Titelthema

Haben nahe dem Sein

Geht es ums Eigentum oder um die Beziehungen zu dem, was Menschen nutzen?von Silke Helfrich, erschienen in Ausgabe #56/2019
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Eigentum ist ein Grundpfeiler der »modernen« Gesellschaft. Wo immer ein Streit ums Eigentum entflammt, sind die Totschlag­argumente nicht weit. Rasch wird die Angst vor Enteignung geschürt. Viel wird über verschiedene Formen des Eigentums gestritten, im Fokus die Frage: Ist Privateigentum besser als Gemein­eigentum oder umgekehrt? Ich lade dazu ein, grundsätzlich über dieses Phänomen nachzudenken.
Viele betrachten Eigentum heute wie ein Ding, als sei es ein »Etwas«. Zu diesem Etwas gehen wir eine rechtliche Beziehung ein, so dass es uns dann »gehört«: mein Fahrrad, mein Haus, mein Land, mein Vieh. Die Zeiten, in denen im rechtlichen Sinn Menschen anderen Menschen gehören konnten, sind vorbei – wobei immer noch moderne Formen von Sklaverei existieren.
Was rechtlich und politisch zählt, ist die Interpretation des Begriffs »gehören«. Was bedeutet es, dass Dinge, Land, Wissen oder Lebewesen Menschen gehören? Was bedeutet das für die Dinge, das Land, das Wissen und die Lebewesen selbst? Was bedeutet es für mich und für andere? Wie sollten wir die Antworten auf diese Fragen in Recht übersetzen? In der Diskussion um Eigentum werden solche Fragen gemieden. Zu allgegenwärtig ist das Gehören in einer Gesellschaft der Eigentümerinnen und Eigen­tümer; ihnen wird es überlassen, Entscheidungen über das zu treffen, was ihnen gehört. Selbiges hat in dieser Rechtsbeziehung keine Stimme, nicht das Vieh, nicht das Land. Ebensowenig wie das Fahrrad hat auch all das, woraus es geschöpft oder hergestellt ist, eine Stimme. Auch die von diesem Herstellen umittelbar Betroffenen bleiben weitgehend unsichtbar. Das Ausblenden all dieser Verbindungen und des »Betroffenseins« führt aber in jene Sackgasse, in der wir uns heute befinden und in der es, um mit Erich Fromm zu sprechen, ums Haben statt ums Sein geht.
Können wir – so möchte ich hier suchend fragen – Eigentum so denken, dass diese Verbindungen sichtbar und – vor allem! – gewürdigt und gehütet werden? Können wir so viel Sein wie möglich in neuen Formen des Habens bergen?
Die Etymologie des Worts »privat« ist dabei hilfreich: Es geht auf das lateinische Wort privare zurück, das »berauben« bedeutet. Eigentumsrechte ermöglichen es also, andere zu berauben, und zwar des Rechts, etwas zu benutzen, das jemand zu seinem Eigentum erklärt hat. Die moderne Gesellschaft basiert wesentlich auf dem Konzept, dass ein Individuum solche Rechte über Dinge erwerben kann. Eine Person kann damit über etwas verfügen, also auch Verträge mit anderen über dessen Verkauf oder Nutzung abzuschließen. Die Aussage: »Das ist mein Fahrrad; ich bin seine Eigentümerin«, lautet daher zutreffender und vollständiger: »Das ist mein Fahrrad, deswegen kann ich entscheiden, ob Sie es benutzen dürfen oder nicht.« Nur ich als Eigentümerin kann entscheiden, ob das Fahrrad verkauft, zerstört, verändert, mitbenutzt oder auf ewig in einer Garage geparkt werden darf. Selbstverständlich gibt es auch in unserer Eigentumsgesellschaft einige rechtlich festgelegte Regeln und Ausnahmen, die die Freiheit der Eigentümerin begrenzen. So sieht Artikel 14, Absatz 2 des Grundgesetzes vor: »Eigentum verpflichtet.« Und ein Bauplanungsrecht schränkt ein, wie Land genutzt und bebaut werden darf. Solche Schranken bedingen durchsetzungsfähige Institutionen. Ein Hebel für lebensbewahrende Bewirtschaftung – etwa in der Landwirtschaft – sind sie aber nicht.
