Titelthema

Commoning statt Aussterben

Warum wir die kleinen Beispiele des Gemeinschaffens auf den folgenden Seiten für bedeutsam ­halten – auch für die Frage nach dem Überleben.von Oya – Redaktion, erschienen in Ausgabe #56/2019
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Unser Titelbild zeigt ein Idyll: Vor der Großstadt liegt, eingefasst von einem Wall aus großen Strohballen, ein Gemüsegarten, in dem alle nach Herzenslust ernten, mithelfen, Spendenboxen befüllen und feiern können. Ein Commons, eine Allmende, deren Hüterin­nen und Hüter freundliche Einladungen in die Welt schicken, zum Beispiel: »Auf unserem Versuchsfeld in München-Freiham können Kartoffeln jederzeit selbst geerntet werden. Bitte die Grabegabel selbst mitbringen! Bezahlen kann man nichts, aber falls ihr Lust habt, freuen wir uns über Mithilfe vor Ort!«
Heute fehlt von den Kartoffeln, Salaten und Strohballen jede Spur. Der »Freiluftsupermarkt« existierte von 2015 bis 2017 als von lokalen Initiativen und Städtebauförderprogrammen ermöglichtes Projekt zur Zwischennutzung eines Baugebiets, initiiert und wesentlich mitgetragen vom Stadtplanungsbüro »bauchplan«. Auf dem Areal in München-Freiham entsteht derzeit eine Siedlung für 20 000 Menschen. Das Gemeinschaffen im Garten vor der Bauphase sollte die Verbindungen zwischen alteingesessenen und künftigen Anwohnerinnen und Anwohnern stärken.
Können »größere« Commons nur »künstlich« am Leben gehalten werden, wie hier mit Fördergeldern und einer Erlaubnis für temporäre Landnutzung? Die Ansicht, dass Commoning nur im Kleinen oder auf Nebenschauplätzen gelingen kann, ist trotz weltweit existierender Gegenbeispiele weit verbreitet. Schließlich ist der Aufwand groß, um dafür in einer auf Erwerbsarbeit und möglichst gewinnträchtige Verwertung jeglicher Ressourcen fixierten Gesellschaft die nötigen Freiräume zu schaffen. Auch die in dieser Ausgabe vorgestellten Beispiele aus der Lebenswirklichkeit unserer Leserinnen und Leser sind klein und verwirklichen nur Teilaspekte von Commoning. Sie müssen mit viel Kraft und Fantasie Bedingungen im Hier und Jetzt schaffen, damit Commoning möglich werden kann. Dabei hatten wir auch eine Reportage über ein großformatiges Projekt geplant, in dem jährlich Tausende Menschen auf der Basis von Freiwilligenarbeit und selbstgewählten Geldbeiträgen einen komplexen Seminarbetrieb aufrechterhalten. Die Verantwortlichen waren jedoch mit einer Berichterstattung nicht einverstanden. Wer weiß, vielleicht war das kein Unglück? Ständig auf die Größe bzw. die Möglichkeit der Übertragbarkeit oder Skalierbarkeit eines Pionierprojekts zu schielen, lenkt vom Eigentlichen ab. Es spielt keine Rolle, wieviele Menschen an einem Gemeinschaffensprozess beteiligt sind, um zu erkennen, dass dort etwas Bedeutsames passiert.
Warum wir uns nochmals mit Mustern beschäftigen
Mit dieser Ausgabe knüpfen wir an die vorige an, in der wir fragten: »Gemeinschaffen – wie geht das?« Das Buch »Frei, fair und lebendig« von Silke Helfrich und David Bollier stand dabei Pate für ein intensives Forschen nach »Mustern des Commonings«. Ein Muster ist ein Phänomen, das sich – in Variationen, aber doch wiedererkennbar – in gelingenden sozialen Prozessen zeigt. Alle, die über entsprechende Erfahrungen verfügen, wissen sofort, was gemeint ist, wenn etwa von Mustern wie »Ohne Zwänge beitragen«, »sich in Vielfalt gemeinsam ausrichten«, »Wissen großzügig weitergeben« oder »Konflikte beziehungswahrend bearbeiten« die Rede ist. Sie wissen auch, welche Wirklichkeit entsteht, wenn diese Muster sich entfalten können: Lebendigkeit, und zwar für die beteiligten Menschen ebenso wie für die sogenannten Ressourcen – nicht-menschliche Lebewesen, gebaute Umgebung, Traditionen, Wasser, Erde, Luft. Darum sind Muster des Commonings relevant. Sie benötigen kein anderes Argument als die Lebendigkeit selbst – und das sollte für eine Spezies, die nicht aussterben möchte, Grund genug sein, sich mit ihnen zu beschäftigen.
Warum wir uns also in einer Zeit, in der landauf, landab über die Folgen der unaufhaltsamen Erdüberhitzung und mögliche Rettungsstrategien für die Welt, wie wir sie heute kennen, debattiert wird, hingebungsvoll dem Vorstellen kleiner Commoning-Projekte widmen, hat einen guten Grund. In nicht vorhersehbaren Krisensituationen, in Zeiten von größter Ratlosigkeit und Verzweiflung sind vermutlich Menschen gefragt, denen das Gemeinschaffen in Fleisch und But übergegangen ist und die andere davon überzeugen können, dass die »andere Welt« (ja: jene, die Arundathi Roy »an ruhigen Tagen atmen hört«) möglich ist – dass es möglich ist, eine Krise anders zu bewältigen als durch den Kampf aller gegen alle und sich stattdessen friedlich in den Gegebenheiten einer kleinen Planetin einzurichten. Dafür brauchen wir Praxiserfahrung im Hier und Jetzt, mitten im Kollaps. Wir baten alle Schreibenden, der Frage nachzugehen: Wie verändert mich Commoning? So erzählen die Artikel auch von ganz persönlichen Forschungsprozessen. Der Blick aufs Innere hilft, die Bedeutung des Kleinen zu sehen.

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