Lust auf Experimente?
Wenn wir die Wirtschaft neu erfinden wollen, dann müssen wir beim Geld unkonventionelle Wege gehen, meint Peter Krause-Keusemann. Sein Experimentierfeld ist der genossenschaftliche Kooperationsring »Coinstatt«.
In der bayerischen Landeshauptstadt wurde im Januar die Genossenschaft »ReWiG München« gegründet – die erste Umsetzung eines Konzepts namens »Regionale Wirtschaftsgemeinschaften«. Sie möchte der Idee komplementärer Währungen den Weg in den Mittelstand ebnen.
Jörn Wiedemann ist erfolgreicher Anlageberater, ehemals Turbokapitalist, wie er sagt. Zwanzig Jahre lang als glühender Verfechter der Marktwirtschaft im Bankwesen unterwegs und heute eines der Gründungsmitglieder der Münchner »ReWiG« Genossenschaft. Ein ungewöhnlicher Kontrast: Abends und an Wochenenden versucht er, gemeinsam mit den anderen Mitgliedern der ReWiG unserem wackelnden Finanz- und Wirtschaftssystem eine Alternative bereitzustellen. Tagsüber verwandelt er den Geburtsfehler eben dieses Systems in lukrative Vorteile für seine Kunden.
Besucht man Jörn Wiedemann an seinem Arbeitsplatz, führt der Weg durch den Hinterhof eines gläsernen Neubaus zur videogesicherten Eingangstür einer Münchener Vermögensverwaltung. Hier ist Jörn Wiedemann in dem geräumigen Konferenzzimmer der Firma anzutreffen. Die Kollegen reichen gerne einen Kaffee.
»Als die Finanzkrise 2008 die ersten Großbanken ins Wanken brachte,« beginnt er zu erzählen, »mehrten sich meine Zweifel an der kapitalistischen, rein wachstumsorientierten Marktwirtschaft. Also habe ich mich zunehmend nach alternativen Ideen umgesehen. Auch auf privater Ebene, denn dort gab es interessante Parallelen: Ich fuhr damals einen Audi TT mit 225 PS. Diesem Wagen war ein Audi A3 mit 150 PS vorausgegangen, der wiederum Nachfolger eines 316er BMW mit 100 PS war. Das entspricht einem jährlichen Leistungswachstum von genau 50 Prozent. Um dieses weiterzuführen, hätte ich konsequenterweise nun nach einem Wagen mit 338 PS suchen müssen. Spätestens nach zwei weiteren Jahren hätte ich eine kritische Grenze dieses absurden Spiels erreicht.«
Bereits zur damaligen Zeit, das habe er sich ausgerechnet, kostete die Liebe zu den kraftvollen Fahrzeugen jeden Monat über tausend Euro, und so kam in ihm die Frage auf, wozu all die Steigerung gut sei.
»Du verbringst Zeit mit Tätigkeiten, deren Auswirkungen zunehmend fragwürdig werden, um dir Dinge leisten zu können, mit denen du Leute beeindrucken kannst, die dir nicht wichtig sind.« sagte ein Freund damals zu ihm.
Wertewandel
Seit dieser Zeit hat ein Umdenken stattgefunden. Die Begeisterung für schnelle und schöne Autos ist zwar geblieben, doch fährt er selbst kein Auto mehr. In München mit all den öffentlichen Verkehrsmitteln, sagt er, lohne sich für ihn nicht einmal die Mitgliedschaft in einer Carsharing-Organisation. Während früher Fernreisen die Urlaubsplanung bestimmten, verbringe er heute lieber Zeit auf einem Permakultur-Hof in Bayern. Das sei günstiger, umweltverträglicher und dabei noch viel erholsamer. Fünf Stunden Arbeit im Garten – und schon lege sich im Kopf eine Art Schalter um.
