Titelthema

Eine Bank fürs Gemeinwohl

von Felber Christian, erschienen in Ausgabe #8/2011

Im Kern der Fehlentwicklung, die zur Krise geführt hat, steht die schleichende Umwandlung des Finanzsystems von einem dem Gemeinwohl dienenden Sektor hin zu einem Markt mit gewinn­orientierten Unternehmen. Banken haben ihre ursprüngliche Funktion – die kostengünstige Umwandlung von Spar- in Kreditgeld sowie die serviceorientierte Abwicklung des Zahlungsverkehrs – verlassen und zunehmend neue Aufgaben angenommen: Vermögensverwaltung, Investmentbanking, Devisenspekulation, Kredithandel, Derivate-Entwicklung. Die Wirtschaft wurde durch diese »Innovationen« nicht effizienter, sondern ungerechter und instabiler: Wenn Geld vom Mittel zur Ware wird, sind Arbeitsplätze, Wirtschaft und Wohlstand in Gefahr.
Deshalb bedarf es einer »radikalen«, also einer »wurzeltiefen« Umkehr: Geld und Kredit zählen zur Grundinfrastruktur der Wirtschaft. Sie sollten als öffentliches Gut definiert und unter demokratische Kontrolle gebracht werden. Die »Demokratische Bank« würde folgende, in ihrer Verfassung festgeschriebene Kernaufgaben erfüllen: ein kostenloses Girokonto, sichere Sparkonten mit staatlicher Einlagengarantie, menschenfreundlichen Service in einem flächendeckenden Filialnetz, kostengünstige Kredite für Unternehmen und Haushalte und schließlich kostengünstige Kredite an den Staat.
Die »Demokratische Bank« ist die Ad-hoc-Antwort von Attac Österreich auf die Forderung von Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann nach »Bad Banks« im Dezember 2008. Ackermann, der sich jahrelang für den Rückzug des Staats aus der Wirtschaft starkgemacht hatte, wollte plötzlich, dass den profitorientierten Banken der finanzielle »Giftmüll«, an dem sie sich verschluckt hatten, von den Steuerzahlenden teuer abgekauft werde. Attac Deutschland und Attac Österreich forderten postwendend stattdessen die Einrichtung von »Good Banks«. So kam ein Nachdenken darüber in Gang, wie die ideale Bank eigentlich aussehen und funktionieren sollte. Nach 18 Monaten interner Diskussion wurde im April 2010 das Positionspapier »Die Demokratische Bank« verabschiedet.
Die Demokratische Bank wird hier als eine im Endausbau öffentliche Bank beschrieben, bleibt jedoch im Unterschied zu traditionellen »Staatsbanken« von der Regierung unabhängig. Ihre Leitungs- und Aufsichtsgremien kommen durch direkte Wahl auf kommunaler Ebene zustande; der kontrollierende Bankenrat setzt sich aus Beschäftigten, Sparenden und Kreditnehmerinnen sowie Anwälten und Anwältinnen für Gender-, Umwelt- und Zukunftsfragen zusammen. Alle gewählten Positionen können jederzeit vom Souverän abgewählt werden. Parteien, Parlament und Regierung haben keine Mitspracherechte, denn die Bank gehört der souveränen Bevölkerung.
Diese Idealvorstellung hat einen Schönheitsfehler: Ihre Umsetzung ist von der Zustimmung im Parlament oder von einer Volksabstimmung abhängig. Beides ist unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Machtverhältnissen nicht sehr wahrscheinlich. Deshalb hat Attac Österreich beschlossen, diese Bank in der ersten Umsetzungsstufe selbst zu gründen – als private Genossenschaftsbank. Diese sollte bereits alle Charakteristika der idealtypischen Demokratischen Bank vorleben.

