Ein Porträt des Wildnispädagogen, Karosseriebauers und Jäger-Sammler-Azubis Andreas Jade.von Jochen Schilk, erschienen in Ausgabe #49/2018
Vorwort von Matthias Fellner, der den Artikel für die Ausgabe 49 ausgewählt hat: Als ich vor zwei Jahren nach Klein Jasedow zog und im Redaktionsbüro erstmals diesen Artikel aus der letzten Ausgabe der Oya-Vorgängerin »KursKontakte« (Dezember 2009) las, erschien mir die Geschichte von Andreas Jade fast zu gut, um wahr zu sein. Gab es diesen Menschen tatsächlich oder war dieses Porträt ein fantastisches Sammelsurium aus Klischees der 1980er, 90er und 2000er Jahre? Tatsächlich lernte ich den sehr realen Andreas schon wenige Tage später persönlich kennen – als einen offenen, ganz und gar sympathischen Menschen, der sich herzlich über meine Faszination angesichts seines Lebenswegs freute. Mein Vorschlag, den Text nachzudrucken, fand im Redaktionskreis sofort Anklang. Autor Jochen Schilk hat den neun Jahre alten – und hier leicht gekürzten – Artikel nach einem erneuten Interview mit Andreas, der jetzt Dado heißt, um eine Fortsetzung erweitert.
Mit 34 Jahren befindet sich Andreas Jade im Jahr 2009 auf einer Jahresreise: Zusammen mit einem Dutzend anderer westlicher Männer und Frauen ist er dabei, im abgelegenen Waldgebiet an den Großen Seen Nordamerikas seine Zivilisiertheit abzustreifen und von seinem Lehrer Tamarack das Leben eines Jägers und Sammlers (wieder) zu erlernen. Nicht weniger abenteuerlich mutet auch das bisherige Leben von Andreas an.
Erst Plattenbau, dann Nazi-Schläger Zunächst scheint das große Abenteuer für einen 1975 im betonsozialistischen Leipzig geborenen Menschen nicht vorgesehen zu sein. Eine »ganz normale DDR-Kindheit« im Plattenbau habe er gehabt – »ganz normal«, vielleicht abgesehen davon, dass der Vater als selbständiger Autohändler in begrenztem Umfang Zugang zu Westgeld hat. Als die Wende kommt, wird Andreas für kurze Zeit Mitglied bei den Jusos. Der 14-Jährige genießt einerseits den nun möglichen »Cola-Konsum«, andererseits befiehlt ihm sein »noch völlig unausgegorenes politisches Weltbild«, dafür einzutreten, dass »das Soziale der DDR« in die neuen Zeiten hinübergerettet wird. Wie er gleich anschließend zu einem Bomberjacken-Nazi mutiert, ist im Rückblick nicht ganz zu klären; es muss wohl etwas mit der damals örtlich vorherrschenden Jugendszene sowie mit pubertärer Orientierungslosigkeit zu tun haben. Der junge Andreas geht jedenfalls voll in der rechten Szene Leipzigs auf: mit den Kumpels abhängen, Bier trinken und das Gruppengefühl genießen. »Nie ein gutes Gefühl« will er hingegen bei Schlägereien und kleineren Überfällen gehabt haben, doch nichtsdestoweniger mischt er ordentlich mit. Ein schockierendes »einschlägiges« Erlebnis gibt dann schließlich auch den Ausschlag für die allmähliche Abkehr von seiner Nazi-Peergroup zwei Jahre später: Andreas hilft einem Zusammengeschlagenen auf die Beine. »Ist nicht so schlimm«, meint das Opfer fast versöhnlich zu ihm, »aber ich habe einen Hirntumor …« Da er mit Sechzehn eine Lehre als Karosseriebauer bei BMW beginnt – als Sohn eines Autohändlers ist seine Begeisterung für Autos, zumal für Westmarken, tief verwurzelt – kann er sein Nazi-Outfit auch nicht länger offen tragen. Die Kontakte zu den alten Kumpels werden dünner. Andreas lebt nun die totale Identifikation mit der Marke, das höchste der Gefühle wäre ein eigener BMW.
