Commonie

Der Spurensammler

Nachruf auf Nikolaus Lang, Konzeptkünstler der Farben und Fährten.von Claus Biegert, erschienen in Ausgabe #68/2022
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© Archiv Lang

Wenn ich Nikolaus Lang beobachtete, dann verschwanden die Jahrtausende und ich sah ihn vor mir, verpflanzt ins Neolithikum, das er oft im Munde führte. Das war seine bevorzugte Ära: Kurz bevor die Menschen sesshaft wurden, als sie jagten und sammelten, als es den Begriff der Wildnis noch nicht gab und das Lesen der Wolken und Wildspuren die Voraussetzung für das Überleben war. »Ich habe mir als Laie die Technik angeeignet, wie man solche Steine schlägt«, erklärte er und bearbeitete fachkundig seine Pfeilspitzen. »Meine Steinwerkzeuge probiere ich dann an verschiedenen Materialien aus, die auch von den Aboriginals benutzt wurden.«

1941 in Oberammergau nahe den bayerischen Alpen geboren, probierte er erst das Schnitzen an der Holzbildhauerschule, einen Fußweg vom Elternhaus entfernt. Von dort ging es nach München an die Kunstakademie, und danach in die Welt. Das erste Stipendium führte ihn nach England in die Camberwell School of Arts and Crafts. In London streifte er in den urbanen Grünflächen umher, stellte Schaukästen mit Relikten und kleinen Funden im Wimbledon Common aus. In London traf er seine spätere Frau Celia, hier stieß er auch auf Spuren, die nach Australien wiesen. Im Museum of Mankind las er von einem Ockerplatz der Aboriginals: Bookatoo. Seine Neugier war geweckt.

Mit Ocker fing es an, die Farben der Erde wurden bald die Farben seines Künstlerlebens. Er sammelte sie, zerrieb sie, in Australien wie in der Toskana, und häufelte sie zu kleinen säuberlichen Pyramiden in den Museen der Welt. Es wurden magische Räume und die Besucher konnten es nicht fassen, dass sie vor bunten Böden standen, dass der Künstler »nur« gestaltete, aber nichts erfunden hatte. »Als Künstler kann ich nur sichtbar machen, was in der Natur bereits existiert«, sagte er oft. Das war sein Mantra.    

Nikolaus Lang führte Tagebuch und beschrieb die Entstehung seiner Arbeiten, seine zarte Handschrift gleicht einem Hauch – ähnlich den Objekten, die er aus der Ferne mitbrachte. In Südaustralien nahm er Sand- und Ockerwände ab, die ihn in ihren Bann gezogen hatten. Der Gesteinsabbruch wurde mit Leim bestrichen und mit Gazeflecken kaschiert, nach mehreren Leimlagen folgte ein zartes Gitter aus Holzstäben, schließlich Nessel. Am Ende nahm er die »Wand« mit. Die Wand selbst stand nahezu unverändert weiter da – die Natur war so gut wie unbeschädigt, die Veränderungen würde nur ein indigener Tracker wahrnehmen. Die Leim-Methode hatte sich Nikolaus in Japan zu eigen gemacht, wo er Sandstrandquadrate als Zivilisationsdokumente konservierte.

In seiner oberbayerischen Heimat fand er einen Hirschkadaver; er zerlegte ihn, säuberte die Knochen und fügte das Skelett mit Schnüren wieder zusammen. Den Knochenhirsch schnallte er sich auf den Rücken und zeigte ihm sein Revier an der Ammer. Dann nahm er ihn mit nach Berlin, 1983 war das, und zeigte ihm die geteilte Stadt. Zur Jahrtausendwende fand der Hirsch sich auf der Zugspitze wieder. Langs intuitive Aktionen waren immer poetische Gleichnisse, er fotografierte sie meist mit Selbstauslöser. Diese Bilder sind die einzigen Spuren, ohne sie wären Nikolaus Langs Aktionen einfach Geschichten. Auch darin war er übrigens ein Meister: Wenn er erzählte, gehörten ihm alle Ohren.

Die Ammer war sein Fluss: Hier kannte er sich aus, hier grub er Anfang der 1970er Jahre unter bemoosten Balken die Relikte armer Leute aus, die aus der Schweiz eingewandert waren. »Für die Geschwister Götte« nannte er seine »Spurensicherung« – eine Kunstrichtung gleichen Namens übrigens: Der Kunsthistoriker Günter Metken hatte den Begriff aus der Kriminalistik 1974 für diese Sparte der Konzeptkunst geprägt. Als der Lang’sche Bauernhof auf dem Ammer-Hochufer 2003 abbrannte, verließ Nini, wie wir ihn alle nannten, die geliebte Gegend – nicht aber ohne zuvor sämtliche verkohlten Zeugnisse seines Schaffens zu bergen und zu zeigen. Er starb, einen Tag vor seinem 81. Geburtstag, im Kreis seiner Familie in Murnau, in einem Bauernhof, den er vor dem Verfall bewahrt hatte. 

Kurzportrait von Nikolaus Lang: kurzelinks.de/NikolausLang

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