Eine auf Transformation zielende Analyse des »Megamaschinen«-Systems sollte unbedingt auch eine Tiefengeschichte umfassen: Womit fing der ganze Schlamassel an, der uns an den Rand des ökologischen Kollaps gebracht hat? Wo etwa liegen die Anfänge von großflächiger Um- und Innenwelt-Zerstörung, von Sesshaftigkeit, Städte- und Ackerbau, staatlichen Herrschaftssystemen, Ausbeutungsdenken usw.? Warum konnten sich diese problematischen Phänomene mehr und mehr etablieren, wo die Menschheit doch jahrhunderttausendelang ganz gut (!) ohne sie ausgekommen war? James C. Scotts »Die Mühlen der Zivilisation – eine Tiefengeschichte der frühesten Staaten« bringt eine Menge Licht in diese Fragen. Das Buch untersucht die hochspannende (vor-)geschichtliche Phase zwischen den ersten landwirtschaftlichen Experimenten und der allmählichen Etablierung von Staaten – einer sozialen Organisationsform, die uns heute als etwas völlig Normales erscheint. Angenehmerweise nimmt der Autor dabei eine Position ein, die den landwirtschaftlichen und machtpolitischen – sprich: zivilisatorischen – »Fortschritt« eher kritisch beäugt. Scotts Sympathie gilt mehr den nicht-hierarchischen, nicht-sesshaften Völkern, die von der (staatlichen) Geschichtsschreibung als »Barbaren« bezeichnet wurden. Er zeigt aber auch auf, wie sehr diese Völker in ihrer ganzen Lebensweise bereits von der Existenz der frühen Staaten beeinflusst wurden. Unter den zahlreichen von Scott angesprochenen Themen haben es unter anderem die folgenden Fragen geschafft, meine Weltsicht nachhaltig zu verändern: Wer hat eigentlich wen domestiziert? Welche gesundheitlichen und psychischen Folgen hatte das enge, sesshafte Zusammenleben mit vielen anderen Menschen, Tieren und Pflanzen für den Menschen? Warum ist die Entstehung der Sozialform »Staat« ohne den Anbau von Getreide kaum vorstellbar? Wie denken Staatenlenker? Und wie denken nicht-staatliche Gesellschaften? Die frühen Staaten waren offenbar höchst fragile Gebilde und währten in der Regel nur kurze Zeit. Rebellionen gegen die Obrigkeit, Versalzung bzw. allgemeine Verarmung der Böden, Überschwemmungen, Dürren, kriegerische Einfälle durch andere Staaten und nicht zuletzt die in der Enge des neuen Zusammenlebens aufkommenden Epidemien waren geeignet, die Menschen eines Landstrichs umgehend in frühere – und nicht selten angenehmere – Lebensweisen und Umstände zurückzuwerfen. Das Mainstream-Narrativ zur neolithischen Revolution behauptete lange Zeit, dass die Menschheit es gar nicht erwarten konnte, endlich sesshaft werden zu können; mit der Domestizierung von Pflanzen sei dann die Voraussetzug für die ersehnte Sesshaftigkeit gegeben gewesen. James C. Scott weist allerdings darauf hin, dass gemäß der aktuellen Forschung zwischen der Domestizierung von Getreide und den ersten dauerhaften Siedlungen und staatlichen Experimenten ein riesiger Zeitraum von ungefähr vier Jahrtausenden klafft. Außerdem hätten die frühen Siedler und Bäuerinnen noch sehr lange Zeit aus gutem Grund auf eine gemischte Ernährungsstrategie gesetzt, die auch das altbewährte Jagen und Sammeln umfasste. Wer sich für die hier umrissenen Themen interessiert, wird von dem Buch sicherlich nicht enttäuscht werden. Der Rezensent der Neuen Zürcher Zeitung schreibt: »James C. Scott rüttelt mit Lust, aber fundiert an einem Narrativ, das Sesshaftigkeit als höchste Lebensform des Menschen versteht und Staatenbildung einhellig als Erfolgsgeschichte präsentiert.« Der Guardian findet: »So sollte Geschichte geschrieben werden!« Jochen Schilk
Die Mühlen der Zivilisation Eine Tiefengeschichte der frühesten Staaten. James C. Scott Suhrkamp, 2019 329 Seiten ISBN 978-3518587294 32,00 Euro