Essen und Drogen auf Rädern Auf die Lehre folgt die Zeit als Zivildienstleistender, die Andreas mit dem Ausfahren von »Essen auf Rädern« verbringt. Er zieht mit seinem besten Freund Karsten zusammen, und sie verwandeln ihre Wohnung in eine schwarze Drogenhöhle mit Stroboskoplicht an der Decke. Abgesehen von Heroin nehmen die beiden jahrelang ziemlich alles, was der Markt hergibt. Während der halbwegs nüchtern verbrachten Essensausfahrten merkt er, wie sehr die betagten Empfängerinnen und Empfänger sich von Herzen freuen, wenn er ein paar Minuten für ein Gespräch bleibt. Diese Situationen gehen ihm seltsam nahe, »Sinn blitzt auf« in einem bis dahin von Sinn- und Orientierungslosigkeit geprägten Leben. Nach dem Zivildienst ist Andreas noch knapp vier Jahre lang in einer Kfz-Werkstatt tätig. Wie alle seine Kollegen geht jedoch auch er wegen des Betriebsklimas nach kurzer Zeit desillusioniert in die »innere Emigration«. Immerhin kann er nun seinen Traum vom weißen BMW-Schlitten verwirklichen, in dem er sich »super fühlt, wenn die Hip-Hop-Mucke dröhnt« und die Frauen auf den Beifahrersitz drängen. (»Seltsam, wie sehr die Ladies oft auf Mackertypen abfahren«, wundert er sich im Rückblick.) Karsten und er beginnen mit dem Dealen, wobei sie selbst ihre besten Kunden sind. Etwas muss ihm damals schon hohl vorgekommen sein an diesem Leben. Wie sonst ist die folgende Wendung zu erklären? Gab wirklich nur die Erkrankung seiner Schwester den Ausschlag, die in Andreas’ Familie ein Bewusstsein für Ernährungsfragen – Rohkost – aufkeimen lässt? Andreas hält es heute nicht für ausgeschlossen, dass der Konsum von halluzinogenen Pilzen im Wald in ihm ein besonderes Gefühl für Natur und für den Umweltschutz geweckt haben könnte. Er wird jedenfalls für einige Zeit Veganer und besucht mehrmals die Rosa-Luxemburg-Tage in Frankfurt am Main, veranstaltet von der »Linksruck«-Gruppe. Leider will jedoch das dort aufgesogene sozialistische Gedankengut bei den Werkstatt-Kollegen nicht fruchten, so dass Andreas und Karsten erwägen, nach Bolivien auszuwandern, wo ein Kollege eine angeblich gutgehende Werkstatt betreibt. Als die beiden der Einladung nach Südamerika folgen, entpuppt sich die Werkstatt als »winzige Bude, wo nur eine Bonzenkarre pro Woche hergerichtet wird«. Die Zeit bis zum Rückflug verbringen sie saufend und kartenspielend mit ihren Gastgebern – Traum geplatzt. Wieder in Deutschland, platzt gleich noch die ganze bisherige Werteordnung: Unlust, Stress und Fehler beherrschen den Arbeitsalltag in der Werkstatt. Einmal macht Andreas versehentlich einen dicken Kratzer in einen frisch lackierten Wagen. Im ersten Moment nach dem Malheur fühlt er eine altbekannte Schuld, weil er wieder einmal schlecht gearbeitet und die Werte anderer – insbesondere »die heiligen BMW-Werte« – mißachtet hat. Dann aber spürt er Wut in sich aufsteigen – Wut darüber, dass sein Leben sich um »verdammte Blechkisten« dreht. Das Leben erscheint ihm so viel wertvoller als irgendein glänzendes Auto, und er fühlt Entschlossenheit, eine ganz neue Richtung einzuschlagen. Das Freundes-Duo beschließt, arbeitslos zu werden und anderswo nach dem Sinn zu suchen. Andreas fährt mit Karsten zu einem Greenpeace-Aktionstraining nach Hamburg. Die beiden sind dort die einzigen Ossis und avancieren aus unerfindlichen Gründen zu den »Stars der Veranstaltung«. Greenpeace-Chef Peter Küster bietet ihnen einen Job bei einer einmonatigen Aktion in Sibirien an, wo es darum geht, für die Kameras an einer lecken Pipeline 50 000 Tonnen Öl zu schippen, um den Elf-Konzern unter Druck zu setzen. Andreas merkt, wie gut es ist, die starke Organisation im Rücken zu haben, sonst hätte er sich wohl nicht getraut, gegen die russischen Polizisten anzutreten. Die beiden folgenden Jahre bei Greenpeace werden aber eine kräftezehrende Angelegenheit. Zeitweise wohnen die Freunde in Hamburg; wenn Andreas nach Hause nach Leipzig kommt, kann er nur noch abhängen, kiffen und Ego-Shooter-Computerspiele »zocken«. Ein Urlaub in Indien öffnet Andreas’ Weltbild für die Spiritualität. Er entdeckt Yoga und die verwirrende Tatsache, dass viele der unglaublich armen Menschen im Land durchaus