Gemeinwohlmaximierung und Ausstieg aus dem Zinssystem
Die Demokratische Bank betreibt nicht Gewinnmaximierung, sondern Gemeinwohlmaximierung. Das bedeutet dreierlei: Erstens: Sie beschränkt sich auf das Bankenkerngeschäft, das heißt Verwaltung der regionalen Sparvermögen, Abwicklung des Zahlungsverkehrs und Ausgabe kostengünstiger Kredite in der Region. Spekulation, Wertpapierhandel und Derivate sind tabu – die Demokratische Bank beteiligt sich nicht am globalen Finanzcasino und schmäht Steueroasen. Zweitens: Sie schüttet keine Gewinne aus – genauso wenig wie eine Volksschule, ein kommunaler Trinkwasserversorgungsbetrieb oder ein öffentliches Krankenhaus. Drittens: Sie fördert mit eventuellen Überschüssen, die nicht für Rücklagen benötigt werden, gemeinnützige Projekte.
Auch lockt die Demokratische Bank nicht mit hohen Spar­zinsen, sie lädt vielmehr ihre Kundinnen und Kunden ein, aus dem Zinsanspruchsdenken auszusteigen, indem sie Bewusstsein dafür schafft, dass Sparzinsen systemisch negativ wirken und der großen Mehrheit der Menschen direkt Nachteile bringen.
Zinsen sind langfristig gar nicht möglich. Wenn private Finanzvermögen verzinst werden, wächst das Vermögen der Privaten bald schneller als die reale Wirtschaft (= das Bruttoinlandsprodukt BIP). Verzinsung ist nur möglich, wenn das Finanzkapital in die reale Wirtschaft investiert und daraus verzinst wird. Schon heute beträgt das globale Finanzvermögen das Dreieinhalbfache des Welt-BIPs. Erreicht das Geldvermögen die zehnfache Größe der realen Wirtschaftsleistung, bräuchte dieses für eine fünfprozentige Verzinsung bereits die Hälfte der Wirtschaftsleistung (50 % des BIP). Ist das Finanzvermögen dereinst hundertmal so groß, würde ein Verzinsungsanspruch von nur einem Prozent erfordern, dass die gesamte Weltwirtschaftsleistung – das globale Einkommen eines Jahres – dafür aufgewendet werden müsste, diesen Verzinsungsanspruch zu erfüllen. Es bliebe kein Cent für Löhne, Gehälter und Steuern.
Darüber hinaus führen Sparzinsen zu ungerechter Verteilung, und das umso stärker, je höher sie sind, weil die große Mehrheit der Menschen weniger Sparzinsen erhält, als sie an Kreditzinsen bezahlt – über den Konsum von Produkten und Dienstleistungen, in denen die Kreditzinsen vollständig enthalten sind. Während alle konsumieren (je geringer das Einkommen, desto höher die Konsumneigung), fließen die Sparzinsen jenen zu, die das Vermögen besitzen. Berechnungen von Helmut Creutz zufolge bezahlen 80 bis 90 Prozent der Haushalte mehr – unsichtbare – Kreditzinsen über den Konsum, als sie an – sichtbaren – Sparzinsen erhalten.
Letztlich wirken Sparzinsen auch volkswirtschaftlich negativ, weil sie die Kredite verteuern. Systemisch vorteilhafter sind niedrige Spar- und Kreditzinsen, weil Unternehmen mehr (real) investieren, was wiederum mehr Arbeitsplätze schafft, und die Arbeitseinkommen stärker steigen lässt.
Beim Entfall von Sparzinsen wären Kreditzinsen nur noch in einer Höhe nötig, die es den Banken ermöglicht, ihre Betriebskosten und Kreditverluste zu decken. Bei ausreichender Größe der Bank könnte dies mit durchschnittlichen Kreditkosten von rund zwei Prozent erreicht werden.

