Bildung

Macht euch stark!

Medea Leinen erzählte Lara Mallien, dass sie in ihrem Alltag und in der Schule kaum Diskriminierung aufgrund ihres Alters erlebt. Wenn es doch vorkommt, sollten Kinder Erwachsene darauf hinweisen.
Photo
© privat

Lara Mallien: Medea, du und einige Freundinnen aus der Kleinen Dorfschule Lassaner Winkel wollen eine Schulzeitschrift herstellen. Dazu habt ihr mich und Matthias Fersterer von der Oya-Redaktion eingeladen. Dein Beitrag für die Zeitschrift ist eine Reportage zu Harry Potter, und ich hatte die Idee, dich und andere zum Thema »Adultismus« zu befragen. Schön, dass wir heute damit anfangen. 

Hier haben wir ein Diktiergerät, das kannst du dann auch nutzen, wenn du selbst Interviews führst. Soll ich es dir kurz erklären? 

Medea Leinen: Ja, gerne, nächsten Mittwoch wollen wir Probe-Interviews machen.


Wenn es angeschaltet ist, musst du nur zweimal auf »Record« tippen, dann beginnt die Aufnahme. Du kannst doch so gut improvisieren – sollen wir zur Probe ein kleines Theaterstück aufsprechen?

 Ja, das machen wir!

Es geht los. Das Theaterstück heißt: »Medea zieht sich ihre Regenjacke aus.« 

Ach, was für ein schöner Tag! Die Sonne scheint wieder, da kann ich ja sofort meine Regenjacke ausziehen! Jetzt ist mir ganz warm.

Medea, das ist Quatsch, draußen regnet es!  

Aber im Haus ist es warm und schön.

Richtig, du sagst es, mein Spatz. 

Jetzt kann ich meinen ganzen Tee in den Regen kippen, dann wird der Regen warm und süß. Du kannst im Regen tanzen, aber wirst nicht nass werden, nur den Honig auf der Haut wirst du spüren, er wird dich kitzeln!


Hihi! – Medea, ich finde es gerade nicht supergemütlich, dass deine Jacke geknüllt hinter dir liegt, magst du sie über diesen Stuhl hier hängen? 

Aber natürlich gerne, liebe Lara, dann wird der Honig dich noch mehr bekitzeln.


Das mit der Jacke hätte ich auch ganz anders sagen, und du hättest auch ganz anders reagieren können. Damit sind wir schon beim Thema. Adultismus findet statt, wenn ich dir genervt sage, dass du deine Jacke ordentlich hinlegen sollst, oder ich dich »mein Spatz« nenne, und du das doof findest – immer dann, wenn ich dich, nur weil du jünger bist als ich, schlecht behandele. Für dieses »schlecht Behandeln« gibt es ein spezielles Wort: »diskriminieren«. 

Das habe ich schon mal gehört. Ich würde lieber »Altersdiskriminierung« sagen und nicht Adultismus. Dazu fällt mir ein: Wenn ich allein mit dem Zug fahre, nennen mich die Schaffner manchmal »Mäuschen«. Das ist nicht so angenehm, aber richtig schlimm finde ich es nicht.


Gibt es Menschen, die älter sind als du, mit denen du nicht gut auskommst?

 Schon, da gibt es eine Frau. Ihren Namen will ich nicht nennen, um sie nicht zu verletzen. Ich glaube, sie mag Kinder nicht so gerne. Sie ist zu mir und meinen Freundinnen meist ein bisschen unfreundlich; Erwachsene meckert sie nie so an. Es scheint also vor allem daran zu liegen, dass wir Kinder sind, dass sie so mit uns redet. Es fühlt sich doof an, so angemeckert zu werden. Wir geben ihr eigentlich keinen Grund, dass sie sich ärgern müsste. Ihr eigenes Kind nimmt sie immer in Schutz, ganz egal, was passiert ist.


Kürzlich kam eine junge Freundin von mir weinend angelaufen, weil ihr etwas Ähnliches passiert war. Von der Sache her war es gar nicht so schlimm, aber das Gefühl, als kleiner Mensch diskriminiert zu werden, das war das Schlimme. Ich habe ihr gesagt, dass ich das zwar ungerecht finde, aber dass wir auch Ältere nicht verurteilen dürfen, nur weil sie alt sind. Wer über 50 Jahre alt ist, ist in einer Zeit aufgewachsen, in der Kinder oft viel grober behandelt wurden als heute. Das geben sie immer noch weiter, als sei das tief in ihnen so abgespeichert. – Wie ist es bei dir an der Schule, erlebst du dort manchmal Altersdiskriminierung?

