Titelthema

Geht Commoning im Verein?

Mitglieder des Commons-­Instituts schildern die Herausforderungen beim pragmatischen Umgang mit dem Werkzeug »Verein«.
Photo
© commons-institut.org

Das Commons-Institut ist kein Ort, sondern eher ein Netzwerk. Seine Mitglieder sprechen gern von einem »nomadischen Institut«. Es ist immer gerade dort, wo Menschen, die sich zugehörig fühlen, etwas tun: Sie treffen sich zum internen Austausch, organisieren Veranstaltungen, werden zu Vorträgen eingeladen oder beteiligen sich an Forschungsprojekten. »Sich in Vielfalt gemeinsam ausrichten« ist für alle ein wichtiger Grundsatz. Für manche steht der wissenschaft­liche Austausch über Commons im Vordergrund oder auch die Frage, wie sich Praxis und Theorie verbinden lassen: Wie wird das Gemeinsame der sehr unterschiedlich scheinenden Commons verständlich und sichtbar? Wie kann ein Blick aufs Ganze bewahrt bleiben, wenn so viele, die sich fürs Gemeinschaffen engagieren, stark in ihre diversen Projekte von solidarischer Landwirtschaft bis hin zu freier Software eingebunden sind? Anderen geht es vor allem um persönliche Forschungsfragen: Wie können Lebenszusammenhänge entstehen, in denen nicht vor allem der ängstliche Gedanke dominiert, was finanziell möglich, sondern was für die Einzelnen wichtig ist?
Geboren wurde die Idee des Instituts im Jahr 2012 auf einem Nachtreffen der von Silke Helfrich organisierten Commons-Sommerschule aus dem Wunsch, einen Rahmen für kontinuierliche Zusammenarbeit zu schaffen. Im Februar 2014 wurde schließlich ein gemeinnütziger Verein für die Trägerschaft gegründet. Derzeit hat er 45 Mitglieder, wobei das mit ihm verbundene Netzwerk weitere Menschen umfasst, die nicht formell Mitglied sind.
»Commons« und »Institut« – wie passt das zusammen? Wenn es ums Erforschen des selbstorganisierten Zusammenwirkens geht, wäre es dann nicht konsequenter, ohne einen rechtlichen Rahmen, der feste Rollen, wie einen Vorstand, voraussetzt, zu agieren? Ein Verein erschien den Beteiligen jedoch als pragmatisch nützlich. Eine solche Organisation kann Spenden­bescheinigungen ausstellen, anderen Projekten bei Finanzierungen helfen und Kooperationspartner für andere formale Institutionen sein. Die Anforderungen, die aus der Vereinsform resultieren, versuchen die Mitglieder, so klein und unwichtig wie möglich zu halten, und sprechen deswegen lieber von einer »Unstitutionalisierung« als von »Institutionalisierung«.
Oya bat Mitglieder des Commons-Instituts um einen Austausch über ihr Selbstverständnis; Silke Helfrich moderierte den Dialog. Im Folgenden geben wir Ausschnitte davon wieder.