Geld als öffentliches Gut
Das strukturelle Problem der Zukunft wird sein, dass aufgrund der Verzinsung ein zu großes Kapitalangebot entsteht, für das es keine Kreditnachfrage gibt. Deshalb sollten Banken mit Einlagenüberschüssen nach der Deckung des regionalen Kreditbedarfs zunächst andere Banken, die Bedarf haben, mit Spareinlagen versorgen, auch auf internationaler Ebene und anschließend, wenn auch dieser Bedarf gedeckt ist, dem Staat (Bund, Länder, Gemeinden) günstige Kredite gewähren. Das verbilligt die Staatsverschuldung im Vergleich zu teuren (und von Ratings abhängigen) Staatsanleihen und senkt dadurch die allgemeine Steuerlast: Die Verteilung wird gerechter. Um dies zu erreichen, könnte Geld als öffentliches Gut definiert werden, was bedeutet, dass die Weitergabe von Geld, das gerade nicht benötigt wird, nicht als »Leistung« angesehen wird, aus der ein Einkommensanspruch erwächst, sondern als Pflicht – damit der Geldfluss aufrechterhalten bleibt. So kämen Unternehmen und der Staat zu günstigem Geld, und der Renditedruck des Finanzkapitals auf die reale Wirtschaft würde weichen. Gleichzeitig müssten aber dem Finanzkapital sämtliche Ausweichmöglichkeiten versperrt werden: Rohstoff-, Aktien-, Immobilien- und Derivatemärkte. Geld als öffentliches Gut könnte bedeuten, dass Fonds aller Art verboten werden.

Gemeinwohl fördern und Bewusstsein schaffen
Bei der Kreditvergabe durch die demokratische Bank wird nicht nur die ökonomische Bonität der Kreditbewerber geprüft, sondern auch der soziale und ökologische Mehrwert der Investitionsvorhaben. Während ökologisch und sozial wenig sensible Investitionen die höchsten Kreditkosten zu berappen haben, erhalten Projekte mit dem höchsten sozialen und ökologischen Mehrwert wie Fair Trade oder eine Investition in erneuerbare Energien die günstigen Konditionen bis hin zum Null- oder sogar einem geringen Negativzinssatz. So entfaltet die Bank eine effektive Lenkungswirkung in Richtung Nachhaltigkeit.
Die Demokratische Bank wird auch eine Bildungsinstitution sein, die Bewusstsein zum Thema Geld schafft. Sie sagt nicht: »Lassen Sie Ihr Geld für sich arbeiten«, was zum Wegschauen, zu Verantwortungslosigkeit und Gier führt, sondern erzieht ihre Kundinnen und Kunden hin zu Verantwortung: »Schauen Sie hin, was Ihr Geld bewegt, und bestimmen Sie mit!«
Die kreditvergebenden Angestellten der Demokratischen Bank sollen neben der ökonomischen auch eine humanistische Ausbildung erhalten. Eine wichtige Aufgabe der Demokratischen Bank wird ihr Einsatz für die gesetzliche Regulierung und Konversion des gesamten Bankensektors sein. Hier können die Forderungen von Attac und anderen Organisationen und den alternativen Pionierbanken zusammenwirken. Eine mögliche Regulierung wäre, dass staatliche Unterstützungsleistungen wie Garantie der Spareinlagen, Refinanzierung durch die Zentralbank, Kreditaufnahme des Staats und Bankenrettung nur noch gemeinwohlorientierten Banken gewährt werden. Wenn die gewinnorientierten Banken die Spareinlagen nicht garantieren könnten und keinen Zugang zur Zentralbank hätten, würde in Kürze die Mehrheit aller Menschen zur Demokratischen Bank und vergleichbaren Instituten wechseln.

