Titelthema

Von Krisen und Kreisen

Eine Rederunde mit der Journalistin und Aktivistin Theresa Leisgang über ihre Reise zu Schauplätzen der Klimakrise und darüber, was sich in Zeiten rapiden Wandels vom Kompost lernen lässt.von Matthias Fersterer, Maria König, Theresa Leisgang, erschienen in Ausgabe #66/2021
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© Mara Klein

Matthias Fersterer  Theresa, danke, dass du dir Zeit für ein Gespräch nimmst! Es tut mir leid, dass ich hier etwas abgehetzt in den virtuellen Konferenzraum komme, aber es gab gerade noch ein Detail der Kinderbegleitung abzusprechen. Jeden Tag mache ich – wie viele andere Eltern auch – einen Spagat zwischen Sorgearbeit und der Arbeit an Projekten, die ich für mich persönlich wie auch für die Welt als wichtig erachte. Die Frage, ob ich Zeit mit Kindern verbringe oder gesellschaftliche Transformation gestalte, ist natürlich völlig falsch gestellt, weil das eine nicht vom anderen zu trennen ist – Transformation ist ja zunächst die Veränderung der eigenen Lebenspraxis! Ich merke, es gibt noch einige Erwartungen und Muster in mir zu kompostieren – womit wir mitten im Thema dieser Ausgabe und des Buchs, das du zusammen mit Raphael Thelen geschrieben hast, sind.

Für euer Buch »Zwei am Puls der Erde« (siehe Oya 63) seid ihr vom südlichen Afrika bis zum nördlichen Polarkreis an Orte gereist, an denen die Auswirkungen der Klimakrise deutlich zu spüren sind. Die Corona-Krise zwang euch dazu, eure Tour jäh zu unterbrechen und nach Deutschland zurückzukehren, wo ihr für einige Monate im »Haus des Wandels« in Ostbrandenburg eingekehrt seid. Davon handeln die Kapitel »Kollaps« und »Kompost«. Ich fand euer Buch inspirierend, gerade weil es sich so verwandt mit der Perspektive, die wir in Oya kultivieren, anfühlt. In guter journalistischer Praxis wollte ich dir nun eigentlich die erste Frage stellen, Theresa, möchte euch jetzt aber stattdessen dazu einladen, in der Runde, im Kreis weiterzusprechen.

Theresa Leisgang  Ja, gern. Mich berührt die Resonanz zu unserem Buch! Du hast einige Sachen gesagt, Matthias, die für mich zentral sind. Meine derzeit wichtigsten Fragen sind: Wie engagiere ich mich für den Wandel, und was in mir hindert mich daran und gilt noch angeschaut und kompostiert zu werden? Wo trage ich weiter zu einem System bei, von dem ich weiß, dass es sowohl den Planeten als auch mich selbst ausbrennen lässt? Die grundsätzliche Frage, die wir uns vor unserer Reise durch alle -Klimazonen gestellt haben lautet: Welche Geschichten müssen wir eigentlich jetzt erzählen? Das knüpft auch daran an, wie ich mich als Journalistin einsetze. Wir haben uns dagegen entschieden, weiter zu einzelnen Projekten zu recherchieren, und haben stattdessen unsere Jobs gekündigt, damit wir Zeit und Raum schaffen konnten, um uns dieser Frage zu widmen: Was will, was muss jetzt passieren? Und auf welche Art und Weise? Während unserer einjährigen Reise haben wir Leute getroffen, die schon lange mit und in der Krise leben – etwa in den Townships im südlichen Afrika oder bei den Sami in der skandinavischen Arktis.

Weiterhin frage ich mich jeden Tag, was eigentlich Erfolg ist. Noch mehr Titelstories, Tweets, Aufträge, Anfragen sind es gerade nicht! Wir können die Welt nicht durch noch mehr Aktionismus retten, da stimme ich Báyò Akómoláfé zu, der sagt: »Wenn die Zeit drängt, lasst uns langsam machen« (siehe Seite 20). Letztlich gibt es in dieser Situation, wo uns vermeintlich nur noch so und so viele Jahre und so und so viel CO2-Restbudget verbleiben, nichts zu schaffen, außer in jedem Moment wahrhaftig zu fragen: Was kann ich persönlich heute dafür tun, dass es ein Stückchen besser und nicht schlechter wird?

