Ein Gespräch zwischen den Generationen: Oya-Herausgeber Johannes Heimrath lernte von drei jungen Leuten, Hanna Poddig, Benjamin Brockhaus und Benjamin Kafka, etwas über die Entwicklung ihrer Strategien, die Welt zu verändern.von Johannes Heimrath, Benjamin Brockhaus, Benjamin Kafka, Hanna Poddig, erschienen in Ausgabe #7/2011
Johannes Heimrath Heute dürfen wir die Räume des Café Fincan für unser Gespräch nutzen. Das ist mehr als ein Café, hier geht es um Fairen Handel und lebendige Stadtkultur. In diesen Räumen wird bestimmt viel über den Wandel urbaner Räume nachgedacht. Der gesellschaftliche Wandel ist auch Thema unseres Gesprächs – die Strategien, die wir entwickeln, um ihn wirkungsvoll mitzugestalten. Ich weiß von euch, dass ihr zu den jungen Menschen gehört, die gern Verantwortung übernehmen, und dass ihr euch immer wieder in Aktionen stürzt. Ich bin gespannt, mehr zu erfahren. Hanna Poddig Ich war schon als Jugendliche bei Aktionen gegen Atomenergie, Autobahnen oder Müllverbrennungsanlagen sehr aktiv. Meine Eltern sind klassische »Öko-Eltern«, die früher bei den Grünen waren und irgendwann ausgetreten sind, weil sie deren Kurs zu Atomkraft und Kriegspolitik nicht mehr mittragen konnten. In diesem Feld habe ich meinen eigenen Weg gesucht. Mit siebzehn Jahren bin ich zu Robin Wood gekommen und habe da viel gelernt. Meine ganze freie Zeit habe ich mit Aktionen verbracht. Wir haben zum Beispiel in der Lausitz Bäume besetzt, als dort ein ganzer Ort und eine wunderschöne Gegend wegen der Braunkohlegewinnung weggebaggert werden sollte. Durch mein freiwilliges ökologisches Jahr nach dem Abitur bin ich mit vielen weiteren Themen in Berührung gekommen, habe zum Beispiel zu Tropenwald und Verkehr gearbeitet, immer nach dem Motto »machen, statt appellieren«. Später habe ich mich sehr für Friedenspolitik interessiert. So kam es dazu, dass ich mich 2008 an die Schienen gekettet habe und auf diese Weise einen Transportzug der Bundeswehr für ein paar Stunden aufhalten konnte. Jetzt laufen deswegen Prozesse, und so ärgerlich das auch ist, ich kann sie wieder für neue Aktionen nutzen. Die Prozesse finden in Husum, Flensburg und Schleswig statt, deshalb bin ich viel in Schleswig-Holstein bei verschiedenen Friedensgruppen unterwegs. Ich habe Spaß daran, mit immer neuen Leuten Sachen zu probieren, Straßentheater zu spielen oder einen Pressearbeits-Workshop zu machen. Im Moment motiviert es mich sehr, wenn ich etwas vermitteln kann. Wenn ich drei neuen Leuten zeige, wie man Straßentheater organisieren und spielen kann, begeistert mich das mehr als eine Großdemo. JH Du hast ein Buch über dein Leben als Aktivistin geschrieben. HP Ja, das ist nicht so wichtig. Es ist im weitesten Sinn ein Aktionstagebuch. Es hat den Titel »Radikal mutig«, wobei Mutigsein für mich nicht unbedingt heißt, spektakuläre Dinge zu tun, wie sich an Schienen anzuketten. Mut ist eine ganz individuelle Frage. Für manche kostet es viel mehr Mut, am Infostand mit Leuten zu diskutieren oder ein Flugblatt zu schreiben. Benjamin Kafka Ich bin auch sehr von meinem Elternhaus geprägt. Mein Vater, Peter Kafka, war Astrophysiker und in der Anti-Atom-Bewegung aktiv. Er hat sich grundsätzliche Gedanken darüber gemacht, wie in unserer Welt Altes und Neues zusammenpasst – oder eben nicht zusammenpasst –, was die Voraussetzungen dafür sind, dass in unserer Welt lebensfähige Gestalten entstehen. Er hat darüber auch publiziert. Meine Mutter ist in Simbabwe geboren. Sie ist in einem rassistischen Umfeld aufgewachsen, hat sich aber sehr kritisch mit diesem Hintergrund auseinandergesetzt. Durch sie war mir die Frage nach den Ungerechtigkeiten in der Welt