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Die neuen Munizipalismen (Buchbesprechung)

von Elisabeth Voß, erschienen in Ausgabe #47/2018

Der Sammelband »Die neuen Munizipalis­men« reflektiert eines der aktuell spannendsten Projekte gesellschaftlichen Wandels: »Wir glauben, dass, weil die Menschen in Gemeinschaft leben, die gemeinsamen Angelegenheiten uns alle betreffen. Erst dann, wenn alle Bewohner_innen eines Territoriums sich treffen, kommunizieren, diskutieren und gemeinsam Entscheidungen treffen können, die sie betreffen, kann die Politik aufhören, das Geschäft einiger weniger zu sein.« (Umschlagtext).
Ausgehend von den Besetzungen öffent­licher Plätze in Spanien im Jahre 2011 haben Basisbewegungen Wahlplattformen gegründet und sich 2015 in Barcelona, Madrid und anderen Städten an den Wahlen zu den Stadtparlamenten beteiligt. Sie konnten beeindruckende Erfolge erringen. Am bekanntesten ist wohl die Bürgermeisterin Barcelonas, Ada Colau, die aus der Recht-auf-Wohnen-Bewegung kommt.
Der Munizipalismus strebt eine größere Autonomie von Städten und Gemeinden gegenüber dem Staat an (el municipio, span.: die Gemeinde). Diese Bewegung steht nun vor vielen Herausforderungen. Sie hat den Anspruch, basisdemokratisch eine Vielfalt sozialer Anliegen umzusetzen, und ist politisch ganz klar feministisch und antirassistisch ausgerichtet. Damit trifft sie auf Stadtverwaltungen, die bislang unter hierarchischen Bedingungen funktionierten. Auch in den Stadtparlamenten, in denen Basisbewegungen nun die stärksten Fraktionen stellen, müssen sie trotzdem um Mehrheiten ringen. Die lokale Autonomie wird beschränkt durch die zentralstaatliche Politik Spaniens, die eingebunden ist in europäische Politiken von Einsparungen und Schuldenbremse.
Auch in sich sind diese Basisbewegungen nicht widerspruchsfrei. Zum Beispiel sind sie häufig recht weiß und mittelschichtig zusammengesetzt; zudem stehen sie vor der Frage, wie die Einbeziehung der Vielen, die bisher politisch keine Stimme hatten, gelingen kann.
Die Autorinnen und Autoren analysieren die Herausforderungen und Widersprüche auf teils extrem abstraktem Niveau. Sätze mit Formulierungen wie »... jenes praktische Wissen, das sich mit performativer Praxis, raumzeitlicher Heterogenität und der sozialen Herstellung von Raum und Immanenz in Bewegung verband …« habe ich einfach mit Freude am dadaistischen Sprachklang gelesen, ohne den Anspruch, sie verstehen zu wollen. Wenn ich irgendwann drauf und dran war, das Buch genervt zur Seite zu legen, wurde es wieder spannend, und ich habe gerne weitergelesen.
Allerdings hätte ich gerne noch viel mehr über die Praxis des Munizipalismus erfahren – zum Beispiel über Wahlsysteme, die Minderheiten nicht ausgrenzen, oder über die Feminisierung von Politik, die darüber hinausgeht, Frauen in Machtpositionen zu hieven. Wie wird konkret versucht, der Poltikverdrossenheit entgegenzuwirken, und wie wird die Basis kontinuierlich einbezogen? Wie sorgen die Aktivistinnen und Aktivisten angesichts all der neuen Anforderungen durch politische Gepflogenheiten füreinander und für sich selbst? Wie unterstützen die neuen Stadtregierungen ganz konkret die Gründung von Genossenschaften und von Projekten mit illegalisierten Straßenhändlern oder migrantischen Hausarbeiterinnen? Nach dem Lesen habe ich mehr Fragen als vorher – immerhin.
 

Die neuen Munizipalismen
Soziale Bewegung und die Regierung der Städte.

C. Brunner, N. Kubaczek, K. Mulvaney , G. Raunig (Hg.)
transversal texts, 2017
145 Seiten
ISBN 978-3903046122
10,00 Euro


Das Buch steht zum kostenlosen Download:
http://transversal.at/books/munizipalismen

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