von Johannes Ponader, erschienen in Ausgabe #8/2011
Das sogenannte Münchener Modell kombiniert die Idee des Grundeinkommens mit solidarischem Geld, dem »Euro+«.
Lange hat Carolin Neuner an ihrer Idee gefeilt. Sie hat überlegt, den Menschen zugehört, ihre Intuition wirken lassen. Jetzt ist sie sicher, dass sie das richtige Projekt plant, etwas, das die Gesellschaft braucht. Es wird sich tragen – ab 2012. Nur 2011 will vorfinanziert werden. Sie braucht einen Kredit. Sie spricht mit Banken, mit Freunden. Überall bekommt sie dieselben Reaktionen: Sie hat keine Sicherheiten – was, wenn das Projekt schiefgeht, trotz aller positiver Prognosen? Allzuvielen Menschen geht es wie Carolin Neuner. Sie haben gute Ideen, können sie aber nicht voranbringen. Ein Vorschlag, der dieses Problem lösen könnte, ist das bedingungslose Grundeinkommen. Es würde Carolin Neuners Gehalt für die ersten Monate bezahlen. Damit blieben nur noch ihre Betriebsinvestitionen zu bewältigen, für die sie einen günstigen Kredit bräuchte. Doch Kredite sind immer knapp, wenn Investitionen am dringendsten benötigt werden: im Abschwung. In solchen Phasen müsste die Zentralbank den Zins unter Null absenken, um die Wirtschaft zu stimulieren. Doch das geht schon rein technisch nicht, von der Angst vor Inflation mal ganz abgesehen. Eine Lösung hierfür bietet »fließendes Geld«: Für Geld, das auf dem Konto liegt, wird eine Liquiditätsgebühr erhoben. In einem Wirtschaftssystem mit fließendem Geld gäbe es immer jemanden, die oder der sein Geld bei Carolin Neuner anlegen möchte, um so die Gebühr, die das Geld auf dem Konto rosten lässt, zu umgehen. Doch wir leben hier und jetzt, und sowohl das Grundeinkommen als auch fließendes Geld sind eine Utopie. Die Idee des fließendes Geldes hat in Form von Regionalwährungen ihre Nische gefunden, von der Finanzverwaltung als Randererscheinung geduldet. Die Flussgebühr geht hier in gemeinnützige Projekte; das motiviert die Menschen, mitzumachen. Eine echte Alternative zum heutigen Geldsystem ist das jedoch nicht. Das Grundeinkommen wiederum existiert als kraftvolle Idee, doch eine politische Umsetzung ist noch nicht in Sicht. Faszinierend wird es, wenn man beides kombiniert. Das fließende Geld kann von der Grundeinkommensbewegung lernen, wie man sich überregional zusammenschließt und Begeisterung für eine politische Idee weckt. Das Grundeinkommen kann von den Akteurinnen und Akteuren der Regionalgeldszene lernen, wie man einfach anfängt, ohne auf staatliche Zustimmung zu warten.
In Kreisläufen denken Ein Beispiel, das beides zusammenbringt, ist das »Münchener Modell«: Kern dieser Inititative ist der »Euro+«, eine komplementäre Währung. Seine Flussgebühr, die von allen liquiden Guthaben täglich abgezogen wird, wird im gleichen Moment wieder an alle, die mitmachen, als Grundeinkommen ausgeschüttet. Wie in einem Wasserkreislauf halten sich so Vergänglichkeit und Neubeginn die Waage. Geschöpft wird der »solidarische Euro« aus dem Geld, das wir heute benutzen. Geschäftsleute erklären sich bereit, Euro+ zu akzeptieren. Habe ich gerade keine Euro+ auf meinem Konto, bezahle ich normal mit Euro, wobei diese in Euro+ umgewandelt werden. Diese Umwandlung ist unumkehrbar. Gesetzlich möglich wird das, weil sich mit den Bonuspunktsystemen der Wirtschaft in den letzten Jahren eine Nische etabliert hat, in der nicht in Euro rücktauschbare Gutschriften notiert werden. Die eingetauschten Euros sollen an eine Stiftung gehen, die Grund und Boden kauft. Damit werden die Grundstücke der Spekulation entzogen und können gegen Euro+ verpachtet werden, zum Beispiel an gemeinnützige Initiativen, an Wohnprojekte oder an kooperierende Unternehmen. Zum anderen soll der Grund und Boden als Sicherheit hinter dem System der solidarischen Euros dienen. Die Pacht, die mit den Grundstücken erwirtschaftet wird, kann gleich wieder als Grundeinkommen ausgeschüttet werden – ein »Grund«-Einkommen im Wortsinn. Je mehr Euro+ im Umlauf sind, desto mehr drängt das Geld in Kredite, die Menschen wie Carolin Neuner für ihre Ideen dringend brauchen, und desto mehr wächst das Grundeinkommen für alle. Im Herbst 2011 soll ein deutschlandweiter Modellversuch dieser Art von Berlin aus starten.
Johannes Ponader (34), Autor, Gesellschaftskünstler, lebt nach der Maxime: »Was würdest du tun, wenn für dein Einkommen gesorgt wäre?«