sehr glücklich zu sein scheinen. Entwicklungshilfe und andere Bußübungen Vermutlich weil seine Bewerbung von Herzen geschrieben ist, wird Andreas trotz fehlender beruflicher Eignung für ein Entwicklungshilfeprojekt in Vietnam angenommen. Dummerweise stellt sich nach der Ankunft dort heraus, dass das Projekt von den Einheimischen gar nicht gewollt ist. Nach einigen Wochen kann er das Gefühl der Sinnlosigkeit nicht mehr ertragen. Voller Gewissensbisse steigt er aus. In ihm reift der Plan, 21 Tage lang zu fasten und in sich zu gehen – er muss Buße tun. Bei bestem Wetter mietet er sich in einem einfachen Hotel in ländlicher Umgebung ein. Doch am nächsten Tag schlägt das Wetter um, es wird kalt und feucht. Dennoch geht Andreas jeden Tag spazieren. Dass er entlang der Straße ins Dorf hinunter Müll sammelt, vergrößert nur das ohnehin bestehende Befremden seitens des Hotelpersonals. Nach zwei Wochen fährt im Hirn des Büßers nur mehr eine Zeile aus dem Kindermusical »Traumzauberbaum« Karussell: »Ein kleiner dicker Mops saß still auf seinem Klops.« Immer wieder diese Zeile, andere Gedankengänge sind ihm nicht möglich. – Wer würde in dieser Situation nicht Angst bekommen, verrückt zu werden? Als er sich am 18. Tag ins Dorf schleppt und wieder zu essen beginnt, glaubt er zumindest eine Sache begriffen zu haben: »Die Hölle ist selbstgemacht!« Ein Jahr später kann Andreas seine Fastenerfahrung in einem anderen Licht betrachten, als er beginnt, die beliebten zehntägigen Vipassana-Meditationskurse zu besuchen. Hierbei erlernt er, Verhaltensmuster und Emotionen zu beobachten und mit ihnen umzugehen. »Diese Aspekte der Heilung durch Wahrnehmung habe ich später auch bei der Wildnisgeschichte wiedergefunden«, erzählt er. Bevor Andreas jedoch auf diesen Pfad trifft und hier seine Bestimmung findet, unternimmt er noch einen Versuch, auf sanft-kreative Weise das Bewusstsein der Menschen zu erreichen: 2003 und 2004 tourt er mit einer Straßentheater-Truppe durch Deutschland. Thema des Stücks sind Arzneimittel-Patente. Später geht es durch Bosnien mit »Wahrheit und Lüge«, einem Stück über Krieg und ethnischen Hass. Zuletzt übt die Gruppe gemeinsam mit Straßenkindern im rumänischen Cluj ein Stück ein, das nach zwei Wochen Probe schließlich zur Aufführung gelangt: »Die Kids spielen, und als sie sich abends im Fernsehen sehen, sind ihre Augen und Herzen so voll Freude, dass ich selbst heule. Da spüre ich ganz deutlich, was ich will.« Wieder in Deutschland, hört Andreas von einem Ausbildungsgang zum Wildnispädagogen, was ihn nach der Arbeit mit den Kindern sehr anspricht. Dabei stößt er auf die Umweltbildungsstätte Drei Eichen östlich von Berlin. Eine kleine Gruppe von Wildnispädagogen nimmt ihn bald in ihre Gemeinschaft auf. Sehr ernsthaft bemühen sie sich, umzusetzen, was sie von nordamerikanischen Ureinwohnern über authentisches Gemeinschaftsleben und das Teilen von persönlicher Wahrheit im Kreis zu wissen glauben. »Wenn nur zwei oder drei von all den Jungs und Mädels aus meinen Kursen sich später an den Wildnisweg erinnern, wenn ihre eigene Sinnsuche beginnt, dann haben sich meine Mühen gelohnt«, sagt Andreas über seine Arbeit. Für sich selbst hat er den Anspruch, später ein Vorbild für die jüngeren Generationen abzugeben, ein echter weiser »Ältester« zu werden, wie es sie in der westlichen Kultur kaum mehr gibt. Als zwei junge Männer von ihrem »Yearlong« beim Lehrer Tamarack in Wisconsin nach Drei Eichen zurückkehren, sorgt das dort für neue Inspiration. Andreas fängt nun an, auch im Winter in seinem Lager im Wald zu schlafen – eine Praxis, die für seine neue Partnerin, die Wildnispädagogin Sophie, nicht immer leicht mitzutragen ist. Auch sein Entschluss, selbst für ein Jahr ins Selbsterfahrungs-Wald-Exil nach Amerika zu gehen, stellt die Liebe der beiden auf eine harte Probe. Für Andreas ist Sophie die Frau seines Lebens. Dass ihre Beziehung viel Zeit hatte, um sich zu entwickeln, war für ihn eine sehr heilsame Erfahrung. Dennoch fühlt er auch die Pflicht, sich und seinem Weg treu zu bleiben: Wie könnte er weiterleben, ohne die Yearlong-Herausforderung, die ihn so sehr ruft, nicht angenommen zu haben?