Demokratische Zentralbank
Schließlich sollte auch die Zentralbank demokratisch organisiert werden. Das könnte Folgendes bedeuten:
→ Die Entscheidungen in der Zentralbank fallen demokratisch in Gremien von Menschen aller Bevölkerungsschichten.
→ Geld kommt nicht nur als (zinsfreier) Kredit an gemeinwohlorientierte Banken in Umlauf, sondern auch in geringem Umfang als »Schöpfungsgeschenk« an den Staat, das sich dieser nicht mehr teuer gegen Zinsen ausleihen muss. Gleichzeitig wird den Geschäftsbanken jede weitere Geldschöpfung verboten bzw. die Kreditvergabe unter den Vorzeichen Systemstabilität und Gemeinwohlorientierung reguliert.
→ Die demokratischen Zentralbanken könnten die Kontrolle über den grenzüberschreitenden Kapitalverkehr – das sogenannte Clearing – übernehmen. Das wäre das Ende von Steuerflucht, Zins-Arbitrage-Geschäften oder Ansteckung mit Instabilität durch finanziellen Giftmüllexport.
→ Damit Spekulation mit Devisen verhindert wird, könnten die Zentralbanken eine globale Währungskooperation mit stabilen Wechselkursen eingehen, wie es John Maynard Keynes schon 1944 in Bretton Woods vorgeschlagen hat, sich damit aber nicht durchsetzen konnte.
Mitmachen
Die Gründungsvorbereitungen für die Demokratische Bank ­Österreich haben im Mai 2010 begonnen. Innerhalb weniger Wochen wuchs der Kreis der Mitarbeitswilligen auf mehrere hundert an. Es wurden acht Arbeitskreise eingerichtet, die sich im ­Koordinierungskreis abstimmen. Ein gemeinsamer Visionsprozess wurde im Februar abgeschlossen, jetzt folgen der Strategieprozess und die Erstellung des Geschäftsplans. Die Einreichung bei der ­Finanzmarktaufsicht ist noch im Jahr 2011 geplant, die Genehmigung kann sechs bis zwölf Monate in Anspruch nehmen. Ziel ist, die Bank noch im Jahr 2012 zu starten.
Im März dieses Jahres trafen sich auf Schloss Goldegg in Salzburg 60 Personen aus allen österreichischen Bundesländern, um mit dem Aufbau der regionalen Strukturen zu beginnen. Wie schon im Visionsprozess waren in diesem Prozess wertschätzende Kommunikations- und Entscheidungsmethoden besonders wichtig, um die »neue Welt« auch im Umgang miteinander zu leben. Die Regeln gewaltfreier Kommunikation, »Dialoge« und »Councils« schulen das Sprechen von Herzen und das wertfreie Zuhören, wodurch das Gespräch entschleunigt wird und Verbindung entsteht. Konsensprozesse erleichtern das Finden von Entscheidungen, mit denen alle einverstanden sein können, selbst wenn sie noch Bedenken haben – ein Fortschritt gegenüber Mehrheitsentscheidungen.
Die Bank möchte von Beginn an eine Filiale in jedem Bundesland eröffnen. Von dort aus könnten Außendienstmitarbeiter in die Betriebe, Haushalte und Bauernhöfe kommen, um die Kredite vor Ort zu vergeben. Die Regionalgruppen beginnen schon jetzt mit Bildungsveranstaltungen zum Thema Geld, Zinsen und Finanzmärkte. Außerdem erheben sie die Bedürfnisse der zukünftigen Kundinnen und Kunden. Wie die Bank vor Ort aufgestellt sein wird, ob es Filia­len, »Bank-PartnerInnen« wie Eine-Welt-Läden, aufgeschlossene Unternehmen, Cafés oder Kultureinrichtungen geben wird oder auch nur die »ambulante Bank« und eine Präsenz im Internet, entscheiden die Regionalgruppen bis zu einem gewissen Grad selbst.
Derzeit werden Menschen aus dem In- und Ausland gesucht, die sich mit 1000 Euro an der Bank beteiligen und mit einer Spende den Aufbau in den nächsten eineinhalb Jahren finanzieren.
Die Demokratische Bank ist ein Strukturelement der »Gemeinwohl-Ökonomie«, einem zu Kapitalismus und Kommunismus alternativen Wirtschaftsmodell. Derzeit wird es von einer wachsenden Gruppe von Unternehmerinnen und Unternehmern im deutschsprachigen Raum ausgearbeitet und bereits von rund 250 Unternehmen unterstützt. Mindestens 70 davon werden dieses Jahr die Gemeinwohl-Bilanz erstellen. Wer eine gute Gemeinwohl-Bilanz vorweisen kann, erhält bei der Demokratischen Bank einen günstigeren Kredit. 
 

Christian Felber (38) ist freier Publizist, Universitätslektor und Mit­begründer von Attac Österreich. Sein Buch »Die Gemeinwohl-Ökonomie« erschien 2010 im Verlag Deuticke.


Mitmachen beim Wirtschaften fürs Gemeinwohl
www.gemeinwohl-oekonomie.org
www.demokratische-bank.at
www.christian-felber.at

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