insgesamt immer sehr nah. Auch im Studium habe ich mich mit den Ursachen der ungerechten Weltwirtschaft beschäftigt. Ich wollte verstehen, wie es dazu kommt, dass ein so großer Teil der Menschheit in derart schwierigen Verhältnissen lebt. HP Was hast du studiert? BK Ich habe Politikwissenschaft, Ethnologie und Volkswirtschaft studiert und dann meinen Abschluss in Entwicklungsökonomie gemacht. Dabei habe ich mich sehr viel mit den Themen Macht und Partizipation beschäftigt, zum Beispiel mit der Frage, wie sich Kleinbauern in einem Weltwirtschaftssystem überhaupt behaupten können, wie sie sich zu Kooperativen zusammenschließen können und wie ein Weltwirtschaftssystem gestaltet sein müsste, damit die Leute, die zum Beispiel unseren Kaffee produzieren, davon leben können. Nach dem Studium habe ich in der klassischen Entwicklungshilfe gearbeitet, ich war zum Beispiel zwei Jahre in Bosnien-Herzegovina in einem Projekt, das Flüchtlinge wieder in Dorfgemeinschaften und lokale Wirtschaftskreisläufe integriert hat. Später war ich in Burkina Faso, wo es darum ging, Kleinbauern aus der Subsistenzlandwirtschaft zur Integration in den Weltmarkt zu verhelfen. Das war ein zweischneidiges Projekt, bei dem mir sehr deutlich geworden ist, dass vieles in der Entwicklungsarbeit allzu sehr auf unser auf Wirtschaftswachstum fokussiertes Denken zielt. Zurück aus Burkina Faso, war mir deshalb klar, dass ich etwas jenseits der Logik dieser Leitidee tun muss. So habe ich mit Freunden aus Berlin und Greifswald den Verein »Impuls – Agentur für angewandte Utopien« gegründet. Wir wollen mit dieser Agentur gute Ideen finden und Plätze, an denen sie sich realisieren lassen, also der Utopie, die zunächst keinen Ort hat, einen konkreten Ort geben. Es gibt uns seit September 2010, manche von uns studieren noch, andere arbeiten, und drei von uns machen das hauptamtlich. Benjamin Brockhaus Auch ich habe ganz viel von meinen Eltern mitbekommen. Sie haben mir immer gezeigt, dass man gegen einen Missstand etwas tun kann. Sehr geprägt hat mich eine internationale Jugendkonferenz, bei der ich mit 15 Jahren erlebt habe, was passieren kann, wenn 250 junge Leute aus allen Ländern der Welt sich mit wichtigen Themen beschäftigen und versuchen, Gedanken in Aktionen umzuwandeln. Bis ich zwanzig war, war ich immer wieder auf Jugendkonferenzen, damals in erster Linie von der Kirche organisiert. Irgendwann dachte ich dann: Wir reden hier ganz viel, aber passiert im Anschluss wirklich etwas? Nach der Schule habe ich Elektroniker gelernt. Mein Zivildienst brachte mich als Ranger in den Nationalpark Wattenmeer. An der Küste war ich jeden Tag draußen, habe nur Vögel, Dünen, Strand und ganz viel Natur erlebt, und damit auch hautnah einige Folgen des Klimawandels. Das brachte mich dazu, Ökosystemmanagement zu studieren. Doch zum Verhältnis Mensch-Umwelt hat mir die Uni viel zu wenig gegeben. Was ich gesucht habe, fand ich plötzlich in einem Buch, das mir mein Vater als Lektüre empfohlen hatte: Jakob von Uexkülls »Das sind wir unseren Kindern schuldig«. Ich saß im Zug und las, und mich packte plötzlich eine unglaubliche Wut: Was machen wir Menschen mit der Welt? Ich habe meine Jugendkonferenz-Netzwerke aktiviert, wir haben das »Youth Future Project« gegründet und im September 2010 eine Jugendkonferenz beim Treffen der alternativen Nobelpreisträger in Bonn organisiert. Es kamen 120 junge Leute aus 16 Nationen, die gemeinsam mit den Preisträgern den gesellschaftlichen Kurswechsel erreichen wollen. HP Ich finde spannend, dass du erzählst, die Jugendkonferenzen seien dir früher zuviel Gerede gewesen, und du jetzt aber wieder etwas Ähnliches machst. Was ist