Maria König  Eine Erkenntnis, die bei mir durch euer Buch noch tiefer gesackt ist, war, dass die Klimakrise nicht erst jetzt über uns hereinbricht, sondern dass andere Menschen auf der Erde schon viel länger drastische Auswirkungen erfahren. Mir gefällt, dass ihr euch gefragt habt, was ihr von diesen Menschen lernen könnt – etwa von Riyaz Rawoot, der in Kapstadt während der Wasserkrise einen Brunnen erweiterte und Zehntausenden den Zugang zu Wasser ermöglichte; oder von dem Sami Anders Triumf, der die Frage, ob ihm der Klimawandel Angst mache, verneinte, weil es auch schon vor 50 Jahren große Veränderungen gegeben habe, mit denen sein Großvater umzugegangen sei. Für mich geht es darum, dieses Leid in der Welt anzuerkennen, Formen von Solidarität zu finden und Gefühle vermeintlicher Stabilität loszulassen.

MF  Ich würde gern nochmal auf Báyò Akómoláfés Konzept des Entschleunigens zurückkommen. In einem Vortrag hat er das ausgeführt und unsere Zivilisation mit einer Autobahn verglichen: Zu entschleunigen, das bedeute demnach nicht, Geschwindigkeit zurückzunehmen und einfach ein bisschen langsamer zu fahren, weil man sich dann immer noch in dieselbe Richtung, auf derselben Schnellstraße, in demselben Paradigma bewegt. »Langsam machen« heiße vielmehr, die Autobahn zu verlassen und sich auf unbegangene, gewundene Pfade zu begeben. 

Aufs Klima bezogen, ist seit Jahren offenkundig, dass »wir« als diffuse Weltgesellschaft das Ruder nicht herumreißen können; es gibt aber viele Wege, an den Orten, an denen ich in die Welt gestellt bin, das Naheliegende zu tun und Veränderung herbeizuführen. Das bedeutet freilich nicht, es sich gemütlich einzurichten oder den Kopf in den Sand zu stecken. Dennoch ist es möglich, an konkreten Orten Strukturen aufzubauen – und mögen sie auch noch so klein sein –, die vielleicht zumindest ein Stück weit tragen können, wenn überholte Strukturen kollabieren. Im letzten Kapitel eures Buchs gibt es eine Art von Resümee, in dem ihr darüber schreibt, wie wichtig es sei, Beziehungs-netzwerke zu knüpfen und zu überlegen, wie wir das toxische Erbe, das wir in uns tragen, kompostieren könnten. Da muss ich an Joanna Macy denken, die davon spricht, Sterbebegleitung für das Alte zu leisten und zugleich Hebamme des Neuen zu sein. Wie gehst du persönlich mit all dem um, Theresa?

TL  Vieles, was du angesprochen hast, hat bei mir stark resoniert. Die Autobahnmetapher finde ich spannend. Eine ähnliches Bild verwendete einer der Klimaforscher, die wir in England getroffen haben: Laurie Laybourn-Langton. Er berät die britische Regierung und hat den Klimabericht »We Are Not Ready« (Wir sind nicht bereit) verfasst. Er sagte, dass es irreführend sei, mit dem Bild, dass wir auf einen Abgrund zurasen, zu arbeiten. Problematisch sei daran einerseits, wer eigentlich dieses »Wir« ist, weil für viele Menschen der Kollaps ihrer Welt schon längst passiert. Darüber hinaus ist es viel sinnvoller, zu sehen, dass wir von der Straße abgekommen sind, vielleicht gar nicht das richtige Gefährt dafür haben und schauen müssen, wie wir dennoch den richtigen Weg finden können. Vielleicht müssen wir aus dem Auto aussteigen und uns zu Fuß oder auf dem Fahrrad weiter fortbewegen. Auf jeden Fall werden die Pfade künftig für alle Menschen unwegsam und unbekannt sein.

Ein Weg, den ich für mich persönlich gefunden habe, ist, mir regelmäßig Zeit für meine Gemeinschaften einzuplanen. Einen Tag in der Woche widme ich der Frage, welche Gemeinschaften mich stärken – egal, ob ich gerade um einen geliebten Menschen trauere, ob die nächste Finanzkrise kommt oder ob ich demnächst aus meiner Wohnung geworfen werde. Da fühlt es sich gut an, dass ich gerade mit einer Gruppe in Berlin eine Genossenschaft aufbaue und überlege, wie wir gemeinschaftlich leben wollen. Auch wenn das erst einmal weit weg von der Klimakrise zu sein scheint, habe ich doch durch Corona gemerkt, dass es in der großen gesellschaftlichen Krise, in der wir stecken, am allerwichtigsten ist, die Leute, denen ich vertraue, um mich herum zu haben. Von dort aus hoffe ich, eine Brücke zu anderen gemeinschaftlichen Orten im ländlichen Raum bauen zu können – von SoLaWis über Auszeitorte für gestresste Stadtkörper zu Waldgärten, die vielleicht einmal dort wachsen werden, wo jetzt noch riesige Ackermonokulturen stehen.

