben umsetzen kann. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die anschließende Reflexion – sonst integrierst du das Erkannte nicht und kannst entsprechend andere Menschen nicht darin unterstützen, es ihrerseits zu lernen. »­Reflexion« bedeutet für mich, bewusst wahrzunehmen: Was ist geschehen? Was hat geklappt? Wenn ich es nicht reflektiere, geschieht etwas, ohne dass ich es bemerke oder mich weiterentwickle. Indem ich es mir bewusstmache, wachse ich und kann diese Erkenntnis teilen. Das ist immer mein Ziel: kein »Helfer« zu sein, sondern jemand, der andere dabei unterstützt, sich selbst zu helfen. Die müssen dann aber auch die inneren Antennen dafür haben, sonst erreiche ich sie nicht und kann nichts für sie tun.

Würdest du sagen, dass es hilfreich ist, von Zeit zu Zeit in Ruhe mit sich zu sein, um die Intuition zu fördern?
Diese Voraussetzung ist essenziell. Es geht dabei auch ums Loslassen: Wenn wir dem Leben erlauben, sich aus sich heraus zu entfalten, verbessern sich Situationen von alleine. Die Natur hat ihr eigenes »eingebautes« Unterstützungssystem. Ich sehe das, wenn ich mich in den Finger geschnitten habe: Ich kann die Wunde versorgen, aber überlasse sie beim Heilen sich selbst. Das ist wohl der Grund, warum vieles in meiner Arbeit daran ausgerichtet ist, die Natur nachzuahmen.

Erlauben, Vertrauen, Handeln und Reflektieren sind die Bestandteile der Intuition. Wenn wir sie regelmäßig anwenden, öffnen wir dann innere Türen zu noch mehr Intuition?
Eines ermöglicht das andere und hilft dir, dich aufwärts zu bewegen, wie in einer Spirale. Du bewegst dich hin zu neuen Gedanken, Ideen und neuer Inspiration für dich selbst und für andere.

Lieber Declan, vielen Dank für das inspirierende Gespräch!


Declan Kennedy erinnerte sich in »Blick zurück nach vorn« in Ausgabe 39 mit dem ­Titel »Wir werden konservativ!« daran, wie er und seine Frau Margrit in den 1980er Jahren die Permakultur in ­Europa bekannt machten.

weitere Artikel aus Ausgabe #47

Photo
von Veronika Bennholdt-Thomsen

Es geht um die Subsistenz

Wie mir Beate Küppers aus der Oya-Redaktion erzählte, »vergessen« Gänse, wie es geht, die Eier, die sie gelegt ­haben, auch auszubrüten, wenn sie selbst über Generationen nur im Brutkasten ausgebrütet wurden. Wenn schon die Gänse – dieses

Photo
von Albert Vinzens

Gedankenwärme verändert die Welt

Ich habe die Schweiz unter anderem wegen Nietzsche verlassen. Das ist über dreißig Jahre her. Nietzsches geistiges ­Temperament hat mich nach Deutschland entführt. Ein Land mit großer ­Geschichte – und großem Schmerz! Dass Nietzsche Antisemit ­gewesen

Photo
von Stefan Meretz

Theorie und Praxis

Das, was wir tun, müssen wir besser verstehen, um es besser tun zu können, um es besser zu verstehen.Stefan Meretz trug in »Wirtschaft: ­Verschwendung«, Ausgabe 3, und »Aus : Tausch«, Ausgabe 44, Gedanken zu bedingungslosem Beitragen bei.

Ausgabe #47
Was ist wesentlich?

Cover OYA-Ausgabe 47
Neuigkeiten aus der Redaktion