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Das Land bespielen

Ein Musiker engagiert sich für enkeltaugliches Leben in der Gemeinde Kreischa zwischen Elbsandstein- und Erzgebirge.von Lara Mallien, erschienen in Ausgabe #57/2020
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© Christian Zimmermann

Für das Projekt »Enkeltaugliches Kreischa« wollten Frieder Zimmermann und sein Freund André Spindler Menschen aus allen Bereichen der ländlichen Gemeinde südlich von Dresden an einen Tisch bekommen. »Wie wollen wir morgen leben? Zukunftskonferenz der Generationen« lautete der Titel der Auftaktveranstaltung am 1. Juni 2019. Sie luden in Kindergärten und im Altersheim ein, im Gemeinderat, bei der Freiwilligen Feuerwehr, beim Modelleisenbahnverein und bei allen anderen Vereinen. Das hatte Erfolg, es kamen über 80 Alteingesessene wie Zugezogene.
Frieder Zimmermann, Musiker, Komponist und Tontechniker aus dem Dorf Quohren in der Gemeinde Kreischa wirkt auf den ersten Blick wie jemand, den eine skeptische Landbevölkerung in die Schublade »Ökospinner« einsortiert und bestenfalls ignoriert. Warum vertrauen ihm seine Nachbarinnen und Nachbarn?
Ein wesentlicher Faktor ist vermutlich die lange Zeit, die Frieder schon in Quohren wohnt. Er erzählt: »Ich bin gleich nach dem Abitur, das war 1991, aus Dresden an diesen Ort mit dem ungewöhnlichen Namen gezogen. Die slawische Bezeichnung ›Tworna‹ leitet sich vermutlich von der altslawischen Göttin ›Dvorane‹ ab, übersetzt: ›die Schaffende‹.« »Tworna« ist übrigens auch der Name eines Trios, mit dem Frieder und zwei Kolleginnen altes deutsches Liedgut zeitgemäß auf die Bühne bringen. »In Dresden studierte ich erst Musikwissenschaft und später Komposition, in Kreischa lebte ein Schulfreund von mir. Der war hier aufgewachsen, so dass ich über ihn viele ›Ureinwohner‹ kennenlernte – zum Beispiel den Steinbildhauer und Kunstschmied Peter Pechmann, der schon zu DDR-Zeiten in Quohren eine unfasslich schöne traditionelle Schmiede eingerichtet hatte. Für mich ist Peter nach wie vor die Seele des Dorfs. Einer seiner Söhne vermittelte mir meine erste Bleibe, wo ich mietfrei wohnen konnte, wenn ich das Haus renovierte.« Für einen mittellosen Studenten wie Frieder war das großartig. Er fühlte sich reich und willkommen – und schuf selbst einen gastfreundlichen Ort. »In den nächsten Jahren kamen immer wieder Menschen aus meinem beruflichen Umfeld und Freundeskreis zu Besuch. Einigen gefiel die Gegend so gut, dass sie auch herziehen wollten. Mit ihnen und weiteren jungen Zugezogenen kam bald auch ein Haufen Kinder ins Dorf. Früher galt Quohren als ein eher düsterer Ort, überdurchschnittlich viele Menschen haben sich hier in der Nachwendezeit das Leben genommen. Für mich war davon schon bald nichts mehr zu spüren.«
1992 hatten Peter Pechmann und Frieder die Idee, ein Dorffest zu organisieren. Peter stellte dafür seine Feldschmiede auf den Dorfplatz und ließ alle sein Handwerk ausprobieren; Frieder hatte mit ein paar Leuten ein Theaterstück einstudiert. Ansonsten war es ein schlichtes Fest mit Musik, Ausschank und Kinderprogramm – vielleicht wurde es gerade deshalb ein Erfolg. Das ›alte‹ und das ›neue‹ Quohren der jungen, gerade erst angekommen Leute fanden hier zusammen. Seitdem wird jedes Jahr ein Fest gefeiert, inzwischen vom Verein Quohrener Leben e. V. organisiert. Auch sonst gibt es ein vielfältiges Kulturprogramm im Ort, etwa Konzerte oder Märkte in einem ehemaligen Kuhstall, den ein in den späten 1990er Jahren zugezogener Arzt zum Ver­anstaltungsort ausgebaut hat.
Nach den Künstlerinnen und Künstlern sorgte eine große ­Klinik für weiteren Zuzug. Ein bayerischer Unternehmer kaufte ein ehemaliges Institut für Sportmedizin am Ortsrand von Kreischa und baute dort ein monumentales Rehabilitationszentrum. »Es sieht aus wie ein Ufo«, meint Frieder. »Für mich hatte dieses Projekt immer etwas Zweischneidiges. Die meisten, die dort arbeiten, pendeln täglich aus Dresden hierher; das erzeugt ein hohes Verkehrsaufkommen auf den Landstraßen. Die Bavaria-Klinik muss als Einrichtung des Gesundheitswesens keine Gewerbesteuern zahlen, und doch hat der Besitzer in der Gemeinde großen Einfluss. Den hat er allerdings auch schon positiv genutzt: Er hat zum Beispiel den Bau einer Autobahn durch das Tal verhindert.«