MK  Gerade dachte ich an das Buch »Desert« (siehe Oya 60) des Kollektivs »CrimethInc.« Dort wird geschildert, wie Gemeinschaften in Afrika, die während der Kolonialzeit nicht vollständig kapitalistisch sozialisiert wurden, weil ihre Gebiete zu rohstoffarm oder zu abgelegen sind, heute noch teilweise subsistent leben, weil es die unausgesprochene Vereinbarung mit der Regierung gibt: »Ihr tut so, als würdet ihr uns regieren – und wir tun so, als würden wir das glauben.«

Dabei finde ich es wichtig, zwischen Gemeinschaftlichkeit und Abkapselung zu unterscheiden. Mir erscheint es passend, von Interdependenz, von sich durchdringenden Systemen zu sprechen: Ich hüte etwa gemeinsam mit anderen einen Garten, und ich habe eine Brotberuf. Wenn das eine wegbricht, bin ich resilienter, weil das andere noch da ist. Darin bin ich vielleicht auch verbundener mit meinen Nachbarinnen, und wir können gemeinsam Lösungen finden. Das hat etwas Friedliches und zugleich etwas sehr Waches für die Umstände – und es schließt nicht aus, an bestimmten Stellen Widerstand zu leisten, um Zerstörung zu verlangsamen oder sogar zu verhindern.

MF  Beim Aktivismus möchte ich anknüpfen: Theresa, du warst Pressesprecherin für »Seawatch« und hast vor kurzem eine Spendenkampagne für eine eurer Protagonistinnen aus Mosambik gestartet. In eurem Buch beschreibst du sehr offen, wie du dabei oft auch an persönliche Grenzen gestoßen bist. Aktivismus kann schnell in Sackgassen von »Höher, Schneller, Weiter« und ins Ausbrennen führen. Báyò Akómoláfé spricht deshalb von »Postaktivismus«, wobei das ein anderes »Post-« als etwa in »Postmodern« ist: Postaktivismus ist nicht nur das, was nach dem Aktivismus kommt, sondern auch eine Kurzform von »Kompostaktivismus«, »kompostierendem Aktivismus«. Andere sprechen von verbundenem Widerstand. Welche Formen hast du für dich gefunden oder bei anderen beobachtet?

TL  Dazu habe ich viel bei den Waldbesetzungen gelernt, die wir für das Buch besucht haben, und im Gespräch mit Menschen, die bei den Besetzungen im Dannenröder Forst dabei waren. Ich lernte dabei, dass es nicht nur wichtig ist, was wir tun, sondern auch, wie wir es tun. Wie kann ein Camp als möglichst hierarchiefreier Raum aufgebaut werden? Wo bedarf es aber dennoch einer bestimmten Form von Führung, damit eine Aktion gelingen kann? Wie können Diskriminierungsformen, die in der Gesellschaft spürbar sind, dort abgebaut werden? Wie können wir für-einander da sein? Dieser Haltungswechsel passiert in vielen aktivistischen Kontexten, von »Black Lives Matter«, über »Fridays For Future« und »Extinction Rebellion« bis hin zu mi-grantischen Kämpfen. Das liegt sicher auch daran, dass vielen klar geworden ist, dass der Wandel, für den wir uns einsetzen, nicht in ein paar Jahren herbeigeführt werden kann, sondern dass wir uns auf ein lebenslanges Ringen in diesen Strukturen einstellen und unsere Kraft dementsprechend einteilen müssen.

Bei der Waldbesetzung in Denham trafen wir eine Aktivistin, der es schwerfiel, mit dem Druck, der sich aus dem harten Campalltag, den Auseinandersetzungen mit Polizei und Sicherheitskräften, der juristischen Unsicherheit und dem Schmerz um jede gefällte Eiche ergibt, klarzukommen. Statt sich damit klein und allein zu fühlen, hat sie im Camp Kommunikationsstrukturen aufgebaut, die es Menschen ermöglichen, einander regelmäßig zuzuhören und Resonanz zu geben. Dass Menschen einander in Krisenzeiten auf diese Weise emotional unterstützen, hat mich sehr inspiriert. Es ermöglicht auch eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem eigenen aktivistischen Handeln. Das ist für mich eine schöne Form von Postaktivismus.