 In der Schule ist es noch nicht vorgekommen. Falls es passiert, haben wir dort Patinnen und Paten, an die wir uns wenden können. Wir sprechen auch manchmal über dieses Thema. Es gibt seit dem zweiten Jahr, in dem es unsere Schule gibt, eine Regel, die verhindern soll, dass Kinder schlecht behandelt oder komisch angesprochen werden, nur weil sie Kinder sind. 


An den meisten Schulen ist es selbstverständlich, dass die Kinder weniger zu sagen haben als die Erwachsenen. Warum meinst du, ist das so?

 Ich denke auch wie du – wenn jemand Kinder altersdiskriminiert, kommt es davon, dass der Mensch selbst schlimme Sachen erlebt hat und sich nicht anders weiterzuhelfen weiß. Früher war es ja normal, Kinder zu schlagen, auch in der Schule. Heute ist das nicht mehr so, aber an normalen Schulen können sich die Schülerinnen und Schüler nicht aussuchen, was sie lernen. Die Lehrerinnen und Lehrer hingegen dürfen selber entscheiden, wie sie unterrichten.


Ja, sie müssen sich zwar an den Lehrplan halten, aber ansonsten haben sie mehr Freiheiten als ein Kind, dem am Schulanfang ein Stundenplan vorgesetzt wird. So war es an meiner Schule, niemand konnte sich das anders vorstellen. Mir war im Unterricht oft entsetzlich langweilig. Zum Glück kam es selten vor, dass jemand von den Lehrerinnen und Lehrern gemein zu mir war, aber ich habe erlebt, wie andere Kinder regelrecht gedemütigt worden sind.

 Was bedeutet »demütigen«?


Dass du von einer Person, die mächtiger ist als du selbst, »kleingemacht« wirst. Zum Beispiel, wenn du vor der Klasse stehst, ein Gedicht aufsagen musst, aber vor Aufregung die Hälfte vergessen hast, und dann die Lehrerin etwas Schlechtes über dich sagt, kann das demütigend wirken. An eurer Schule kann so etwas zum Glück eigentlich gar nicht passieren. Magst du mal beschreiben, wie ihr euch gemeinsam Schulregeln gebt?

 Dafür gibt es die Schulversammlung. Alle, die an der Schule sind, also die Kinder und die Erwachsenen, können kommen, alle haben eine Stimme. Erst besprechen wir ein Problem, manchmal gab es einen Streit, und dann merken wir, dass wir eine neue Regel für so einen Fall brauchen. Die heißt dann zum Beispiel: Wer gerade etwas in Ruhe macht, darf nicht dabei gestört werden. Oder: Wer aus dem Schulhaus geht, sagt dem Menschen mit der »Eule« Bescheid und versetzt an der Magnettafel den Magneten mit dem eigenen Namen auf den Ort, wo er hingeht. Viele Regeln handeln davon, wie wir uns um das Schulhaus und unsere Sachen kümmern. Wir haben zum Beispiel einen Putzplan, in dem wir mit Ansteckern anzeigen, wann wer putzt. Alle finden Küchendienst richtig doof, und einige fanden es ungerecht, dass die Kleinen, die zur Küchendienstzeit schon nach Hause gehen dürfen, das nie machen müssen. Der neue Putzhut hat entschieden, dass die Kleinen stattdessen die Spülmaschine ausräumen. So wird keiner diskriminiert, alle machen etwas. 


Die vielen »Hüte«, Kreise und Versammlungen an eurer Schule erinnern mich an andere Kulturen, in denen die Mütter und Großmütter sich darum kümmern, dass alles in Rederunden besprochen wird und es für alle gerecht zugeht, auch für die Kinder. Wo fast nur Männer das Sagen haben, im Patriarchat, gibt es so etwas nicht. Früher war das bei uns normal.

 Ach ja, als Frauen nicht wählen durften und immer nur zu Hause bleiben, kochen und sich um die Kinder kümmern sollten. 


Und die Kinder sollten bei Tisch nicht sprechen und immer gehorchen. Der älteste Sohn war wichtig, der sollte ein starker Typ werden, aber vielleicht war das ein empfindsamer Junge, der lieber den ganzen Tag Käfer beobachten wollte.