In der Vorstellung, auf der unser Eigentumsrecht aufgebaut ist – der »absoluten Verfügungsgewalt« – steckt neben dem Herrschaftsanspruch über die Welt »da draußen« ein weiteres quasi unlösbares Problem: Es ist unmöglich, dass die Eigentumsrechte aller über die Dinge und das Leben (Pflanzen, Tiere, Boden etc.) gelten können. Konflikte über den Umfang der je eigenen Nutzungsansprüche und -rechte sind unvermeidlich. Die Frage ist, wie wir mit diesen Konflikten umgehen – und dies führt uns unmittelbar zur Eigentumsidee, zur Vorstellung davon, was es bedeutet, dass einem Menschen etwas gehört.

Eigentümliche Verdinglichungen
Eine Kartoffel oder ein Fahrrad können als Gegenstand betrachtet und zudem zum Objekt des Handels werden. Geschieht das, verwandeln wir sie in Waren, wobei ihr Wert »dingfest« gemacht wird. Absolute Verfügung, so wie unser Eigentumsrecht sie vorsieht, schließt Handelbarkeit »selbstverständlich« ein. Den Wert des Handelsguts setzen wir dabei einem Geldwert gleich. Es ist ein Drama in der herrschenden Ökonomie, dass Wert ausschließlich in Geld ausgedrückt wird. Wenn nämlich mehr Wert mehr Geld(vermögen) bedeutet, ist es unausweichlich, dass »Geld die Welt regiert«. Alle sind gezwungen, nach den Bedingungen der Kapitalgebenden zu handeln.
Das ist der Kontext, in dem uns Eigentum als ein »Etwas«, als Sache erscheint. Auch in unserem Rechtssystem wird es dem sogenannten Sachenrecht zugeschlagen. Nun wissen wir aber, dass etwas Gewachsenes oder Geschaffenes nicht einfach ein Ding ist. Bei genauerer Betrachtung erscheinen eine Kartoffel und ein Fahrrad – ob sie mir rechtlich gehören oder nicht – je nach Per­spektive grundverschieden. Sie können Geschichten erzählen, wirken als Erinnerungsspeicher, zeigen sich in immer wieder neuen Bedeutungen. Sofern ich den suchenden Blick auf solche Aspekte scharfstelle, werden die »Dinge« Kartoffel oder Fahrrad leben­dig, sie sind dann nicht von mir getrennt und abstrakt, sondern beweglich, fast beseelt. Wer eine Kartoffel als einen dem großen Haushalt (griechisch: oikos) entspringenden Ausdruck von Lebendigkeit wahrnimmt, sieht etwas völlig anderes als eine Person, für die vor allem die Gleichförmigkeit und Makellosigkeit der standardisierten Handelsware zählen. Wenn wir das Heranwachsen der Kartoffel beobachten konnten und die Beziehung zu ihr lebendig halten, freuen wir uns über ihre Formenvielfalt, erinnern uns an den erdigen Geruch während der Ernte und sind dankbar dafür, dass Menschen (oder Mäuse oder wer sonst noch hungert) sie essen können. »Wer das Geworden-Sein der Kartoffel wertschätzt, kommt nicht als erstes auf die Idee, sie ›zu mickrig‹, ›zu unförmig‹ oder ›zu teuer‹ zu finden«, resümierte Anja Marwege im Nachdenken über diesen Beitrag. Die Grenzen zwischen Menschlichem und Nicht-Menschlichem werden unschärfer.