Als käme er soeben von einer dieser Erholungsreisen, lehnt sich Jörn Wiedemann in seinem Stuhl zurück und erklärt: »Von einer Fernreise bringe ich eine Menge an angesehenem, aber irgendwie unnützem Allgemeinwissen mit. Den Lernerfolg aus einigen Wochen Gärtnerarbeit erlebe ich dagegen als wertvoll und direkt anwendbar.«
Die Jahre des Wandels scheinen das Leben mit neuen Erfahrungen bereichert zu haben. So eindrucksvoll, dass sich aus ihnen eine Vision geformt hat: eines Tages selbst möglichst autark auf dem Land zu leben.
Hier in den Räumen der Firma ist Jörn Wiedemann jedoch geschäftlich gekleidet, und der elegante Anzug erschwert den Versuch, sich den erfahrenen Vermögensberater erdverschmiert mit Spaten und Gartenschere vorzustellen.
Es wirkt radikal, dieses Umdenken, angesichts des Ambientes, in dem dieses Gespräch stattfindet, fast unglaubwürdig, aber gerade das ist ihm wichtig: »Ich sehe mich als Vermittler, als Wandler zwischen den Welten«, erklärt Jörn Wiedemann diesen optischen Widerspruch.
Menschen, die im bestehenden System erfolgreich sind, aber dennoch dessen Schwächen und Probleme erkannt haben, eignen sich besonders, um möglichst viele von der Notwendigkeit eines Wandels zu überzeugen. Das ist nicht einfach, denn unser Wirtschaften ist so komplex geworden, dass kein Mensch heute mehr weiß, was er durch den Kauf einer Ware in München im Rest der Welt bewirkt. Aber Jörn Wiedemann ist überzeugt: »Zu Veränderungen werden wir ohnehin gezwungen sein, wenn unser Wirtschaftssystem zusammenbricht.« Abgesehen von dem genauen Zeitpunkt sei es leicht, diese herannahende Krise vorauszusagen.
Eine solche Krise habe durchaus reizvolle Seiten. Das griechische krisis bedeutet »Entscheidung«. Im Chinesischen ist das Zeichen für »Krise« aus jeweils einem Teil der Zeichen für »Gefahr« und »Chance« zusammengesetzt. Die Chance einer Krise besteht darin, dass in den Köpfen Platz für etwas Neues entsteht.
Am Küchentisch Neues erfinden
Das »Neue«, könnte das gemeinwohlorientierte Konzept der ReWiG sein, dessen ursprüngliche Idee von der Verfasserin Anna-Lisa Schmalz und ihrem Mann und Co-Autor Tim Reeves kommt.
Als begeisterte Informatikerin war Anna-Lisa bis vor zehn Jahren mit Haut und Haaren Materialistin. Bestand hatte für sie nur, was sichtbar, erklärbar oder berechenbar war. Eines Tages – sie kam aus dem Urlaub nach Hause – stürzte sie sich wie gewohnt, ohne Jacke und Schuhe auszuziehen, auf ihre Lieblings-IT-Fachzeitschrift und begriff mit dem Blick auf den Titel, dass das Thema Informatik als Lebensmittelpunkt für sie für immer ausgeschöpft und erledigt war. Dieser plötzlichen Erkenntnis war keine besondere Erfahrung vorausgegangen, und auch der Inhalt des Titels war nicht ausschlaggebend. Um so erschreckender sei diese Erfahrung damals gewesen, sagt sie, »weil ich ja gar nichts anderes gelernt hatte«.
Es folgte eine Suche in verschiedene spirituelle Richtungen, Familienaufstellungen, Astrologie, Schamanismus, »bis mir das Geld ausging, meine logische Hirnhälfte nicht mehr richtig funktionierte, und meine Kollegen mich für verrückt erklärten. Und mit der neuen Wahrnehmung keimten auch Zweifel an unserem wirtschaftlichen Modell.«
Die Finanzkrise 2007 war dann der Auslöser, sich konkrete Gedanken zu machen, wie ein funktionierendes Wirtschaftssystem erschaffen werden könnte. Den Pragmatismus einer Ingenieurin hat sie sich dabei erhalten: »Wenn man ein System entworfen hat, das nicht funktioniert, dann muss man es eben ändern,« entschied sie damals, und setzte sich mit Tim, der sich schon umfassend mit Währungsfragen befasst hatte, an den gemeinsamen Küchentisch, um nachzudenken.