denn jetzt anders? BB Wir versuchen das auf zwei Ebenen: Zum einen bringen wir Jugendliche an einen Tisch mit den alternativen Nobelpreisträgern. Die Begegnung mit wahren Vorbildern kann so motivierend sein, dass die Jugendlichen danach selbst beginnen, sich aktiv einzusetzen. Zum anderen legen wir unsere Konferenzen methodisch so an, dass deren Ergebnis nicht nur ein Manifest ist, sondern konkrete Projekte entstehen, die zum Teil direkt auf der Konferenz beginnen und danach im Netzwerk der Konferenzteilnehmer wachsen können. Im Jahr 2012 wollen wir auf einer großen Jugendkonferenz in Heidelberg Friedensnobelpreisträger, alternative Nobelpreisträger und 200 junge Leute zu einem Projektinitiationstreffen zum Thema »Gesellschaft aktiv gestalten« zusammenbringen. Zugleich frage ich mich, was mir wichtiger ist: Soviele Menschen wie möglich durch Bildungsarbeit zu aktivieren oder selber ganz lokal etwas von dem, worüber wir die ganze Zeit reden, wie Subsistenzwirtschaft, Permakultur, Gemeinschaft, Regionalökonomie, einfach anzufangen. Ich suche nach Wegen, beides zu verbinden. Auch hier sind Begegnungen der Schlüssel, glaube ich. JH Mich bewegt, dass ihr alle drei von euren Eltern als wichtige Ressourcen gesprochen habt. Jetzt denkt ihr selber darüber nach, welche Welt ihr euren noch nicht geborenen Kindern hinterlasst. Gibt es von eurer Seite einen Vorwurf an unsere Generation? HP Ich mache niemandem einen Pauschalvorwurf, sondern suche nach Ursachen und nach Verantwortlichen. Die Auseinandersetzung mit den Eltern ist nicht unbedingt einfacher geworden. In meinem Umfeld gibt es viele Leute, deren Eltern sehr ökologisch orientiert sind, aber zum Beispiel sagen: »Du kriegst doch gesundes Essen, wir fahren mit dem Fahrrad zum Bioladen, und du kannst beim Naturschutzverein mitmachen. Warum musst du dann protestieren und illegale Sachen machen?« Da hat man es unter Umständen noch schwerer als mit konservativen Eltern. BK Ich finde die Frage, was die ältere Generation falsch gemacht hat, gar nicht so interessant. Für mich ist die Aufgabe eher, herauszufinden, wer ich selbst bin, was ich selbst anders machen kann. Der Ausgangspunkt für diese Frage ist für mich die Einsicht, dass wir alle Teil eines Systems sind, in dem bestimmte Verhaltensweisen so üblich sind, dass wir sie nicht mehr hinterfragen. Es ist völlig normal, dass wir überallhin mit Autos fahren, die Straßen sind von Autos geradezu besetzt, und keiner wundert sich darüber. Erst wenn wir anfangen, das Normale nicht mehr als normal zu akzeptieren, entstehen neue Perspektiven. HP Politisch widerständig zu arbeiten und gleichzeitig positive Alternativen zu entwickeln, lässt sich, glaube ich, verknüpfen. Mir fallen gerade Orte ein, wie diese Projektwerkstätten, die vor allem Mitte der 90er Jahre von der Jugendumweltbewegung gegründet wurden. Das waren Leute, die keine feste Vereinsstruktur wollten, sondern eine Infrastruktur, die offen ist und möglichst vielen Leuten Teilhabe ermöglicht. Jeder kann kommen und von dort aus eine Kampagne oder ein sonstiges Projekt organisieren. Viele der Projektwerkstätten sind weggebrochen, weil deren Betreiber irgendwann zu Ende studiert hatten, Kinder bekamen und unter einem unglaublichen Zwang standen, etwas »Ordentliches«, etwas »Anständiges« als Beruf zu ergreifen. Wenn sich mal jeder seine wirtschaftliche Nische eingerichtet hat, versandet alles. Ich kann es kaum fassen, wieviel kreatives Potenzial in völlig bescheuerte Dinge fließt, nur weil man damit Geld verdienen kann, zum Beispiel in die Werbung. Da denke ich oft, was für coole Menschen haben da die coolsten Ideen – aber warum werden sie so bescheuert