von Werner Küppers, erschienen in Ausgabe #47/2018
In den dunklen Monaten, während der »Omnibus für direkte Demokratie« Winterschlaf hält, habe ich mich in die vier gewaltigen Wälzer »The Nature of Order« von Christopher Alexander vertieft und für Oya ein Zitat aus dem Vorwort herausgesucht. Dabei habe ich sehr darauf geachtet, einen »Song« daraus zu machen, also den richtigen Einsatz zu finden:
»Vor etlichen Jahren wurde ich zur Premiere eines Films, der über meine Arbeit gedreht worden war, eingeladen. Ich zögerte. Es war ein Wochenende, und ich wollte eigentlich Zeit mit meiner Familie verbringen. Letztlich entschieden wir uns, alle gemeinsam hinzugehen: meine Frau Pamela, unsere Töchter Lily und Sophie und ich. Der Film lief auf einem Filmfestival in San Francisco in einem alten Programmkino im historischen Mission District. Wir gingen hinein, als gerade eine bunte Mischung aus Kurzfilmen gezeigt wurde. Wir sahen uns einige meist sehr kurze Kunst- und Autorenfilme an. Dann war mein halbstündiger Film an der Reihe. Als das Licht anging, stand ich auf. Man hatte mich gebeten, nach vorne zu kommen und ein paar Fragen zu beantworten. Zu meiner Überraschung kamen laute Beifallsbekundungen aus dem Publikum. Wie erstaunlich! Ich war bewegt und gerührt, keine Frage; wusste aber ehrlich gesagt nicht, womit ich das verdient hatte. Freilich genoss ich es, konnte aber nicht ganz verstehen, was hier eigentlich vor sich ging. Unter anhaltendem Applaus und Beifall ging ich auf die Bühne. Dort angekommen, blendeten mich die grellen Scheinwerfer. Die Zuschauerinnen und Zuschauer stellten Fragen, ich gab nicht übermäßig gute Antworten, die Beleuchtung war wirklich sehr grell. So ging es ein paar Minuten dahin. Dann fragte jemand: ›Wie sind Sie eigentlich auf die Mustersprache gekommen? Wie haben Sie das Material dafür zusammengetragen?‹ Ich antwortete: ›Nun, das war nicht viel anders als bei jeder anderen Art von Wissenschaft. Meine Kollegen und ich stellten Beobachtungen an, schauten, was funktionierte, untersuchten es, versuchten, das Wesentliche herauszudestillieren, und schrieben es auf.‹
›Aber‹, fuhr ich fort, ›es gab etwas, das wir anders machten. Von Anfang an waren wir davon ausgegangen, dass all das in der Natur wirklichen menschlichen Fühlens gründet und – nun kommt der ungewöhnliche Teil – dass menschliches Fühlen weitgehend gleich ist, weitgehend gleich von Mensch zu Mensch, weitgehend gleich in jedem Individuum. Freilich gibt es im menschlichen Fühlen auch einen Bereich, durch den wir uns unterscheiden. Jeder Mensch hat seine Eigenheiten, seinen individuellen menschlichen Charakter. Das ist jener Bereich, auf den die Menschen sich meist konzentrieren, wenn sie über ihre Gefühle sprechen und diese miteinander vergleichen. In Wirklichkeit macht dieser eigentümliche Teil jedoch nur etwa zehn Prozent dessen, was wir fühlen, aus. Die restlichen neunzig Prozent sind aus dem Stoff gewirkt, der uns allen gemeinsam ist und der uns gleich fühlen lässt. Bei der Konzeption der Mustersprache haben wir uns von Anfang an auf diesen Umstand und diesen gemeinsamen Teil menschlicher Erfahrung und menschlichen Fühlens konzentriert. Die Mustersprache ist nichts anderes als ein Verzeichnis jenes Stoffs, der neunzig Prozent unseres Fühlens ausmacht, jenes Bereichs, in dem wir alle gleich fühlen.‹ Nachdem ich gesprochen hatte, brach sich stürmisch Begeisterung Bahn, die Zuschauer erhoben sich erneut unter Applaus und Beifallsrufen. Langsam dämmerte mir, warum schon mein Weg nach vorne von Applaus begleitet gewesen war. Sie sahen in mir eine Stimme, die aussprach, dass das, was wir Menschen alle gemeinsam fühlen, in Vergessenheit geraten ist, verschüttet unter dem Durcheinander aus Meinungen und persönlichen Differenzen. Was die Menschen an der Arbeit, die meine Kollegen und ich seit so vielen Jahren tun, bewegt, ist, dass wir versuchen, die Wirklichkeit jenes weiten Ozeans – dieser neunzig Prozent unseres Selbst –, in dem wir alle gleich fühlen, zu würdigen und zu respektieren. Dass dieser immense gemeinsame Grund, dieses gewaltige Meer, vergessen worden ist – und vielleicht in meiner Arbeit wiederentdeckt wurde –, hat diese Menschen damals dazu bewegt, sich diesen Film anzusehen und sich Beifall rufend zu erheben. Im Wesentlichen handelt dieses Buch von jenem neunzigprozentigen Kern unseres Fühlens, der uns allen gemeinsam ist. Es handelt von einer wirklicheren Wahrnehmung der Welt und des Universums, die sich nur dann entfalten kann, wenn wir anerkennen, dass wir alle größtenteils gleich sind.«
Werner Küppers schenkte uns in »Kapitel 1« von Ausgabe 40 den rätselhaft inspirierenden Satz »Geh nach Hause und kümmere dich um die Bienen!«. Seine Beobachtungen teilt er unter: www.er-fahrungen.org