Wie es weiterging – neun Jahre später Während Andreas 2009 sein Wildnis-Jahr in Nordamerika verbrachte – siehe dazu das ausführliche Interview in der Oya-Ausgabe 5 – wurde Sophie von einem anderen Mann schwanger. Als Andreas nach einer Reise über den Ozean kam, um sie im Frühjahr 2010 nach mehr als zwölf Monaten an ihrem neuen Wohnort wiederzusehen, platzte er praktisch mitten in die Geburt hinein. Andreas hat Merle dann glücklich als Tochter angenommen. Als diese ein Jahr alt war, unternahm die junge Familie zusammen mit einer Gruppe Gleichgesinnter einen neuen Gemeinschaftsversuch, der allerdings frühzeitig scheiterte. Etwas später endete auch die Paarbeziehung, und Sophie zog dreihundert Kilometer weit weg. Andreas, der sich zwischenzeitlich in »Dado« umbenannt hat, hält seither die Beziehung zur ersten Tochter Merle. Mittlerweile ist zudem eine zweite – diesmal leibliche – Tochter hinzugekommen: Lina. Mit seiner neuen Partnerin Johanna ist er fest an einem schönen, naturnahen Platz angekommen. Soweit die wichtigsten Stationen in Dados Leben seit 2009. Nachdem wir das Porträt nochmals durchgesehen hatten, stellte ich Dado einige Fragen, etwa nach seiner Arbeit als Wildnislehrer, der er sich nun schon seit 2005 widmet. »Ich bin damit viel entspannter geworden«, berichtet er. »Anfangs war ich vor jedem Kurs drei Tage lang krank vor Sorge, wie es wohl werden würde. Die wichtigste Änderung aber ist, dass ich neben den Kinder-Kursen nun auch in die Erwachsenenarbeit einsteige. Das bringt neue Anforderungen mit sich, ist aber auch ein dankbarer Job, denn die freiwillig antretenden Erwachsenen muss man nicht drei oder vier Tage lang motivieren, bis es richtig läuft. Ich finde es wunderbar, über diese Arbeit Menschen mit sich selbst, mit anderen und dem größeren Ganzen verbinden zu können!« Eine weitere wichtige Änderung hat mehr mit seiner inneren Einstellung zu tun: »Nach dem Jahr im Wald war ich zu Hause in Deutschland erst einmal orientierungslos und depressiv. Die Arbeit habe ich aber trotzdem weitergemacht. Mein Mentor Wolfgang Peham hat damals mehrfach eine entscheidende offene Frage in meinem Leben angesprochen: ›Willst du das Wildnis-Zeug leben oder willst du es lehren und weitergeben?‹ Dann bin ich noch einmal für drei Monate in die USA gegangen zu einer Art Fortgeschrittenen-Seminar in derselben Wildnisschule. Nach dem wirklich extremen Trip merkte ich, dass mein Wildnis-Lernweg erst einmal zu Ende war und dass es nun darum gehen würde, das gesammelte Wissen weiterzugeben. Das Streben nach dem Wildnis-Leben, wie ich es mir lange Zeit erhofft hatte – mit einer kleinen Gemeinschaft irgendwo im Wald – das ist in den Hintergrund getreten.« Die intensive dreimonatige Wildnis-Erfahrung in den USA hatte, so scheint es, in mehrfacher Hinsicht eine katalytische Wirkung auf Andreas: »Diese drei Monate brachten mich schließlich wirklich ins Erwachsensein«, sagt er. »Seitdem hat sich das rastlose Suchen nach mehr, das permanente Streben nach Perfektion sowie das Füllen des Moments mit Traurigkeit über das, was nicht da ist, gewandelt in absolute Dankbarkeit über das, was ist. Und damit einher kamen Gefühle des Zuhauseseins, des Verankertseins.« Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Retreats legten in der Zeit auch rituell ihre alten Namen ab und forschten nach neuen, passenderen. Ex-Andreas hatte die Praxis vieler nativer Kulturen, Namen an momentane Lebensabschnitte anzupassen, schon Jahre vorher fasziniert. »Ich mag meinen alten Namen und bin meinen Eltern dankbar dafür. Trotzdem habe ich gemerkt, dass es an der Zeit ist, mit dem ›Andreas‹ etwas Altes zurückzulassen. Jahrelang bin ich dem auf der Spur gewesen, was und wer ich bin. Wie ja auch aus dem alten Porträt hervorgeht, ist der harte, extreme Weg ein starker Teil meines Lebens, doch ich habe auch eine sehr, sehr sanfte und weiche Seite – etwas, das ich in der Vergangenheit oft unterdrückte. Bei diesem extremen Drei-Monats-Trip merkte ich, dass es an der Zeit ist, die sanfte Seite zu betonen. Der harte Teil in mir wollte es natürlich nicht, weil ›Dado‹ so weich klingt und auch in dieser Kultur so ungewöhnlich. Aber als ich im Kreis der anderen Retreat-Teilnehmer gesagt habe, dass ich jetzt Dado heiße und ich von ihnen als Dado willkommen geheißen wurde, da ist der Andreas einfach weggerutscht. Er ist zwar noch da, aber der Dado fühlt sich komplett ›organisch zu mir‹ an.« Erwachsen ist er jetzt also. Wie sieht es mit der Idee aus, ein zukünftiger »Ältester« zu werden? Dado weicht zunächst mit einem Scherz aus: »Ich habe deutlich mehr weiße Haare bekommen und merke, dass sich da etwas verändert.« Kurzes Lachen, dann wird er ernster: »In Wildniskursen für Kinder, aber auch in bestimmten Situationen in der Arbeit mit Erwachsenen, geschieht es wie von selbst, dass ich als jemand Älterer wahrgenommen werde – obwohl ich natürlich mit 43 noch kein Ältester bin. Das, was ich damals als Herzenswunsch äußerte, ist heute kein vorrangiges Ziel mehr in meinem Leben. Ich bin entspannt, denn die Dinge verändern sich automatisch in diese Richtung. Ich bin sicher: Sollte ich tatsächlich einmal das Stadium eines weißhaarigen Opas erreichen, werde ich die Ältestenrolle so gut ausfüllen, wie ich nur kann. Das Porträt aus ›KursKontakte‹ zeigt doch, dass ich mir Mühe gegeben habe, genügend Erfahrungen dafür zu sammeln. Mit der kriminellen Energie, die ich als Jugendlicher bewiesen habe, hätte ich auch das Zeug zum Bundeskanzler gehabt.« Nochmal Lachen, dann wieder ernster: »Beim Lesen habe ich mir vorgenommen: Wenn andere Menschen auf die schiefe Bahn geraten, will ich ihnen mit ebenso viel Liebe und Toleranz begegnen, wie sie damals meine Mutter ihrem durchgeknallten Sohn bewiesen hat. Leute mit negativen Tendenzen nicht zu verurteilen, immer offen für sie zu sein, ihnen immer Unterstützung anbieten, so, wie es meine Mama getan hat – diese Haltung aufrechtzuerhalten, wäre schon ein riesiger Schritt in Richtung Ältester.« Andreas-Dado ist ganz offensichtlich in einem ruhigeren Fahrwasser angekommen. Zuletzt vertraut er mir lachend an, dass jetzt ein neuer Lebensabschnitt als Spießer für ihn begänne: »Ich fahre mit dem Rasentrecker, baue den Gartensprenkler auf, lebe mit Frau und Familie in einem Haus – so spießig war ich noch nie. Aber ich freue mich drüber! Denn das ist eine Sache, die ich bislang noch nicht ausprobiert habe.«