eingesetzt? Sie könnten ihr Potenzial doch nutzen für eine schönere Welt, für Lebensqualität, für neue Lebensmodelle … JH … eine schönere Welt – ist das ein bestimmtes Gefühl, das ihr mit dieser Idee verbindet? Oder ist das eine Utopie, die man konkret benennen kann? BK Nein, das ist kein Gefühl, es ist eher ein Wissen. Das Wissen, dass es anders geht und auch schon an ganz vielen Orten passiert. Wir müssen es nur weitertragen. JH Aber die Orte gab es auch schon, als ich so alt war wie ihr, und auf der Welt sieht es immer noch nicht wesentlich anders aus. Hanna hat noch immer Grund, Widerstand zu leisten. BK Seit wir mit »Impuls« angefangen haben, höre ich jede Woche von einer anderen Gruppe, die etwas unternimmt, das genau zu unseren Ideen passt. Dann entsteht in mir immer ein Gefühl von Dankbarkeit dafür, Teil eines größeren Geschehens zu sein, in einer Zeit zu leben, in der sehr viel passiert. Ich stelle mir vor, dass irgendwann das Fass zum Überlaufen kommt, wenn wir gemeinsam mit Vision und Realitätssinn an unseren Utopien arbeiten. HP Da bin ich nicht so optimistisch. Gerade in der letzten Zeit stoße ich immer mehr auf krasse Widersprüche. Beim Trampen erzählen mir manche Leute begeistert: Ja, ich trenne auch meinen Müll, und ich habe nicht mehr so viele Glühbirnen wie früher im Haus. Das ist ja nett, aber wenn sie sich dadurch nur ein besseres Gewissen verschaffen, ist solch gesteigertes Ökobewusstsein vielleich sogar ein Schritt zurück, es stabilisiert nur das System. BB Wir müssen viel grundlegender etwas in den Köpfen verändern; da bin ich deiner Meinung. Ich glaube, dass Begegnungen ganz viel auslösen können, eine Begegnung mit einem Menschen, der zeigt, dass es anders geht. Mir begegnen auch überall viele großartige Projekte. Gerade habe ich von Studenten in Göttingen erfahren, die als Bachelor-Arbeit auf Uni-Flächen eine permakulturelle Bauwagensiedlung gründen, die langfristig mehreren Studenten Lebensraum und Nahrung spenden soll. Aber bei den meisten ist das Sichtfeld doch sehr auf das eigene Ziel beschränkt. Um das Fass zum Überlaufen zu bringen, müsste erst eine kritische Masse und eine stärkere Vernetzung untereinander erreicht werden. Im letzten Jahr habe ich mehrfach mit Menschen gesprochen, die in der 68er-Bewegung aktiv waren. Sie haben unabhängig voneinander gesagt, dass sie in der jungen Szene eine Energie, eine Stimmung spüren, wie sie es seit 1968 nicht mehr erlebt haben. Ich glaube, wir sind nicht weit vom überlaufenden Fass entfernt. JH In der 68er-Zeit gab es eine einheitliche Gegenkraft. Damals existierte ein sehr homogenes Gesellschaftsgebäude, das man nur an ein paar bestimmten Stellen anbohren musste, um erhebliche Risse zu verursachen. Heute hat das sogenannte System gelernt, mit Veränderungspotenzialen flexibel umzugehen, es ist viel fluider geworden. Bei Licht betrachtet, hat auch mein Leben dazu beigetragen, dem »System« Wissen darüber zu vermitteln, wie es mit widerständigem Potenzial umzugehen hat, indem ich mich zum Beispiel auf einen Rechtsstreit wegen Schulverweigerung eingelassen habe. Seitdem ist nie wieder ein solcher Fall gewonnen worden, das »System« hat kein zweites Mal einen solchen Fehler gemacht. Wir haben heute Umweltstudiengänge und weitere Aushängeschilder eines ökologischen und sozialen Bewusstseins. Doch wir stehen äußerst flexiblen, ausweichfähigen Strukturen gegenüber, die unseren Alternativen zwar Raum geben, sie aber aufsaugen wie ein Schwamm. Mit all ihren »weltverändernden« Aktionen haben die Akteure meiner Generation, auch ich, geholfen, das System weich zu machen, und genau dadurch verlieren wir die Wirksamkeit. HP Genau deshalb