Silke  Was soll eurer Meinung nach mit der Bezeichnung »Institut« ausgedrückt werden? Klingt das nicht etwas förmlich?
Sarah  Ich finde das nicht schlecht. Wir spielen gewissermaßen das Spiel mit, das um uns herum gespielt wird – ein Spiel mit dieser Welt voller Schein, denn hinter dem Institut steckt in Wirklichkeit eher wenig Formalisiertes und Institutionalisiertes.
Horst  Für mich ist der Name eine Art Verpflichtung. Er wirkt als eine »Instanz« gegen die inflationäre oder missbräuchliche Verwendung von Begriffen wie »nachhaltig« und »bio«. Für Menschen, die sich über Commoning informieren, wird der Eindruck entstehen: »Da sind ein paar ernstzunehmende Instituts-Leute, die offenbar langfristig zusammen am Thema arbeiten und tragfähige, zueinander in Beziehung stehende Erkenntnisse entwickeln.« Es gibt Orientierung, wenn Begriffe klar gefasst werden. Taucht etwa eine krude Publikation zu Commons auf, veröffent­lichen wir ja auch gemeinsam erarbeitete Entgegnungen …
Silke  Mögt ihr erzählen, wie in solchen Fällen die Zusammenarbei organisiert wird und wie Entscheidungen getroffen werden?
Stefan  Wir treffen uns zweimal im Jahr und haben sonst eine differenzierte virtuelle Infrastruktur aufgebaut, mit deren Hilfe verschiedene Gruppen ihre Tätigkeiten koordinieren. Entschieden wird meist anhand einer Mailing-Liste der Aktiven. Alle, die sich zugehörig fühlen und rund um das Commons-Institut aktiv sind, können mitentscheiden. Meist schreibt jemand einen Antrag, der als angenommen gilt, wenn niemand innerhalb einer bestimmten Frist widerspricht. Bei Widerspruch wird diskutiert, um eine Lösung zu finden. Gibt es erheblichen Widerspruch, geht der Antrag nicht durch. Auch das ist nicht formal geregelt, sondern geschieht auf Vertrauensbasis.
Tilman  Kürzlich wollte ich einen Facebook-Account für das Commons-Institut eröffnen, um unsere Veranstaltungen dort zu verbreiten. Ich schickte meinen Vorschlag über den Mail-Verteiler; sechs Personen äußerten sich dazu, zwei hatten erhebliche Einwände. Es stellte sich die Frage, ob wir mit einer Facebook-Präsenz exklusive, ja sogar commons-feindliche Strukturen unterstützen – die Ansichten gingen auseinander, und ich denke, dass wir darüber beim nächsten Treffen nochmal sprechen werden.
Tomislav  Ich bin nur phasenweise im Institut präsent, daher melde ich mich nicht zu langfristigen Entscheidungen, sondern überlasse das bewusst den kontinuierlich Aktiven. Mir scheint, wir kommen gut zurecht – trotzdem fällt auf, dass es bisher keine formelle Vereinbarung zur Entscheidungsfindung gibt …
Sarah  … zumal die Entscheidungsfindung immer wieder herausfordernd ist. Da sich viele von uns nicht regelmäßig treffen und dadurch nicht viel Erfahrung im Umgang miteinander haben, ist sehr viel Feingefühl vonnöten, um herauszufinden, was wie entschieden werden sollte.
Silke  Gibt es im Commons-Institut bestimmte Rollen, die sich im Lauf der Zeit herausgebildet haben oder die im Vorfeld festgelegt wurden? Was ist eure jeweilige Rolle? Wie zufrieden seid ihr mit ihr?
Stefan  Einer unserer Gründungs-Slogans war »Aufgaben statt Posten«. Die Erledigung verschiedener Aufgaben soll immer wieder von anderen übernommen werden. Das ist leichter gesagt als getan. Ich bin in die Rolle »Website-Kümmerer« gerutscht, weil ich die dafür nötigen Kenntnisse habe. Zufrieden bin ich ­damit nicht. Generell beobachte ich, dass viele Menschen sehr wenig Zeit haben, weil sie mit anderen Anforderungen – Lohnarbeit an erster Stelle – schon sehr ausgelastet sind.
Sarah  Formal bin ich Teil des Vereinsvorstands, deshalb spüre ich schon so etwas wie eine Verpflichtung, mich um offizielle Dinge zu kümmern, damit wir keine Schwierigkeiten von außen bekommen. Es ist jedoch nicht so, dass ich die dafür anstehenden Aufgaben alleine umsetze. Ich suche mir Unterstützung, zum Beispiel bei der Steuererklärung.
Stefan  Die Anforderungen des Vereinsrechts werden wir nicht los. Was wir nur immer wieder tun können, ist, die Beziehungen zwischen den Aktiven des Commons-Instituts zu stärken, um der gefühlten Vereinzelung und Überforderung etwas entgegenzusetzen. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass ich mich in einer Überforderungssituation an Menschen wenden kann, die mit mir gemeinsam überlegen, wie ich eine übernommene Aufgabe ab­geben kann. Treffe ich so eine Entscheidung isoliert für mich, stellt sich leicht ein schlechtes Gewissen gegenüber den anderen ein; wird sie dagegen in Beziehung getroffen, fühle ich mich auch mit meiner Absage im Netz der anderen aufgehoben.