Diese Grenzen können selbst in »westlichen« Gesellschaften kontextbezogene Kontakträume statt Trennlinien sein. Aus solchen Räumen heraus entstehen im aktiven Tun schließlich andere Ideen von Besitz und Eigentum. Die Wirtschaftsethnologin Sigrun Preissing berichtet aus ihrer Forschung davon, dass Dinge nicht nur Objekte sind, die sich von uns Subjekten klar trennen lassen. Den Dingen, die »uns gehören« oder die »wir besitzen«, haftet allerhand an: Sie verweisen auf eigene Tätigkeiten – eine Wand verputzt, ein Gefährt repariert oder einen Tisch hergestellt zu haben. Sie stiften Sinn und Identität, denn in ihnen steckt aufgebrachte Lebenszeit und damit ein Stück von uns selbst. Sigrun Preissing zitiert ein Mitglied eines alternativ-ökonomischen Projekts in Brandenburg: »Wenn ich mit der Hacke über den Acker laufe und jede Kartoffelpflanze pflege oder mich erinnere, wie sie gestern im Vergleich zu heute aussah, dann bin ich näher an ihr dran, als wenn ich mit dem Trecker drüberfahre. […] An der Kartoffel hängt der soziale Prozess zwischen den Leuten. Die Kartoffel ist Projektionsfläche«. Wer Gehören als Fürsorge- und Verantwortungsverhältnis versteht, meint somit auch die Sorge um uns selbst und unsere Lebensqualität.
Das Gehören entsteht auch im Kapitalismus dadurch, dass Menschen mit ihren Tätigkeiten Anteile ihrer selbst einbringen. Wenn das klar ist, dann ist »ein alleiniges Herrschaftsverhältnis über ein Objekt im Sinne des Eigentums nicht denkbar«, schreibt Sigrun Preissing. Sie erinnert an den Anthropologen James Woodburn, der in den 1980er Jahren das Besitzverständnis der !Kung in Südwestafrika beschrieb. Die egalitären Jäger- und Sammlergesellschaften der !Kung gelten Woodburn als »ungebunden an Eigentum«. Die von ihnen gemeinte Qualität des Gehörens zeigt sich in dem Wort »! gaik ’’au«: »Es bedeutet übersetzt ›assoziiert sein mit‹, ›involviert sein in‹ oder ›sich identifizieren mit‹ und drückt […] eine Beziehung aus und nicht ein Herrschaftsverhältnis von Menschen über ihre Mitwelt«, schreibt Preissing.
Indem Menschen Dinge als Gemeingüter ansehen und behandeln, verschieben sie die hierzulande üblichen Eigentumsvorstellungen. Wenn sie Kartoffeln und Maschinen teilen oder Ideen großzügig weitergeben, dann kommunizieren sie über Nutzungsmöglichkeiten, und dieser Prozess prägt ihre Formen des »Gehörens«. Außerdem prägen Raum und Zeit unsere Ideen von Eigentum. Wird etwa ein Nagel geschmiedet, dann ist das Verhältnis des Herstellenden zu diesem Nagel ein anderes als das Verhältnis desjenigen, der Nägel in atemberaubendem Tempo von Maschinen pressen, sofort verpacken und zum Großhandel transportieren lässt. Ein solcher Nagel enthält vor allem die Maschine und lässt kaum die dahinterstehenden Menschen fühlen. Wer Nägel pressen lässt – so darf vermutet werden – hat ein anderes Verhältnis zum Produkt als jene, die sie schmieden. Der Gewinn an Produktivität durch Automatisierung geht mit einem Verlust an Beziehungsintensität und an »Werkstolz«, wie Richard ­Sennet es in seinen Büchern über Handwerk ausdrückt, einher. Die Trennung zwischen Subjekt und Objekt wird immer radikaler vollzogen, wobei die entstandenen Objekte zu »eingefrorenen Tätigkeiten« erstarren, getrennt von denjenigen, die sie erzeugten. Um diese Trennung zurückzudrängen, können wir beispielsweise – wenn nicht herstellend – als Nutzende möglichst viel Zeit mit den Dingen verbringen: Wir können mit ihnen ­leben, statt sie im Sinn eines Herrschaftsverhältnisses zu »­haben«. Das verändert neben unseren Eigentumsvorstellungen auch unsere Vorstellungen von erfolgreichem Wirtschaften sowie die vorherrschenden Handelsbeziehungen: Wir kaufen weniger.