finde ich die Debatte so wichtig. Den Leuten, die sagen, man könne widerständige Politik im Rahmen von Parteien machen, sage ich: Nein, du belügst dich selbst! Das heißt nicht, dass man mit ihnen nicht kooperieren soll, aber dann eben mit Individuen und nicht mit einem Kollektiv oder einem Label. BB So wie die Gesellschaft jetzt konstruiert ist, kommen die Risse im Gebälk ganz von selbst. Der Einsturz ist programmiert, solange die ganze Gesellschaft auf Wachstum setzt. Das Erreichen von Peak Oil wird mittelfristig einen Kollaps der Weltwirtschaft zur Folge haben, und die Staaten wie Deutschland, die stark globalisiert sind, werden am stärksten betroffen sein. BK Einerseits müssen Dinge einstürzen, wenn sie auf tönernen Füßen stehen, wenn sie schlicht nicht in unsere Biosphäre passen. Und andererseits gibt es ganz viel, worauf man aufbauen kann. Aber wo ist der rote Faden? Hätte man 1987 die Leute gefragt, wann die Mauer fällt, hätten die wahrscheinlich gesagt: vielleicht im Jahr 2040. Vor einem Umbruch lässt sich nicht sagen, was passieren wird, nur hinterher konstruiert man rote Fäden in die Geschichte hinein. Im Augenblick habe ich keine Ahnung, wohin unser System tendiert. Die Fluidität, von der du, Johannes, sprichst, ist für mich kein Grund für Hoffnungslosigkeit. Natürlich ist es seltsam, wenn auf allen Hauptbahnhöfen auf dem Boden Aufkleber sind, auf denen steht, »Yeah, wir wachsen wieder um 3 Prozent!«. Selbst in dieser naiven Freude spürt man doch die Ratlosigkeit. Da gibt es all die Diskussionen über das Ende des Wachstums, aber wo sind die neuen Leitideen? Die Leute suchen überall danach. JH Sie lassen sich vermutlich nur finden, wenn die veränderungswilligen Menschen die Problematik der Fluidität des Systems, die wir gerade diskutieren, klar in den Blick bekommen. BK Ich sehe noch eine Gefahr auf der genau gegenüberliegenden Seite. Auch wenn ich eine klare Gegnerschaft aufbaue, stabilisiere ich als Gegenpol das bestehende System, halte diesen Gegner am Leben. Letztlich kommen wir nicht umhin, auch die Leute, die wir als unsere Gegner wahrnehmen, mit auf den Weg zu nehmen. HP Ich glaube an freie Menschen und freie Vereinbarungen. Unabhängig von ihrer Stellung und ihrer politischen Identität kann ich mit Menschen kooperieren und gleichzeitig meine Unabhängigkeit bewahren. Wenn es nicht mehr stimmt, kann ich die Kooperation aufkündigen. So gerate ich auch nicht in Gegnerschaft. BB Wenn wir auf solche Weise frei sind, wird auch der Mut zur Konsequenz nicht gehemmt, sei es durch institutionelle oder wirtschaftliche Strukturen. Nehmen wir zum Beispiel die regenerativen Energien. Wir täuschen uns, wir belügen uns wieder selbst, wenn wir sagen, die regenerativen Energien sind ein Beitrag zum Klimaschutz. Das ist Schwachsinn. Die regenerativen Energien kurbeln im Moment die deutsche Wirtschaftsleistung an. Nur dann, wenn wir für jede erzeugte Kilowattstunde Grünstrom an anderer Stelle ein Atom- oder ein Kohlekraftwerk um die gleiche Leistung herunterfahren würden, wäre es Klimaschutz. Aber das tun wir nicht, wir wollen ja das Wirtschaftswachstum. Da fehlt einfach die Konsequenz. Um sie zu finden, brauchen wir Freiräume und den Mut, auch unbequeme Entscheidungen zu treffen. JH Ich stimme dir zu, aber tatsächlich müssten wir anderthalb Kilowattstunden abbauen, denn wir übernutzen die Ressourcen der Erde derzeit um den Faktor 1,5. Die Konsequenz muss jetzt als Schlusswort herhalten. Ich könnte noch Stunden mit euch sprechen, weil es mich bestärkt und inspiriert. Ich spüre aus euch so viel Mut zu dieser notwendigen Konsequenz strahlen, dass es mich froh macht. Habt vielen Dank für das Gespräch.