Mehr als eine Lösung für Subkulturen
Tims Motivation wurzelte in der Bestürzung über das zerstörerische Wirken menschlichen Handelns auf unsere Lebensgrundlagen und die Bedingungen, die Menschen zwingen, gegeneinander zu konkurrieren und sich unglücklich zu machen. Es müsste doch möglich sein, ein System zu schaffen, in dem alle Menschen glücklich und nachhaltig handeln könnten, weil es gelebte Kooperation ermögliche: »Wenn wir verstanden haben, dass unser persönliches Wohl nur im Wohl der Allgemeinheit zu finden ist, wenn wir die Verbundenheit in unseren Herzen wiederfinden, dann wird alles wieder einen Sinn haben«, sagt er mit Leidenschaft und Freude in der Stimme.
Bei der gemeinsamen Arbeit an dem neuen Wirtschaftskonzept vertrat Tim Reeves, ebenfalls Informatiker, spirituelle Schwerpunkte, die wohl die meisten rational denkenden Menschen überfordert hätten. Anna-Lisa versuchte, das gemeinsame Anliegen auf den Boden gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Gegebenheiten und Möglichkeiten zu stellen.
So entstand im Ringen um diese unterschiedlichen Gewichtungen die Grundlage für ein Konzept, das Tim heute als eine Ehe des Männlichen mit dem Weiblichen beschreibt: »Beide Eigenschaften dürfen strahlen und sich ergänzen«, sagt er. »Es ist weder Matriarchat noch Patriarchat, sondern eine Synthese: Das wohlwollende Miteinander des männlichen und des weiblichen Pols.«
Er kommt leicht ins Schwärmen, wenn er über die Ziele der ReWiG spricht, und man spürt die Kraft seiner Vision. »Ich spreche nicht von kleinen Subkulturen, sondern von einem fürsorglichen Miteinander in größeren Dimensionen, in ausgewachsenen Wirtschaftsunternehmen.«
Pläne in die Tat umsetzen
Die Ergebnisse ihrer Arbeit schickten sie an ihre Freundin Inga Dalhoff, die sofort erklärte, dass sie diese Idee genau so umsetzen wolle. Heute trägt sie als eine der Vorstände zu Entstehung und Gelingen der Genossenschaft bei. So wurde unversehens Ernst aus den ehemals theoretischen Überlegungen. Bis zur Gründung der ReWiG waren neun arbeitsintensive Monate nötig, um das umfassende Konzept in einer Genossenschaftssatzung zu verankern. Möchte man mehr über dieses Konzept erfahren, dann lohnt sich der Besuch eines der ReWiG-Infoabende.
Britta-Marei Lanzenberger, im Vorstand der ReWig für die Kommunikation verantwortlich, hält zu Beginn der Veranstaltung ein kleines Schild hoch. »Gier – Bitte nicht füttern« steht darauf. Die Gier sei die Wurzel des Problems, sagt sie. Es sei dieselbe Gier, die Gordon Gekko, gespielt von Michael Douglas, im Film »Wall Street« 1987 als gut und wichtig bezeichnete. Gier würde das angeschlagene Unternehmen USA retten.
Daran glaubt heute kaum einer mehr. Schon gar nicht die Gesellschaft, die heute zum Infoabend gekommen ist. Es ist eine bunte Mischung, überwiegend aus Kleinunternehmern und Selbständigen, und es sind deutlich mehr als gedacht: Zu dem letzten Informationsabend vor der Gründung waren 22 Gäste angemeldet, tatsächlich waren 35 gekommen.