MK  Für mich passt dazu auch der Besuch des »Medicine« – ein Festival für Verbindungs- und Heilungskultur in Südengland –, von dem ihr im Buch erzählt. Euren leisen Vorbehalten, euch in diesen »Hippiekontext« zu begeben, zum Trotz habt ihr dort nährende Rituale und Wege innerer Arbeit kennengelernt, aus denen sich Kraft schöpfen lässt, um dann wieder aktiv sein zu können. In meinem Bekanntenkreis gibt es Menschen, bei denen ich das Gefühl habe, dass innere Prozessarbeit und das Aufarbeiten der Eltern-Kind-Beziehung in eine Nabelschau münden, à la »Ich muss erstmal selber heil werden, bevor ich in der Welt etwas heilen kann«. Andererseits kann es passieren, dass, wenn man sich diese inneren Verletzungen nie anschaut, im Außen unbewusst Dramen aus der eigenen Kindheit wiederholt oder ausagiert werden. Den Balanceakt zwischen innerer und äußerer Arbeit finde ich in eurem Buch sehr gelungen.

MF  Mir gehen zwei Dinge durch den Kopf: Derzeit sind so viele Menschen auf der Flucht wie noch nie – Menschen, die nicht zuletzt aufgrund der Klimakrise gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen. Es gibt aber noch eine andere Ebene von Heimatverlust, für den Glen Albrecht den Begriff -»Solastalgie« geprägt hat – also der Verlust von Tröstung, eine Art Heimweh an den Ort, an dem ich zuhause bin, etwa weil dort alte Wälder abgeholzt werden, Gewässer versiegen oder Pflanzen und Tiere aussterben. Das ist ein Verlust von Beheimatung ohne physische Vertreibung.

Das andere hat mit dem menschlichen Selbstverständnis zu tun: So dringend der Handlungsbedarf angesichts der Klimakrise auch ist, empfinde ich doch die Perspektive, die Welt verbessern oder retten zu wollen, als anmaßend. Die Welt ist, wie sie ist. Sie kann nicht anders oder besser gemacht werden, als sie eben ist! Sie bedarf auch keiner Rettung. Was es hingegen zu verändern gilt, ist die Organisation des Zusammenlebens und das Selbstverständnis von uns Menschen in der Welt. Diese Unterscheidung finde ich wesentlich, um nicht von der Hybris, dass Menschen die Beherrscher der Erde seien, zur nächsten Hybris, dass Menschen die Erde nun retten müssten, zu geraten.

TL  Der Verlust von Land, von Heimat, ist für mich eine wichtige Frage, in der sich die Schicksale vieler Menschen auf dieser Welt vereinen. Wir wissen nicht, wie lange wir »unsere« Heimat noch haben werden. Für manche kommen diese Veränderungen früher, für andere später. Das haben in diesem Sommer viele Menschen durch die Flutkatastrophe in Westdeutschland deutlich am eigenen Leib zu spüren bekommen. Wie sehr sich dann doch wieder Verbindungen auftun, erkannte ich, als ich zwei Tage darauf eine Nachricht von Antonia, die wir in Mosambik besucht hatten, bekam. Antonia betreibt dort ein feministisches Netzwerk und hat nach den Überflutungen durch den Wirbelsturm Idai 2019 beeindruckende Arbeit geleistet, indem sie denen half, die dort am schwersten von den Auswirkungen betroffen waren: Alleinerziehende, Witwen, Schwangere, Kinder. Es war ein besonderer Moment, von Antonia zu hören: »Hey, geht’s euch gut? Ich habe gesehen, dass es bei euch Überschwemmungen gibt.« Sie weiß, was es bedeutet, das Zuhause zu verlieren. Im Umgang mit der Katastrophe war auch dort Gemeinschaft das Wichtigste. Mich hat zudem die Dankbarkeit beeindruckt: Obwohl diese Frauen aus Mosambik auch ein Jahr später noch in prekären Verhältnissen lebten, sagten sie oft, wie dankbar sie dafür seien, dass die Cashewbäume inzwischen wieder gut wachsen. Eine Prägung des Patriarchats, in dem wir leben – die auf mich als Frau ebenso zutrifft wie auf Raphael –, ist, dass es herausfordernd ist, unsere Gefühle wirklich zuzulassen und eine Situation als das, was sie ist, anzunehmen, anstatt sie immerzu kontrollieren zu wollen und in emotionale Starre zu verfallen. Antonia hat mit ihrem Mann ein Mangrovenkomitee gegründet, mit dem sie jetzt an der Küste viele Mangroven aufforsten, weil sie natürlich wissen, dass durch die Klimakrise solche Stürme wahrscheinlich häufiger und heftiger werden. An dem Tag, an dem wir miteinander sprachen, hatten sie 1500 Samen in den Sand gesteckt – und hoffen, dass der Strand vor dem nächsten großen Sturm bewaldet sein wird. Solche Vorsorge gelingt nur in enger Gemeinschaft zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Beteiligten.