Landschaftsräume würdigen
Die Gemeinde Kreischa liegt in einem Tal unterhalb eines Höhenzugs, der den Übergang zwischen Erzgebirge und Elbsandsteingebirge markiert. »Peter Pechmann hat genau das einmal thematisiert und oben auf dem Berg eine Skulptur aufgestellt, die den Sandstein und den Schiefer des Erzgebirges verbindet«, erzählt Frieder. »Er nannte sie den ›Wächter‹. Zusammen mit einem Freund haben wir ihm damals geholfen, die Skulptur aufzustellen und später auch zu reparieren, nachdem die Kühe sie umgeworfen hatten. Unterdessen stehen auf dem Berg noch weitere Land-Art-Objekte, manche offensichtlich, andere versteckt. Es fühlt sich an, als würden sie das Tal bewachen.«
Das Land zu bespielen, ob mit Festen, mit Musik oder eben mit Land-Art, war Frieders Weg der Verwurzelung. Seine Arbeit führte ihn aber auch viel auf Reisen. Dann kam 2010 sein erster Sohn zur Welt, bald gefolgt von zwei Geschwistern. Schon 2001 war Frieder mit seinen Eltern in ein größeres Haus gezogen, später kam sein Bruder mit Familie dazu, schließlich seine Frau Tanja, und heute wohnen sie dort zu elft. Frieder erinnert sich: »Bevor die Kinder geboren wurden, hatte ich vor allem meine Karriere im Kopf. Aber dann fragte ich mich, wie ich denn hier vor Ort etwas zum guten Leben der Generationen beitragen könnte. Ich verstand, wie wichtig es ist, sich wirklich mit dem Boden zu verbinden und für diesen Ort, seine Erde und Landschaft verantwortlich zu sein.«
In Oya fand Frieder den Hinweis auf das Buch »Humus­revolution« von Ute Scheub und Stefan Schwarzer. Tanja schenkte es ihm, und seitdem wusste er, dass er ein Lebensthema gefunden hatte. 2019 hat er dieses auch zum ersten Mal künstlerisch in einem Hörspiel umgesetzt. Es trägt den Titel »Die Humusrevolution – ein Arbeitsstand«, weil es ständig weiterentwickelt wird. »Demnächst habe ich einen Interviewtermin mit einem älteren Gärtner«, erzählt Frieder. »Er kann wunderbar poetisch über seine Arbeit sprechen.« Außerdem wird er einen konventionellen Landwirt aus der Region besuchen, der auf einer Veranstaltung zu enkeltauglicher Landwirtschaft mit Ute Scheub in Kreischa kürzlich erstmals von holistischem Weidemanagement hörte und Interesse an diesem Ansatz entwickelte.
Diese Veranstaltung fand im Rahmen des Projekts »Enkeltaugliches Kreischa« statt. Mit dem Konzept bewarben sich die beiden Initiatoren beim Ideenwettbewerb »Miteinander reden« zu politischer Bildung und bekamen als eines von hundert geförderten Projekten den Zuschlag für eine anderthalbjährige Arbeit. »Wir wollten das revolutionäre Potenzial in den Orten wecken«, erzählt Frieder. »Bei der ersten Zukunftskonferenz zeigte sich, dass es auch vorhanden ist. Mit den 80 Teilnehmenden wurden auf großen Tafeln Ideen gesammelt, vom Verzicht auf Glyphosat im gesamten Gemeindegebiet bis hin zu Mitfahrbänken oder einem Kindergemeinderat. Tomaš Čornak, Bürgermeister der sorbischen Gemeinde Nebelschütz, hielt ein begeisterndes Impulsreferat. Im Anschluss wurde die französische Dokumentation ›Tomorrow‹ gezeigt und angeregt diskutiert. Alle waren euphorisch.« Die zweite Veranstaltung hingegen war ein Rückschlag. »Für das Folgetreffen waren André und ich nicht gut vorbereitet. Es entstand eine fruchtlose Diskussion, in der ein Besucher immer quergeschossen hat.« Statt großer Runden fanden in der Folge »runde Tische« statt, um die angedachten Ideen in die Tat umzusetzen. Monatlich kommen dort etwa 20 Menschen aus allen Bevölkerungsschichten zusammen, und einiges hat sich schon daraus entwickelt. Am konkretesten ist die Gründung einer Verbrauchergenossenschaft für Biolebensmittel aus der Region.
»Schön, dass es jetzt so eine Art außerparlamentarischer Opposition in Kreischa gibt – und konkrete Projekte, die Hoffnung geben«, sagte kürzlich jemand.
Frieder ist gespannt darauf, wie es nun weitergeht. Zum ersten Mal hat er sich außerhalb seines angestammten Bereichs von Kunst und Kultur in die Gestaltung seines Heimattals vorgewagt: »Das fühlt sich sehr bodenständig an – und genau richtig.«


Wege nach Kreischa
friederzimmermann.de
tworna.de
zukunft-kreischa.de

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