»Das ist das Erstaunliche«, sagt Tim, »Da scheint eine besondere Kraft zu wirken. Der ReWiG fließt so viel Energie und Unterstützung zu, dass wir unsere Beine unter die Arme nehmen müssen, um der Dynamik hinterherzukommen.« Und hierin besteht wohl das hoffnungsvolle Potenzial all dieser neuen, kooperativen Bewegungen: Wenn es nicht das Ego ist, aus dem die Energie einer Aktivität kommt, sondern das Interesse an der Gemeinschaft, entsteht eine große, gemeinsame Kraft, die Berge versetzen kann. Und so wächst die kleine Gemeinschaft schnell. Mittlerweile besteht die ReWiG aus insgesamt 25 aktiven Mitarbeitern, die als Vorstände, in den Aufsichtsräten, den Beiräten oder den sieben Arbeitskreisen tätig sind.
Die Präsentation der ReWiG am Infoabend ist nüchtern und schmucklos. Sachlich wird der Zuhörer in die Problematik unserer aktuellen Währung eingeführt, in ihren Wandel vom Tauschwerkzeug zum Wertaufbewahrungsmittel und Machtinstrument, und erfährt die ökonomischen, ökologischen und gesellschaftlichen Folgen dieser Bewegungen. Der Lösungsweg aus diesem Dilemma, den die ReWiG beschreiten wird, ist ein genossenschaftlicher Ansatz, in dem sich verschiedene Elemente verbinden: Gemeinschaftsbesitz und die sachwertgedeckte Währung – der »Realo«, mit Umlaufsicherung nach Silvio Gesell, dessen regionale Gültigkeit mit einer neuartigen Vereinigung aus nachbarschaftlicher Tauschgemeinschaft und professionellem Barter-Ring ergänzt wird. Durch das genossenschaftliche Prinzip – ein Mitglied, eine Stimme – hat die Initiative eine basisdemokratischer Grundlage. Die ReWig beteiligt sich an regionalen, nachhaltig wirtschaftenden Unternehmen und stellt mit diesem Sachwert als Deckung eine vom Euro unabhängige Tauschwährung, den Realo, zur Verfügung. Soziale, ökologische und ökonomische Aspekte sind gleichberechtigt in der Satzung verankert.
Sorge am richtigen Ort
Ein wenig trocken wirken sie zuweilen, die Informationsabende. Besonders für Zuhörer, die sich noch nicht mit den Auswirkungen von Finanzsystemen auf menschliches Handeln beschäftigt haben, ist es nicht einfach, die zwischenmenschliche Wärme hinter den abstrakten, oft mathematischen Informationen zu entdecken. So fällt es manchmal schwer, den gewohnten Blickwinkel zu verlassen, und dieser sorgt daher im Anschluss an den Vortrag für ausreichend Gesprächsstoff. Am Ende ist es wieder Tim, der die Diskussion davor bewahrt, in technische Details abzugleiten. Auf die Frage eines Zuhörers, der um die Kaufkraft seines Geldes besorgt ist und daher in die ReWiG investieren möchte, springt er auf und ruft: »Hier geht es um etwas anderes: Es geht um Menschlichkeit und Liebe, um Nachhaltigkeit und um die Chance, eine Weiche für unsere Kinder in die richtige Richtung zu stellen. Denken sie einmal unser heutiges wirtschaftliches Handeln konsequent zu Ende, dann stellen Sie fest, dass das T-Shirt für 4,95 Euro vorne und hinten nicht nachhaltig ist. Das bedeutet, das gibt es in zwanzig Jahren ohnehin nicht mehr. Nicht die Kaufkraft unseres Geldes müssen wir erhalten, sondern die Grundlage unseres Lebens!«
Oliver Sachs (40), Studium der Fotografie, tätig als freiberuflicher Autor, Regisseur und Kameramann, befasst sich hauptsächlich mit der Vermittlung von Wissen über die fundamentale Dynamik von Währungssystemen.
Hier geht’s zur Initiative
http://rewig-muenchen.de
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