Herbert Rehle-Reichs Sanierungskünste verhelfen alten Gebäuden zu einer längeren Nutzungsdauer. Menschliche Wohnbedürfnisse kommen dabei in Einklang mit den Gegebenheiten des Hauses.von Saskia Kaffenberger, erschienen in Ausgabe #58/2020
Herbert Rehle-Reich lernte ich kennen, als ich im Mai 2018 mit der Wanderuni zum Bau-Camp in Sulzbrunn ankam. Der gelernte Schreiner übernahm die Planung des Camps. Es war schön zu sehen, wie wir mit einfachen Mitteln die »Villa damai«, wie das Haus heißt, wieder herrichten und auch an die zukünftige Verwendung anpassen konnten. Es sollte für das »Project Peace« – ein Bildungs- und Entwicklungsjahr für junge Menschen mit Fokus auf Frieden, Ökologie und Kulturwandel – nutzbar gemacht werden. Ich war beeindruckt davon, wie unkompliziert und kleinteilig so eine Sanierung vonstattengehen kann. Unter Herberts Anleitung waren wir vierzehn Teilnehmenden des Bau-Camps bald dazu in der Lage, eigenständig Wände mit Lehm zu verputzen und eine Decke mit Holz zu verkleiden. Wir konnten lernen, wie Dämmung an einem Dachstück angebracht und wie ein Holzboden verlegt wird. Schnell entstand zwischen Flur und Dachgeschoss ein Durchbruch, der Raum für ein Treppenhaus bot. Herbert konnte uns immer sagen, wo wir anzupacken hatten. Jetzt habe ich Herbert wieder angerufen, um mit ihm darüber zu sprechen, wie er eigentlich dazu kam, Häuser zu sanieren, und was es dabei vor allem zu beachten gilt. Er freute sich über die Fragen und sprudelte gleich los: »Ich habe mehr durch die Praxis beim Sanieren von zwei eigenen Häusern gelernt als durch Theorie. Theoretisch kann es sein, dass auf der Hand liegende Lösungen erst einmal nicht zulässig erscheinen. Beispielsweise können nach den aktuellen statischen Erfordernissen zum Beispiel wesentlich stärkere Balken vorgeschrieben sein, als diejenigen, die das Haus seit langer Zeit getragen haben.«
Der Charme alter Häuser Alten Häusern ist Herbert schon seit seiner Kindheit verfallen. Er wuchs auf einem alten Bauernhof auf, wo es immer etwas zu tun und zu reparieren gab. Früh erkannte er sein handwerkliches Talent, das er pflegte. Mit der Zeit eignete er sich immer weitere Fähigkeiten und Fertigkeiten an. In der Folge übernahm er in der Familie und auch im Dorf entsprechende Aufgaben. Nachdem er gemeinsam mit seinem Bruder ein von diesem erworbenes altes Gehöft hergerichtet hatte, erhielt er immer mehr Sanierungsanfragen für in die Jahre gekommene Häuser aus dem Bekanntenkreis. Die Gemäuer alter Häuser sind vom Leben der Menschen, die dort gewohnt haben, ebenso geprägt wie vom Wind, vom Regen und dem Boden eines bestimmten Bauplatzes. »Das hat einen gewachsenen und gemütlichen Charme«, schwärmt Herbert. »Durch kleine Sanierungen und an die Bedürfnisse der Bewohner angepasste Umbauten lässt sich oft noch für einige Jahre oder gar Jahrzehnte eine gute Wohnqualität herstellen. Selbst wenn doch neu gebaut werden muss, stecken in einem älteren Haus viele Ressourcen, die sich wiederverwenden lassen.« Zum Beispiel Balken, die womöglich bereits 200 Jahre lang ein anderes Haus mitgetragen haben. In alten Häusern lässt sich auch oft beobachten, dass bestimmte Materialeigenschaften bewusst einbezogen wurden, etwa die Wuchsrichtung des Holzes. Herbert fühlt sich an die Ansätze der Pädagogik von Rebeca und Mauricio Wild erinnert, sich nicht an Standards zu orientieren, sondern Lösungen zu finden, die dem Leben entsprechen. Demnach gilt es, sich selbst eine sorgsam bereitete Umgebung zu schaffen, die auch nach und nach mitwachsen oder sich verändern kann.
