von Geseko von Lüpke, erschienen in Ausgabe #56/2019
Alles redet vom Wald, der Deutschen angeblich liebstem Kind: Waldbaden als Wälzen im Herbstlaub scheint zum neuen Wellness-Trip zu werden, und zugleich geistern Meldungen vom neuen Waldsterben durch die Medien. Und nun – nach Wohlleben, Waldmythen und Wellness – noch ein Buch, das auf der grünen Welle reitet? Nein! »WaldZeit. Visionssuche in europäischer Tradition« von Ursula und David Seghezzi passt nicht zu diesem Modetrend. Es fordert auf, weit zurückzugehen in die Geschichte der Verbundenheit zwischen Mensch und Wald; es regt an, den Wald als Ort des dringend notwendigen Weltbildwandels zu erkennen; es deutet an, über Festmeter-Plantagen hinaus mit dem Wald als Organ der lebendigen Erde in Dialog zu treten und ihn als initiatorisches Feld zu begreifen. Ursula und David Seghezzi arbeiten seit Jahren in ihrem uma-Institut im Wendland und anderswo mit Menschen in Lebensübergängen und begleiten sie durch das, was sie »WaldZeit« nennen: zwölftägige Übergangsrituale, in deren Zentrum eine viertägige einsame und allverbundene Fastenzeit im Wald steht, in der sich die Initiantinnen und Initianten der Neuzeit ausrichten, ihr Potenzial bündeln und sich neu auf die Welt bringen. Seit gut 20 Jahren werden in Deutschland »Visionssuchen« in vielfältigen Variationen angeboten (visionssuche.net), das Buch »Vision Quest« von Sylvia Koch-Weser und mir galt während dieser Zeit als ein Grundlagenwerk. Nun wird auf höchstem Niveau nachgelegt: Ursula und David Seghezzi weiten diese Arbeit – die fälschlicherweise oft auf ihre indianische Wurzel reduziert wird – und erforschen präzise, wissend und achtsam die indigenen Traditionen der Übergangsrituale des vorchristlichen Europas. Mythen und besonders Märchen gelten ihnen als überzeugende Vorlage, um deutlich zu machen, dass Initiationen, Kreis-Philosophie und Naturmystik ein europäisches Kulturgut darstellen, auf das zurückgegriffen werden muss, wenn der rationale Reduktionismus der Moderne die Welt nicht weiter zerstören soll. Es ist das große Verdienst dieses Buchs, das uralte Ritual der Visionssuche in den Dienst des sehr politischen Weltbildwandels zu stellen und zur WaldZeit aufzurufen, in der Menschen sich rückverbinden, um dann mit voller Kraft die Welt zu verändern. Von Autor zu Autor(in): Großes Lob für diese zeitgemäß dringend nötige Weiterentwicklung!
WaldZeit Visionssuche in europäischer Tradition. Ursula und David Seghezzi van Eck Verlag, 2019 208 Seiten ISBN 978-3905881615 19,80 Euro