Silke  Manchmal werden in Vereinen die Vorstandsmitglieder als Autorität angesehen. Gilt das auch beim Commons-Institut?
Paul  Gerade ich als Person, die eher am Rand steht, kann eine gewisse Ehrfurcht vor der Arbeit des Vorstands nicht verleugnen, ohne dass ich jemals einen Druck in die Richtung erfahren hätte – schließlich spielt der Vorstand für die innere Dynamik des Commons-Instituts keine Rolle.
Horst  Mein Eindruck ist: Jede und jeder Aktive gehört dazu, ganz unabhängig davon, ob die Person Vereins- oder gar Vorstandsmitglied ist. Alle werden ernstgenommen und einbezogen.
Sarah  Das war immer der Grundgedanke – auf diese Art radikal offen zu sein und keine Vereinsmeierei zu entwickeln. Dennoch kommt bei mir manchmal der Gedanke hoch: »Und diese Person ist ja noch nicht mal Mitglied!« Dieses »Sich-Bekennen«, also Vereinsmitglied zu sein, kann in einer schwierigen Situation doch emotionale Bedeutung bekommen. Das gefällt mir nicht, aber so ist es bei mir von Anfang an gewesen. Dennoch sollten wir meiner Meinung nach weiterhin nicht auf einer Mitgliedschaft bestehen. Wichtig ist mir auch, dass es bei uns keinen festen monetären Mitgliedsbeitrag gibt. Alle definieren selbst, was sie einbringen – und das können auch nicht-monetäre Beiträge sein.
Silke  Zum Glück ist das Commons-Institut nicht in einem relevanten Maß von Spenden und Spendenbescheinigungen abhängig. Wie schnell eine solche Abhängigkeit bedrohlich werden kann, sehen wir bei Attac oder Campact. Die Aberkennung der Gemeinnützigkeit ist dann vor allem ein finanzielles Desaster.
Bleiben wir noch bei der Frage der Rechtsform: »Gemeinnütziger Verein« ist nicht ideal. Gibt es überhaupt so etwas wie eine ideale Rechtsform für das Commons-Institut?
Stefan  Ich glaube nicht. Aus eigenen Gründen brauchen wir gar keine Rechtsform, aber wir existieren im Kapitalismus und im nationalstaatlichen Rahmen mit seinen Kontrollanforderungen, denen auch wir in gewissem Maß nachkommen müssen, um handlungsfähig zu sein. Daraus entstehen freilich Konfliktfelder. Ich sehe vor allem zwei: Das erste betrifft unsere Wirkung nach außen. Wir haben entschieden, dass niemand für »das Commons-Institut« spricht, sondern alle, die öffentlich sprechen, es als Mitglied tun. Wir ­leben damit, dass dieser für uns wichtige, aber dennoch nur feine Unterschied in der Öffentlichkeit vermutlich nicht so klar wahrgenommen wird, weil die Menschen es gewohnt sind, dass jemand eine Organisation repräsentiert. Das zweite Feld betrifft die Geldlogik. Wir erhalten viele Anfragen, als Referentinnen und Referenten tätig zu sein, die meist auch ein Honorar einbringen. Hier gab es schon Streit, wer in welcher sozialen Situation wieviele Anfragen annehmen oder auch mal zurückstecken sollte. Nicht zuletzt ist das auch ein Gender-Thema: Männer melden sich bei Anfragen schneller und häufiger.
Tilman  Ja, wir müssen mit unseren unterschiedlichen finanziellen Hintergründen umgehen, daher regeln wir die An- und Abfahrtskosten zu unseren Treffen solidarisch. Fahrtkosten werden zum Beispiel nicht rechnerisch auf alle gleich verteilt, weil die finanzielle Last ja unterschiedlich wiegt. Stattdessen fragen wir uns, inwieweit wir andere mitfinanzieren bzw. wieviel wir gerne zurückerhalten würden. Dafür summieren wir alle angefallenen Fahrtkosten auf und teilen die Summe durch die anwesenden Personen, damit es einen Wert zur Orientierung gibt – wieviel dann jede Person gibt und nimmt, bleibt anonym und freiwillig; niemand wird verpflichtet. Freiwilligkeit ist eines der zentralen Prinzipien des Commoning.
Friederike  Mit dieser Praktik habe ich anfangs gefremdelt. Ich war es nicht gewohnt, dass es eine Pro-Kopf-Summe gibt für Fahrt- und Unterkunftskosten, an der ich mich dann doch innerlich orientieren muss – denn dafür ist sie ja da. Aus tauschlogikfreien Zusammenhängen kannte ich es anders. Auch bin ich es gewohnt, dass Lebensmittel gerettet statt gekauft werden, was die Kosten minimiert. Dazu gehört, dass man sich nicht in Tagungs-, sondern in Projektehäusern trifft, wo keine Kosten entstehen – das aber tut das Commons-Institut in der Regel auch.
Sarah  Für mich ist das Commons-Institut selbst ein Commons – auf unser Innenverhältnis bezogen – mit allen Widersprüchen, die in solchen Projekten insbesondere im aktuell eher feindlichen Umfeld des Kapitalismus auftreten. Um diese Widersprüche verringern zu können, ist für mich vor allem Zeit wichtig, Begegnung und offene Reflexion über das, was wir mitbringen, was wir ändern wollen und was wir für diese Veränderung an unterstützenden Bedingungen brauchen.


