von Johannes Heimrath, erschienen in Ausgabe #8/2011
Am 16. September 2006 stand in Berlin der größte Runde Tisch der Welt. Am »Table of Free Voices« antworteten 100 Weltvisionäre auf die drängendsten Fragen der Menschheit – nun zu sehen in Ralf Schmerbergs Film »Problema«. Ich konnte damals nicht dabei sein, denn ich moderierte eine Regiogeld-Konferenz in der »Scheune Bollewick« (Betonung auf dem »e«). 5000 soziokulturelle Akteure in Mecklenburg-Vorpommern waren eingeladen worden. 60 Personen waren erschienen. Die Begeisterung der Teilnehmenden für die erhofften Segnungen einer Regionalwährung war so groß, dass es zu einer spontanen Vereinsgründung kam. Der »Initiativkreis Regiogeld MV« trat ins Leben. Sein Zweck: »die Schaffung der Voraussetzungen zur Einführung eines komplementären regionalen Zahlungssystems mit Schwerpunkt im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern«. Es bildete sich ein Arbeitskreis, der sich zunehmend in die Frage versenkte, was Geld sei und wozu wir es überhaupt bräuchten. Die strukturschwachen ländlichen Räume in Mecklenburg-Vorpommern werden von einer Agroindustrie erdrückt, die keinen Mittelstand gedeihen lässt. Und der wäre für eine erfolgreiche Lokalwährung nötig – »Chiemgauer« und »Sterntaler« sind der Beweis. Ergebnis einer zweijährigen Diskussion, von Exkursionen zu anderen Regiogeldinitiativen, Gesprächen mit dem Arbeitsamt und öffentlichen Aktionen war ein Grundsatzpapier, das fundamentale Aussagen zur gesamten Geldthematik enthält. In der Einführung stellten wir fest: »Wir halten Geld grundsätzlich für fehlbewertet. […] Das Geld soll den Menschen dienen, und nicht umgekehrt. Damit soll ausgedrückt werden, dass wir von der Dominanz des Geldes wegstreben und uns dem Ergänzungscharakter des Geldes zuwenden. So bekommt der Begriff ›Komplementärwährung‹ eine erweiterte Bedeutung insofern, als regionales Geld nicht nur komplementär zum Euro steht, sondern sich Geld prinzipiell komplementär zum nicht auf Geld basierenden Umgang der Menschen untereinander verhält. Geld hat an sich keine Bedeutung, es gewinnt stets die Bedeutung, die jeder einzelne dem Geld gibt. […] Als einzelne können wir ohne Geld leben, wir können tauschen und schenken. Wer sich aus dem Bedeutungsbann des Geldes zurückzieht, vermindert dessen Dominanz in seinem Leben.« Das Bild der Flussaue, die von einem in Mäandern schwingenden Wasserlauf befeuchtet wird, führte weiter. Das Wasser schwingt in den Mäandern und benetzt in langsamer Bewegung mehr Landschaft als ein gerader Kanal, in dem die Strömung die Nährstoffe fortspült. Wir erfanden den »Mäandertaler«, langsames Geld. Doch was uns am meisten beschäftigte, war der »Bedeutungsbann« des Geldes. Wäre es nicht viel sinnvoller, statt einer korrekten Lokalwährung etwas zu kreieren, das uns spielerisch aus dem Bedeutungsbann des Geldes überhaupt befreien könnte? So kamen wir zur »Goldmarie«: Lasst uns ein Würdigungsmittel schaffen, auf dem kein Zahlenwert steht, das wir alle selbst herstellen können, das nicht das Waren-Paradigma unterstützt, sondern die Unbezahlbarkeit des Lebens sinnfällig macht. Am Ende einer gemeinsamen Unternehmung, einer Gütergabe oder einer anderen Leistung würden wir in den Sack greifen, nachfühlen, wieviele »Goldmarien« drin sind und wieviele wir davon hergeben könnten und wollten, die Stücke herausnehmen und unserem »Geschäfts«partner überreichen. Ein bisschen so wie die Leute von Swabedoo, ein bisschen so, als gäben wir »Geld«, ein bisschen so, als würden wir nur spielen. Aber doch ganz ernsthaft und immer mit der erzählten Geschichte des Gebens verknüpft. Die ersten »Goldmarien« entstanden aus flachen Steinscheiben, neuere bestehen aus selbstgebrannten Steinzeugperlen. Bis jetzt sind erst wenige in Umlauf. Bei einem Vortrag in der Magdeburger Uni ließ ich mein Säckchen »Goldmarien« herumgehen. Als es wiederkam, waren mehr Stücke drin als zuvor: ein DDR-Pfennig, zwei »Urstromtaler«-Regiomünzen und eine Feinsicherung. Mittlerweile sind zwei Bohnenkerne dazugekommen und eine Muschel. Von den Steinzeugperlen habe ich schon eine Handvoll ausgegeben. »Darf ich dir eine ›Goldmarie‹ überreichen?« frage ich zum Beispiel nach einem für mich lehrreichen Gespräch. Die Sache funktioniert sofort, wenn ich die Geschichte fortführe: »Die Goldmarie soll dich an das Unbezahlbare zwischen uns erinnern. Gib sie jemandem weiter, wenn du etwas Wertvolles würdigen willst.« Statt dem Bedeutungsbann des Geldes zu erliegen, geben wir unserer Gabe Bedeutung. Auf den Seiten 97/98 dieser Ausgabe von Oya finden Sie eine Variante der mecklenburg-vorpommerischen »Goldmarie«, die »Oyra«. Spielen Sie mal damit, Sie werden über die Wirkung staunen.
Kein Märchen, sondern harte theoretische Arbeit www.regiogeld-mv.de; das Grundsatzpapier ist unter »Grundlagenwissen«, »Initiativkreis Regiogeld-MV« abgelegt.