Der präzise Blick auf das vermeintlich dingliche Eigentum legt ein dichtes Netz vielfältiger Beziehungen frei, die in neuen Formen des Habens einen Ausdruck finden müssten. Im Beispiel des Fahrrads existiert das Beziehungsnetz zwischen Menschen, die das Metall für das Gefährt abbauten, zu jenen, die die Einzelteile produzierten, zum Hersteller und dem Einzelhandel, zur Person, der Sie das Fahrrad vielleicht ausleihen, zu Menschen, die auf der Straße Auto und Fahrrad fahren oder zu Fuß gehen und so weiter. Ein als »Eigentum« anerkannter Gegenstand unterhält aber nicht nur Sozialbeziehungen, sondern auch Beziehungen zum Ökosystem, zum nicht-menschlichen Leben und zu künf­tigen Generationen. Können wir uns »Arten des Habens« vorstellen, die diese vielfältigen Beziehungen aufgreifen und stärken? Es fordert heraus, dies inmitten einer kapitalistischen Wirtschaftsweise, die Marktbeziehungen immer in den Vordergrund stellt und auf das »Einfrieren« von Natur, Arbeit und Geld in Form von Waren ausgerichtet ist, zu denken. Das Rechtssystem zeichnet diese Dynamik aggressiv nach und stärkt die Logik, nach der aus viel immer mehr wird. Letztlich entsteht ein in sich geschlossener, sich selbst verstärkender Zyklus: Die politische und ökonomische Ordnung spiegelt sich im Recht. Und das Recht stärkt die politische und ökonomische Ordnung.

Unverkäuflichkeit, Gewohnheitsrecht und Besitz
Um diesen Teufelskreis aufzubrechen, lohnt ein kurzer historischer Exkurs, verbunden mit einem Blick in andere Kulturen. In Gesellschaften, die nicht marktwirtschaftlich orientiert sind, gibt es zahlreiche Beispiele für ein anderes Verständnis des Habens. Das römische Recht kannte das Prinzip der Nichtveräußerbarkeit. In den lateinischen Originaltexten ist die Rede von »Dingen, ­deren Verkauf verboten ist« oder »Dingen, mit denen kein Handel betrieben wird«. Theater, Straßen, Flüsse oder Wasserleitungen sollten sich nicht in derselben Weise aneignen und handeln lassen wie Brot und Butter. Der Gedanke der Nichtveräußerbarkeit schlägt dem modernen Eigentumsverständnis ein Schnippchen, da dieses sich wesentlich über die Möglichkeit des Verkaufens (und anderer Formen der Veräußerung) definiert. Was ich nicht veräußern kann, das kann ich zwar besitzen, aber es »gehört« mir nicht. Besitz entsteht dadurch, dass Menschen persönlich die Kontrolle über etwas bekommen, indem sie es (manchmal buchstäblich) »besitzen«, so wie ein Stück Land oder eine Mietwohnung. Wenn ich eine Wohnung nur besitze (weil ich sie gemietet habe), dann kann ich zwar die Zugangsrechte festlegen (ich habe den Schlüssel), kann sie aber nicht verkaufen. Der Besitz konzentriert sich auf die konkrete Nutzung, den Gebrauch, während Eigentümerschaft auf den Tauschwert ausgerichtet ist. Ums Besitzen kommen wir als Bewohnende dieser Erde nicht herum. Wir »sitzen« förmlich auf ihr, brauchen sie, um uns zu nähren und zu schützen. Doch Eigentümerschaft zieht andere Beziehungen zu den Dingen, den Menschen und zur Erde selbst nach sich als Besitz. Beide gleichen sich darin, dass sie klare Zugangs- und Nutzungsrechte vorsehen. Beide sind nicht für alle offen und nicht ohne Einschränkungen gemeinsam nutzbar. Doch Besitz konzentriert sich auf die Bedürfnisbefriedigung, während Eigentümerschaft der Konzentration von Macht, Herrschaft und Reichtum den Weg ebnet. Mit dem in der Commons-Debatte vielzitierten Ansatz »Besitz statt Eigentum« ist daher einiges erreicht. So kann, wer im rechtlichen Sinn etwas »nur« besitzt, damit nicht spekulieren, sondern es lediglich nutzen. In traditionellen Gesellschaften werden Nutzungsrechte häufig nicht per Gesetz, sondern durch lebendige Traditionen durchgesetzt.