Bücher, Blogbeiträge, Termine rund um Commons
Auf www.commons-institut.org wird auch die ungekürzte Fassung dieses Gesprächs veröffentlicht.


Tilman W. Alder (Berlin) ist seit 2015 Mitglied im Commons-Institut. Bisher trat er nur bei wenigen Gelegenheiten in dessen Namen auf.
Horst Göllnitz (Halle) ist dem Institut seit 2016 verbunden.
Friederike Habermann (Greene) ist vor Kurzem hinzugestoßen und findet hier Bekannte, mit denen sie gerne Austausch pflegt.
Silke Helfrich (Neudenau) ist Mitgründerin des Commons-Instituts und Moderatorin dieses Gesprächs.
Paul Jerchel (Berlin) ist seit gut zwei Jahren »virtuell« dabei.
Tomislav Knaffl (Stuttgart) ist schon länger Mitglied, tritt aber nur selten öffentlich für das Commons-Institut auf.
Sarah Meretz (Bonn) ist Mitgründerin und gehört dem vierköpfigen offiziellen Vereinsvorstand an.
Stefan Meretz (Bonn) ist Mitgründer und bekannt als der gute Geist hinter der Website; er widmet sich kniffligen technischen wie theoretischen Fragen.

weitere Artikel aus Ausgabe #56

Photo
Permakulturvon Judit Bartel

Unwillkürlich permakulturell

In der letzten Ausgabe der Oya hatte ich Marcie Mayers Projekt zur Wiederentdeckung von Eicheln als Lebensmittel vorgestellt. Während meines Besuchs bei ihr hatte ich immer wieder den Gedanken: Das, was Marcie macht, ist doch genau Permakultur! Obwohl Marcie ihr Projekt nicht permakulturell

Photo
von Matthias Fellner

Der Sprung in gemeinschaftliche Lebensformen

Im Oktober waren Menschen aus ganz unterschiedlichen Orten nach Alfter bei Bonn gereist, um sich auf der »Wo lang?«-Konferenz über gemeinschaffendes Tun auszutauschen. Neben bekannten Persönlichkeiten wie Silke Helfrich und Andreas Weber konnte man dort auf Praktikerinnen aus

Photo
Die Kraft der Visionvon Naomi Oreskes

Warum Expertinnen und Experten die Erdüberhitzung unterschätzen …

Vor Kurzem kündigte der britische meteo­rologische Dienst »Met Office« eine Revision der vom »Hadley Centre for Climate Prediction and Research« erstellten historischen Analyse der Meeresoberflächen­temperaturen an. Es sei anzunehmen, dass die Ozeane sich

Ausgabe #56
Hüten statt haben

Cover OYA-Ausgabe 56
Neuigkeiten aus der Redaktion