Die eigenen Werte prüfen Was ist für Herbert wichtig, wenn er Menschen berät, die ihr Haus sanieren wollen? Er nennt ganz konkrete Fragen: Wie können meine Bedürfnisse mit den Gegebenheiten des Hauses in Einklang gebracht werden? Was brauche ich, und wie kann ich es umsetzen? Zahlt es sich aus, das komplette Haus gründlich zu dämmen? Brauche ich im Winter die Möglichkeit, dass alle Räume mollig warm beheizt werden können – oder genügt es, wenn die Wärme des Kachelofens vor allem für einen Wohnraum genutzt wird? Kritiker der Gebäudesanierung führten Herbert zufolge immer wieder die Hellhörigkeit der Räume an. Zwar sind die akustischen Dämmwerte von Neubauten nicht zu erreichen, ihn persönlich stört das jedoch nicht weiter, sondern er erkennt Geräusche als eine Chance, mit seinen Mitmenschen in Beziehung zu sein.
Arbeiten mit dem, was da ist Wie kann das, was bereits vorhanden ist, gut genutzt werden? Herbert hat auf dem Bauernhof schon von klein auf eine ressourcensensible Arbeitsweise miterlebt. Wie lässt sich etwas womöglich weiter nutzen? Wie kann es gegebenenfalls auf andere Weise verwendet werden? Wofür ist es noch gut? Alles wurde betrachtet und darauf überprüft, ob es sich noch für etwas verwenden ließ oder wie es wieder verwendbar gemacht werden konnte. Das lässt sich auch an dem in alten Häusern verwendeten Material erkennen. Holz, Lehm, Sand und Steine wurden aus der näheren Umgebung zusammengetragen. Gebäude wurden bewusst in die Umgebung eingebettet und so gebaut, dass die Menschen es sich leisten konnten. An vielen Stellen gab es kleine Steinbrüche, Lehmgruben; das Holz kam aus dem nahegelegenen Wald. Herbert schildert, welche Ressourcen in einem Haus stecken. Er führt mir vor Augen, welchen Weg das Material für ein Haus zurückgelegt hat und welche Energie für die Gewinnung aufgewendet werden musste. Zement hat einen deutlich höheren Energieverbrauch bei der Herstellung als etwa Kalk. Früher wurden meistens gesunde Naturmaterialien verwendet, die ein angenehmes Raumklima erzeugen. Auch Bedenken bezüglich der Wärmedämmung kann Herbert aus eigener Erfahrung ausräumen: Alte Kastenfenster sind oft so gut, dass sie gar nicht ausgetauscht werden müssen. Der leichte Zug am Fensterrahmen dient als natürliche Belüftung und kann Schimmelbefall vorbeugen. Dieser Effekt muss in Neubauten häufig durch eine extra eingebaute Belüftungsanlage hergestellt werden. Wichtig ist, darauf zu achten, dass auf den großen Außenwänden nicht zu viel Wärme verlorengeht und dass die Dachböden gedämmt werden. Aus der Erfahrung von der Betreuung dreier alter Häuser berichtet Herbert, dass deren Energieverbrauch erstaunlich gering ist. Im Sommer will Herbert weiter an einem Haus aus den 1960er Jahren arbeiten. Die erste Hälfte ist schon umgebaut, jetzt folgt noch die zweite Hälfte mit dem Dämmen der Fassade. In der Gemeinschaft Sulzbrunn will er die Sanierung einiger Bäder angehen. Besonders freut er sich auch auf das Dämmen alter Eingangstüren, da sich bereits durch das Anbringen einer Gummilippe auf der Innenseite des Türblatts und dem Austausch der Glaseinsätze ein deutlicher Unterschied erzielen lässt und so auch alte Türen erhalten werde n können. So findet Herbert immer wieder Wege, Vorhandenes durch kleine Kniffe neu zu denken.
Saskia Kaffenberger (25) erforscht kollektive Gestaltungsprozesse und das Öffnen von Lernräumen zwischen selbstorganisierten Projekten und dem Studium der Visuellen Kommunikation in Kassel.