Einem eindrucksvollen Beispiel bin ich anlässlich einer Reise ins Grasland von Kamerun auf die Spur gekommen. In ihrem Buch »Männern gehören die Felder. Frauen gehört die Ernte« zeichnet Miriam Goheen die (Land-)Eigentumsvorstellungen der Babungo nach, die ich besucht habe. Die Oberhäupter der Großfamilien bekommen das Land primär zugeteilt, beschreibt ­Goheen. Sie erhalten über den Fon das Recht, darüber zu »verfügen«. Der Fon, der traditionelle König, gilt als »Vater, der die Felder besitzt«. Damit scheint, oberflächlich betrachtet, die gesamte Entscheidungsmacht über das Land beim Fon zu liegen. Auf den ersten Blick wirkt das feudal. Doch die gesellschaftliche Funktion des Fons ist eine andere. Er steht zum Beispiel über verschiedene Rituale in Kontakt zu den Ahnen des Landes. Wenn Konflikte auftreten, »spricht« er mit den Vorbesitzenden des Landes. Diese, davon sind die Babungo überzeugt, wissen immer zu berichten, wer wann welches Land bewirtschaftet hat, und sind so direkt an der Konfliktschlichtung beteiligt. Die Idee, dass Land verkäuflich sei, ist den Babungo weitgehend fremd. Land wird gebraucht, um die Menschen zu ernähren. Das Entscheidende ist daher die Nutzung. Bei den Babungo bearbeiten die Frauen das Land. Auch ihnen »gehört« es nicht in dem Sinn, wie wir das aus Eigentümer­gesellschaften kennen, aber sie verfügen über die Ernte – und zwar unter einer Bedingung: »Die Zuteilung des Landes geht mit der Zusicherung permanenter Fruchtziehungsrechte einher, solange die Frauen weiter Lebensmittel produzieren« und sich, ihre Familie und die Gemeinschaft auf dem lokalen Markt versorgen, erklärt Goheen. Es sei im traditionellen Verständnis »undenkbar«, dass jemand kein Land zur (Subsistenz-)Bewirtschaftung erhält, schreibt die Anthropologin. Auch in unserem Rechtssystem gibt es noch Spuren dieser Praktik: »Usus fructus« hieß die Rechts­figur bei den alten Römern. »Nießbrauch« heißt es in Paragraf 1030 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Dieser Nießbrauch kommt dem Eigentum ohne Herrschaft gleich, weil die rechtliche Herrschaft über etwas sozusagen »aufgespalten« ist. Daraus entsteht ein nudus dominus, ein »nackter Herr«. Eine Sache nutzen und weitere »Früchte« daraus »ziehen« dürfen andere als diejenigen, die das Eigentum halten. Die häufigste Form des Nießbrauchs ist ein lebenslanges Recht, eine Wohnung oder ein Haus zu bewohnen und alle Nutzungen aus dem Grundstück zu ziehen.
Noch Anfang der 1990er Jahre wurden 85 Prozent des Landes in Westkamerun nach Gewohnheitsrecht geregelt. Seither hat sich, mit kräftigem Zutun internationaler Organisationen, einiges geändert. Die Einführung von gewinnträchtigen landwirtschaftlichen Kulturen, die nur für den Verkauf und nicht für den Eigenbedarf angebaut werden, wie Kaffee, bringt die Idee ins Spiel, dass Land verkäuflich – also eine Ware wie jede andere – sei.