 An unserer Schule ist mal ein Junge ausgelacht worden, weil er Flötespielen lernen wollte. »Das ist doch was für Mädchen«, meinten die größeren Jungs. Ich verstehe das nicht, warum sollte denn jemand wegen seiner Interessen diskriminiert werden? Ich mag zum Beispiel kein Ballett, aber Fußball. Ich war mal bei einem Ballettkurs, der hat mir nicht gefallen, denn wir haben gar kein Ballett gemacht, sondern nur alle möglichen Spiele gespielt. Meine Mutter hat als Kind Ballett gelernt. Ihre Trainerin hat die Kinder in den Po gekniffen, wenn sie den nicht so angespannt hatten, wie es sein sollte. Das hätte sie mit Erwachsenen bestimmt nicht gemacht, also war das auch Altersdiskriminierung.


Das ist noch nicht lange her, und sowas passiert leider noch heute. Beim Sport erleben junge Menschen und Frauen immer wieder schlimme Diskriminierungen.

 Ich mache Judo in einem Verein. Dort gefällt es mir gut. Wenn ich mal einen Kampf verliere, sind die Trainer ganz locker, muntern mich auf oder geben mir Hinweise, wie ich es besser machen kann. Bei anderen Vereinen habe ich aber beobachtet, wie die Trainer die Kinder, wenn sie nicht gewinnen, richtig anschreien. Was soll das denn? Sie haben dann doch nur Angst und machen es nicht besser.

Im Kletterpark oder im Schwimmbad mag ich es nicht, wenn ich etwas Bestimmtes erst ab zwölf Jahren machen darf. Dann denke ich: »Ich kann es! Ich trau mich!« Das ist für mich doof.


Was meinst du, was lässt sich von Kindern am besten gegen Altersdiskriminierung tun?  

Die Kinder müssen sich stark machen und sich trauen, die Leute, die sie anmeckern, anzusprechen. Sie könnten ihnen erzählen, dass es ihnen schlecht geht, wenn sie so angeredet werden, und die Person bitten, es beim nächsten Mal anders zu machen.


Wenn du die Frau, mit der du das Problem hast, das nächste Mal triffst, könntest du sie ja ansprechen: »He, wenn du mich anmeckerst, tut mir das weh! Wie ist es denn dir gegangen, wenn du als Kind ausgeschimpft worden bist?« Dann würde sie vielleicht von sich erzählen und gücklich sein, dass du dich für ihre Geschichte interessierst. Junge Menschen wie du, die von denen, mit denen sie leben, viel Wertschätzung erfahren haben, können anderen ganz viel Glück schenken. Hab vielen Dank für das schöne Gespräch!  //



Medea Leinen (10) lebt bei ihrer Mutter Johanna und ihren jüngeren Schwestern Lina und Raja in Pulow. Sie geht auf die Kleine Dorfschule Lassaner Winkel. Ihr Berliner Vater kommt sie öfter besuchen. Sie mag Theaterspielen, liest viel, vor allem »Harry Potter«, und trainiert dreimal in der Woche Judo.


weitere Artikel aus Ausgabe #66

Photo
von Ute Scheub

Aufbäumen gegen die Dürre

Wasser kühlt, das wissen wir alle. Und dennoch wird dieser Umstand in der Klimadebatte massiv unterschätzt. Viele glauben, es reiche, den CO2-Gehalt in der Atmosphäre zu reduzieren. Dabei sind die Dinge viel komplexer, denn es gibt weitere, biophysikalisch sehr unterschiedlich

Photo
von Farah Lenser

Eine Erde für alle!

Vandana Shiva präsentiert mit »Eine Erde für alle!« ein Buch der Hoffnung, auch wenn ihre glänzende Analyse des Status quo der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung der Menschheit sowie die Beschreibung der ökologischen Krise der Erde streckenweise den

Photo
von Lara Mallien

Mit Feuer und Regenbogen

Lara Mallien: Lou, du bezeichnest dich als queer. Vermutlich hast du deshalb schon Diskriminierung erfahren. Sowohl dazu als auch zu einer anderen Form von Diskriminierung – und zwar derjenigen aufgrund des Alters – möchte ich dich heute fragen. Wir kennen uns seit drei Jahren. Auf

Ausgabe #66
Kompost werden!

Cover OYA-Ausgabe 66
Neuigkeiten aus der Redaktion