MK  Mich hat beeindruckt, wie ihr den Sicherheitskräften bei der Waldbesetzung in England begegnet seid: Ihr habt euch bewusst gemacht, dass diese genauso wie ihr betroffen sind, dass sie nicht eure Feinde sind, sondern eben gerade am anderen Ende des Spektrums agieren. Darin steckt für mich die Frage, wie ich gut mit Menschen in Kontakt sein kann, die sich stark am Bestehenden festhalten und nicht offen für dringend notwendigen Wandel sind. Theresa, mich interessiert, wie deine Erfahrung mit Menschen ist, die ganz anders über Klimapolitik denken als du.

MF  Dazu passt etwas, das mich ganz generell beschäftigt: das Kompostwerden als Lebenshaltung. Wenn es darum geht, guter Kompost, gute Erde zu werden, die Nährboden für anderes schafft, dann gehört dazu auch, anzuerkennen, dass Kompostieren immer nur Arbeit mit dem, was da ist, sein kann – und dazu gehören eben auch die Betonruinen, der Atommüll und die Andersdenkenden. Daraus leiten sich für mich eine Frage und ein Anspruch ab: Wie kann ich aus solch einem Verständnis heraus als eingebette-tter Teil der Welt, als Organ der Erde, wirksam werden?

TL  Die Frage, was wir vom Kompost lernen können, finde ich spannend. Am einfachsten kann ich mich dem über meine persönlichen Verhaltensmuster und Prägungen annähern. Wenn ich etwa den Wunsch spüre, dass Wandel ganz schnell geschehen soll, und mich darüber ärgere, dass im TV-Triell schon wieder die falschen Fragen zum Klimaschutz gestellt wurden – dass nur nach den Kosten gefragt wurde, nicht aber danach, wie viel es eigentlich kostet, keinen Klimaschutz zu betreiben –, dann kann ich vom Kompost eine Weichheit lernen, die zulässt, dass die Dinge in Ruhe sterben dürfen: So wie im Herbst das Laub fällt und es in Ordnung ist, wenn das eine geht und das andere beginnt. Letztlich machen die Bäume ja nichts anderes als Kompost auf dem Boden, aus dem dann wieder Nährstoff entsteht.

Meine Erfahrung ist, dass ich am meisten bewegen kann, wenn es mir gutgeht. Gerade habe ich nicht so viel Energie, um mit Leuten zu sprechen, die sich ganz weit weg von der Frage, ob sich überhaupt etwas ändern soll, positionieren. Dennoch bin ich dankbar, wenn etwa meine Kolleginnen im von mir mitbegründeten »Netzwerk Klimajournalismus« einen Brief an den Intendanten der ARD verfassen und fordern, dass Klimaschutz Thema Nummer eins in der Berichterstattung werde.

MK  Im Moment bin ich ohne Worte und in großer Dankbarkeit für -alles, was in unserer Runde gesagt wurde.

MF  Ich freue mich über das Rundenformat, das eine Ruhe in -unser Gespräch gebracht hat, die gut zum Kompost passt!

TL  Ja, ich merke jedes Mal, wie schön es ist, im Kreis zu sprechen. Selbst online kann daraus Verbindung entstehen, während ich hier mit meinem selbstgesammelten Kamillentee sitze. //


Theresa Leisgang (32) ist Aktivistin für ein gutes Leben für alle, Autorin und Mitbegründerin von »Netzwerk Klimajournalismus Deutschland«. Sie ist Teil einer neuen Berliner Genossenschaft, die den Traum dörflichen Gemeinschaftslebens auch in der Stadt möglich machen will. www.puls.earth


Mehr zu Kompost und Kollaps

Theresa Leisgang und Raphael Thelen: Zwei am Puls der Erde, Goldmann Verlag, 2021.


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