Dass Habensverhältnisse sich nicht unbedingt aus dem staatlichen Recht ableiten, kann überall in der Welt beobachtet werden. So vollziehen Fischereigemeinschaften Rituale, um ihren Dank für die Rückkehr der Fische auszudrücken. Sie gehören ebenso zum nachhaltigen Fischfang wie die Schonzeiten und die Höchstmengen oder Mindestgrößen für das Fanggut. Die indonesischen Subak-Reisbäuerinnen und -bauern haben ausgefeilte, religiös unterlegte Regeln entwickelt, um zu koordinieren, wann bewässert und geerntet wird. Im Gewohnheitsrecht verankerte Praktiken schränken die Verfügung so ein, dass kein Zustand des »Alles gehört allen« oder »Alle nehmen nach Gutdünken« entsteht. Zudem geben sie den Menschen eine Möglichkeit, ihre existenziellen und affektiven Bindungen mitzuteilen – zu den Jahreszeiten, den Flüssen und Wäldern, dem Wild und den Fischgründen, die sie ernähren.
Mehr Nichtveräußerbarkeit, mehr Nießbrauch, verbunden mit Pflegnutzung, und mehr Bewusstsein für Rituale – könnte so der Beginn eines Forderungskatalogs lauten? Doch in welches übergreifende Eigentumsverständnis wäre dies eingebunden?

Beziehungshaftigkeit des Habens verankern
Gemeinsam mit David Bollier habe ich in unserem jüngsten Buch den Begriff des »beziehungshaften Habens« vorgeschlagen. Darunter verstehen wir eine Art und Weise der Nutzung, die von den Beteiligten situationsgebunden und flexibel entschieden werden kann. Nutzungsmöglichkeiten ändern sich zum Beispiel mit den Jahreszeiten. Was der Einen Ackerland, ist – im Herbst – die Trift für des Anderen Vieh. Wenn die vielfältigen Beziehungen, aus denen unser Haben gestrickt ist, gewürdigt werden, dann hat keine Gruppe und kein Individuum absolute rechtliche Kontrolle über gemeinsames Vermögen, und niemand hat die Entscheidungsmacht, es zu verkaufen. Dem Mechanismus, dass diejenigen mit mehr Geld auch mehr Einfluss und damit mehr Kontrolle über andere haben, ist Einhalt geboten. Dem modernen Eigentumsrecht hingegen ist dieser Fehler »eingeschrieben«.
Zukunftsfähige Rechtsformen des Habens müssen darauf ausgelegt sein, zu kooperieren, (für-)sorgend zu wirtschaften, gemeinsam zu nutzen, weiterzugeben oder zu teilen. Unsere Gedanken dazu haben David Bollier und ich aus gelingenden rechtlichen Regelungen des Habens abgeleitet – etwa dem Mietshäuser Syndikat in Deutschland, der Park Slope Food Coop in New York, die einen Supermarkt dem Markt entzieht, oder den eigentümlichen Regeln der traditionellen Matsutake-Pilzernte in Japan. All diese Beispiele zeigen recht komplex und verschachtelt anmutende rechtliche Regelungen. Das liegt auch daran, dass es derzeit keine geeigneten Rechtsformen für beziehungshaftes Haben gibt.
Auch im beziehungshaften Haben wird es weiterhin eine Verbindung zwischen »Eigentümerin« und »Eigentum« als Subjekt-Objekt-Beziehung geben. Sie steht jedoch nicht mehr im Zentrum. Vielmehr wird ein Rechtsrahmen hergestellt, der die Vielfalt der Beziehungen reflektieren und respektieren kann, ohne die Rechte und Möglichkeiten des Einzelnen auf Selbst­bestimmung aufzugeben. Soziale, rituelle Momente, wie bestän­dige Kulturen sie entwickeln, sollen einen Platz finden – ob wir Materielles nutzen oder uns geistig austauschen. Ein im Wortsinn grundsätzlich anderes »Habensrecht« könnte all das berücksichtigen, was aus dem modernen, liberalen Eigentumsverständnis verbannt wurde, indem es das Netzwerk des Lebendigen – das uns alle trägt, nährt und verbindet – in den Blick nimmt.


Silke Helfrich (52) ist uninstitutionalisierte Commons-Forscherin, Aktivistin und Autorin, die Spaß daran hat, Muster für eine freie, faire und lebendige Welt zu finden. Die Mitgründerin des Commons-Institut e. V. ist vielen Commons-Projekten und Netzwerken verbunden. www.commons.blog


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